Weg vom Chaos, hin zu Hiddink

Von Fatih Demireli
Guus Hiddink soll die Türkei zur Europameisterschaft 2012 führen
© Getty

Früher stand die Türkei vor allem für ungestüme Leidenschaft und dramatische Spiele. Nun soll Trainerguru Guus Hiddink für mehr Ordnung sorgen. Vor dem Spiel am Freitag (20.15 Uhr im LIVE-TICKER) erklärt SPOX Deutschlands wohl schwersten Gegner in der EM-Qualifikation.

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Ratlose Blicke. Die Frage war einfach, die Beantwortung dafür umso schwieriger. Wie spielt die Türkei? "Je öfter ich die Türken sehe, desto weniger kenne und verstehe ich sie", sagte Ivica Olic bei der Euro 2008. Die Kroaten verloren gegen die Türkei. "Es ist schon eine Art Chaostaktik", sagte damals auch Christoph Metzelder.

Trotz acht Ausfällen brachten die Türken damals das favorisierte Deutschland dennoch an den Rand einer Niederlage. Zwei Jahre später kann der fulminante Halbfinaleinzug der Türken immer noch nicht taktisch erklärt werden. Sicher verloren geglaubte Spiele wurden noch gewonnen, die Türken drehten aus unerfindlichen Gründen auf und dank einer großen Moral ihre Spiele.

Doch damit ist jetzt Schluss. Die Türkei will sich nicht mehr auf Wunder und Willen verlassen, sondern taktisch und diszipliniert den Erfolg suchen. Dafür wurde kein Geringerer als Trainerguru Guus Hiddink geholt. Der Niederländer soll der Türkei ein neues Gesicht verpassen. Geordneter, disziplinierter, aber dennoch mit einer Prise südländischer Finesse.

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Das Spielsystem:

Hiddink war in seinen ersten Monaten darauf bedacht, nicht zu sehr an den Gegebenheiten in der türkischen Nationalmannschaft zu rütteln - das gilt auch für die Grundausrichtung der "Milli Takim", der Nationalmannschaft. Sie präsentiert sich wie zuletzt unter Fatih Terim auch bei Hiddink in einem 4-2-3-1. Einen klassischen Spielmacher a la Mesut Özil haben die Türken auf der Zehner-Position nicht und deswegen spielt der Mann hinter der einzigen Spitze meistens als verkappter hängender Stürmer. Die Türkei spielt grundsätzlich offensiven Fußball, weil die Anlagen der meisten Spieler nichts anderes zulassen. Selbst alle nominierten Verteidiger haben ihre Stärken eher in der Offensive.

Der Verlust: So schwer wie der Ausfall von Bastian Schweinsteiger in Deutschland wiegt, so bitter ist die Verletzung von Arda Turan bei den Türken. Der Galatasaray-Kapitän ist der Tempomacher, der Mann der besonderen Momente und nicht zuletzt auch sehr torgefährlich. Schon in den vergangenen drei Wochen spielte er bei seinem Klub aufgrund einer Oberschenkelverletzung nicht. Nun kam heraus, dass Arda eine chronische Schambeinverletzung hat, er wird gegen Deutschland nicht im Kader stehen, ist zur Behandlung zurück nach Istanbul geflogen. Echte Alternativen fehlen Hiddink auf der Arda-Position auf Linksaußen. Eins zu eins könnte ihn eigentlich nur Özer Hurmaci ersetzen, doch der Fenerbahce-Spieler hat noch kein Länderspiel auf seinem Konto. Linksverteidiger Ismail Köybasi wäre theoretisch eine Option, vermutlich wird aber Stürmer Tuncay Sanli über den linken Flügel kommen.

Die Stürmerfrage: Nicht nur in Deutschland ist eine Stürmer-Debatte entbrannt. Auch bei den Türken steht noch nicht endgültig fest, wer vorne stürmen soll. Sollte Tuncay Sanli wirklich Arda Turan links vertreten, würde der Stoke-Stürmer für die Spitze wegfallen. Andernfalls wäre der laufstarke Stürmer wohl erste Wahl. Ein anderer Spielertyp ist Semih Sentürk, der als klassischer Mittelstürmer sicherlich eine andere Rolle als Tuncay einnehmen würde. Semih fehlt die Spielpraxis, da er bei Fenerbahce an Mamadou Niang nicht vorbeikommt. Gleiches gilt für Nihat Kahveci, für den aber die Erfahrung spricht. Eine Überraschung könnte sich anbahnen, wenn Sercan Yildirim von Meister Bursaspor eine Chance erhält. Es ist bekannt, dass Hiddink vom technisch sehr versierten Sercan viel hält. In den Trainingseinheiten hinterlässt der 20-Jährige einen guten Eindruck. Er könnte mit seinen Dribblings und seiner Schnelligkeit Per Mertesacker und womöglich Holger Badstuber große Probleme bereiten. Außenseiterchancen haben Mevlüt Erdinc und Halil Altintop.

Der Tuchel-Effekt: Der Mainzer Trainer Thomas Tuchel glänzt in Mainz mit einer gut funktionierenden Rotation und Reaktion auf die Spielweise des Gegners. Zwar hat Hiddink wie eingangs beschrieben, noch nicht sehr viel verändert, aber dass der Niederländer keine Rücksicht auf Namen nimmt, sondern die Mannschaft in den Vordergrund stellt, zeigen seine Nominierungen und Personalentscheidungen. Dass Mehmet Topal, neuerdings beim FC Valencia, unter Hiddink keine Rolle spielt, verwundert genauso wie die Nicht-Berücksichtigung von Bursas Wunderkind Volkan Sen. Sie passen aber derzeit nicht ins Konzept des neuen Trainers. Das größte Opfer der Hiddinkschen Denkweise ist aber Nuri Sahin, der in der Bundesliga zu den Besten gehört, aber in der Türkei zuletzt zwei Mal Tribünengast war. Hiddink hält viel von Sahin, aber gerade gegen starke Gegner wie Deutschland setzt der Türkei-Trainer lieber auf kampfstarke und nationalelferprobte Spieler wie Emre Belözoglu oder Mehmet Aurelio. Das bewiesen auch die schweren Auftaktspiele in Kasachstan (4:0) und zuhause gegen Belgien (3:2).

Der verteidigende Spielmacher: Arda Turan, Tuncay Sanli, Hamit Altintop und Co.: Sie gehören zu den Hoffnungsträgern des türkischen Offensivspiels und sollen für die Tore sorgen.Zu einer echten Waffe entwickelte sich aber auf der rechten Abwehrseite Gökhan Gönül von Fenerbahce. Der 26-Jährige ist mit allen Stärken ausgestattet, die einen sehr guten Außenverteidiger ausmachen. Gönül ist schnell, stark am Ball und im Dribbling. Auf seine Vorstöße baute schon Fatih Terim und auch Hiddink hat früh entdeckt, dass der Rechtsfuß das Spiel der Türken ankurbeln kann. Das einzige Handicap Gökhans ist sicherlich die fehlende Konstanz in der Position vor ihm. Fast in jedem Länderspiel ändert sich der Partner, ein Einspielen ist kaum möglich. Überlegungen, Gökhan selbst ganz in die Offensive zu beordern, scheiterten auch an den fehlenden Alternativen in der Defensive.

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