Erdogan-Affäre: Özil, Löw, Bierhoff, Grindel - wie geht es weiter?

Die erste Aussprache im Mai: Löw, Özil, Grindel, Gündogan, Bierhoff (v.l.).
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2. DFB-Präsident Reinhard Grindel und Teammanager Oliver Bierhoff

DFB-Präsident Reinhard Grindel und Teammanager Oliver Bierhoff gaben in der Erdogan-Affäre nach außen ein katastrophales Bild ab. Wurde das Thema zunächst verschleppt, ist daraus nun ein beispielloser Schlingerkurs geworden.

Zur Erinnerung: "Man muss auch verstehen, wie Türken in dieser Sache ticken", war die erste Reaktion Bierhoffs. Anschließend wurden die "jungen Menschen" verteidigt, man dürfe sie nach einem Fehler "nicht auf ewig verdammen". Im Trainingslager in Eppan wollte Bierhoff das Thema per Dekret von oben abschließen mit "Wir haben sehr viel gemacht, und jetzt reicht es auch", danach sah er die Medien in der Pflicht: "Ihr beendet es doch nicht. Ihr bringt es doch jeden Tag wieder, weil ihr keine Themen habt." Nur um wenig später zurückzurudern.

Unerklärlich ist, warum der 50-Jährige das Thema im Interview mit der Welt erneut auf die Agenda brachte, noch vor der geplanten Aufarbeitung der WM. Vor allem die Art und Weise. Einen Tag später wurde nach empörten Reaktionen erneut zurückgerudert: "Was ich sagen wollte, war: Wenn wir auf ihn hätten verzichten wollen, dann nicht wegen des Fotos, sondern aus sportlichen Gründen - aber wir haben uns für ihn entschieden und dazu stehen wir auch."

Wie diese Überzeugung trotz mehrfachen Gegenlesens derart missverständlich abgedruckt werden kann, bleibt Bierhoffs Geheimnis. Zumal die sportliche Analyse von Özils Leistung absolut nichts damit zu tun hat, ihn "für eine Sache zu überzeugen". Immerhin muss man Bierhoff zugutehalten, dass er Özil in diesem Zusammenhang gegen Kritik unter der Gürtellinie verteidigte.

Auch Grindel vollführte einen radikalen Schwenk: Zuerst erklärte er, das Duo habe sich für ein "Wahlkampfmanöver missbrauchen" lassen. Auf der ersten Pressekonferenz in Vatutinki postulierte er dann, dass ein besseres Krisenmanagement in der Erdogan-Affäre kaum möglich gewesen wäre, und überhaupt: Gündogan habe "alles gemacht, was man zur Einordnung tun kann. Trotzdem ist er ausgepfiffen worden." Unausgesprochen also die Meinung, dass auch Aussagen Özils nicht helfen würden. Der könne die Antwort, wenn schon nicht in Interviews, dann auf dem Platz liefern.

Von dieser Haltung ist beim DFB-Präsidenten nichts mehr übrig, wie das Interview im kicker zeigt: "Es stimmt, dass sich Mesut bisher nicht geäußert hat. Das hat viele Fans enttäuscht, weil sie Fragen haben und eine Antwort erwarten. Diese Antwort erwarten sie zu Recht. Deshalb ist für mich völlig klar, dass sich Mesut, wenn er aus dem Urlaub zurückkehrt, auch in seinem eigenen Interesse öffentlich äußern sollte."

Späte Erkenntnis bei der DFB-Spitze: Mesut Özil muss sich äußern

"Kluges Krisenmanagement heißt kühlen Kopf bewahren und nicht jedem Druck nachgeben", sagte Grindel. Davon ist beim DFB nichts zu sehen. So ist es legitim, eben dieses Interview auch als Schadensbegrenzung im Fall Bierhoff zu betrachten: Grindel reagierte nur wenige Tage später, sein Gespräch mit dem kicker wurde also sehr kurzfristig geführt und umgehend veröffentlicht.

Gleichzeitig ist es eine konzentrierte Medienoffensive in Richtung Özil. Mit schlechtem Stil und vor sich hin stolpernd geführt, in krassem Widerspruch zu früheren Aussagen getätigt.

Aber beim DFB scheint sich endlich - lediglich acht Wochen zu spät - die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass das Thema ohne ein öffentliches Statement Özils nicht zu beenden ist. Besuche beim Bundespräsidenten, bei der Kanzlerin, "Özil hat uns gegenüber gesagt..."-Statements, Aussitzen, Medienkritik, sogar die Flüchtlingskrise als Einordnung - all das wurde versucht, all das hat nicht funktioniert.

Jetzt wird der Druck auf den Nationalspieler erhöht. Sicherlich auch, um vom eigenen Versagen abzulenken, und um das Verhältnis zu den Fans irgendwie zu kitten. Und es ist Wasser auf die Mühlen jener Klientel, die man ganz sicher nicht bedienen will. Gleichzeitig ist es grundsätzlich richtig: Özil muss sich äußern.

Warum schweigt Mesut Özil?

Die Frage ist: Hat sich Özil - und bei Gündogan liegt die Sache ähnlich - nicht geäußert, weil er sich nicht aus innerer Überzeugung gegen Erdogan äußern will? Oder weil er sich nicht äußern kann, aus Angst vor Repressalien gegen sich selbst oder die eigene Familie?

Für letzteres spricht, dass Bierhoff selbst von "bestimmten und offensichtlichen Gründen" sprach, die Özil von einer Stellungnahme abhalten würden. Der Fall Enes Kanter ist ein warnendes Beispiel: Der NBA-Star aus der Türkei gehört zum Erdogan-kritischen Lager und wurde wegen Beleidigung des Präsidenten schon einmal beinahe eingesperrt, im Juni wurde sein Vater in einem Schauprozess zu mindestens fünf Jahren Haft verurteilt. Die Konsequenzen können also durchaus real sein, wenn man es sich mit dem Autokraten verscherzt.

Gleichzeitig ist es nicht das erste Foto Özils mit Erdogan, die beiden kennen sich schon mehrere Jahre. Berater Harun Arslan erklärte zudem in der Zeit, dass neben der kulturellen Prägung und dem Höflichkeitsgedanken auch ein ambivalenteres Bild des türkischen Machthabers vorhanden sei: Der habe die Türkei schließlich modernisiert und für einen Aufschwung gesorgt.

Wäre die Ablehnung gegen Erdogan vorhanden, hätte man im Zweifelsfall wie Emre Can reagieren und dem Treffen fernbleiben können. Bierhoff sprach zudem davon, Özil überzeugen zu wollen - vergeblich. Das spricht nicht unbedingt für großes Verständnis gegenüber einem verzweifelten Spieler in einer Zwickmühle. Stattdessen ist die Geduld des DFB aufgebraucht.

Was nun? Für Grindel und Bierhoff wäre eine Äußerung Özils, mit der sich der Konflikt zumindest ansatzweise in Wohlgefallen auflösen lässt, die zweifelsohne bestmögliche Lösung. Kommt diese nicht, kann auch Löw reagieren - Grindel sprach im kicker nicht umsonst auch von der sportlichen Analyse.

Tun ihm weder Özil noch Löw den Gefallen, bleibt dem DFB-Präsidenten nach seinem Ultimatum eigentlich nur noch die Suspendierung des Spielers. Damit käme es nicht nur zum Bruch zwischen Bundestrainer und DFB, es gäbe auch noch Beifall von ganz falscher Seite. Und Erdogan würde sofort die Deutungshoheit der Affäre an sich reißen: "Schaut her, der Spieler wurde rausgeworfen, weil er ein Foto mit einem demokratisch gewählten Präsidenten gemacht hat! Das zeigt, dass man euch in Deutschland nicht akzeptiert!"