Thomas Delaney und seine Führungsrolle beim BVB: Der mit weniger Haar

Thomas Delaney spielt seit Sommer 2018 beim BVB.
© getty

Nach zwei Jahren in der Bundesliga bei Werder wechselte Thomas Delaney im Sommer zu Borussia Dortmund - für das Zehnfache der Summe, die Bremen einst hinlegte. Für den BVB sind die 20 Millionen Euro bislang sehr gut investiertes Geld, denn Delaney ist als Spieler wie Mensch polyvalent - er wirkt auf und außerhalb des Platzes.

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Seit mittlerweile acht Jahren erreicht die Sommer-Vorbereitung von Borussia Dortmund ihren Höhepunkt in Bad Ragaz. In diesem Städtchen im Schweizer Heidiland fallen die ersten kleinen Entscheidungen im Kampf um die Stammplätze. Das Trainingslager ist oft ein guter Ort zu beobachten, wie sehr eine Mannschaft schon funktioniert, wie sie miteinander und mit dem Trainer harmoniert.

Auch Neuzugänge kann man dort bei den Trainingseinheiten genauer unter die Lupe nehmen und einen Einblick in ihre anfänglichen Verhaltensweisen bekommen. In diesem August war dies bei Thomas Delaney der Fall. 20 Millionen Euro investierte der BVB, um den Dänen von Werder Bremen in den Ruhrpott zu lotsen - für das Zehnfache der Summe, die der SVW zwei Jahre zuvor an den FC Kopenhagen überwiesen hatte.

Delaney, das stand von Beginn an fest, sollte die personifizierte Mentalität-Personalie für die Dortmunder sein. Deren Verantwortliche hatten nach einer beispielhaften Drunter-und-Drüber-Saison einen Mangel an Einstellung, Willen und Robustheit ausgemacht. BVB-Boss Hans-Joachim Watzke wollte einen Spieler, der "auch mal grimmig guckt" und dem Kader damit wieder die fußballerischen Werte implementiert, die beispielsweise durch den Abgang von Dauerbrenner Sven Bender verloren gegangen sind.

Delaney "verstand von klein auf die Wichtigkeit von Führungsqualitäten"

Und so, in der Deutlichkeit überraschte dies sogar, verhielt sich Delaney in Bad Ragaz. Der Mittelfeldakteur ist jetzt 27 Jahre alt. Solch "betagte" Spieler standen in den Vorjahren nicht unbedingt im Verdacht, ins Raster der Dortmunder Transferstrategie zu fallen. Vom Fleck weg kam Delaney wie der ältere Bruder der teils deutlich jüngeren BVB-Spieler daher. Delaney war laut- und laufstark im Training, er gab viele Anweisungen, motivierte, schrie. Und er grätschte, lief Bälle ab, zeigte eine Lust auf Zweikämpfe, verlieh der Mannschaft Stabilität.

"Meine Frau sagt manchmal: Warum kannst du nicht zu Hause ein bisschen mehr sein wie auf dem Platz? Du bist so langweilig", verriet er dann den anwesenden Journalisten. "Ich muss im Spiel alles abbrennen, denn außerhalb des Feldes bin ich das komplette Gegenteil davon."

Für die Borussia muss letztlich nur Delaneys Hyde-Seite interessant sein. Die hat sich der dänische Nationalspieler in den letzten Jahren nicht antrainiert, sondern eher verfeinert und verbessert. "Thomas war laufstark, aggressiv, motiviert und ein absoluter Leader", erinnerte sich mit Brian Riemer sein ehemaliger Kopenhagener Co-Trainer bei SPOX. "Er war schon früh ein sehr, sehr offener Charakter, kommunizierte hervorragend mit seinen Mitspielern und verstand von klein auf die Wichtigkeit von Führungsqualitäten."

Warum sich Delaney und Witsel so gut ergänzen

Dieses Rollenverständnis hatte der BVB im Kopf, als er auf die Idee kam, Delaney verpflichten zu wollen. Fußballerisch bringt er nicht deutlich mindere Qualitäten mit. Delaney kann theoretisch auf der Sechs, der Acht und der Zehn agieren. Das Zentrum ist sein Gebiet, dort in den Räumen fühlt er sich zu Hause. Deshalb ergänzt er sich so gut mit Axel Witsel. Delaneys Nebenmann ist zwar ein anderer Spielertyp, dennoch in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich zu ihm - zum Beispiel, weil auch er den Bender-Wertekatalog verinnerlicht hat.

Delaney und Witsel zeichnen sich in der aktuellen Dortmunder Hochphase besonders deshalb aus, weil ihr Spielverständnis groß genug ist, um dem Team zu einer ausgewogenen Balance zwischen defensiver Absicherung und offensivem Tempofußball zu verhelfen. Witsel mag der größere Star sein und mehr Aufmerksamkeit abbekommen. Was jedoch bereits jetzt die Wichtigkeit fürs Team angeht, ist Delaney auf derselben Stufe anzusiedeln und letztlich nur der mit weniger Haar.

"Er hat eine Menge Erfahrung und gibt sie an das Team weiter", sagt Witsel über ihn. Im Gegensatz zum Belgier ist der Däne, auch aufgrund seiner besseren Deutschkenntnisse, in den neu formierten Mannschaftsrat berufen worden. Das hatten ausländische Neueinkäufe beim BVB zuvor fast nie geschafft.

Delaney: Lieber Blutgrätsche als Traumtor

Die Beobachtungen in der Schweiz ließen wiederum kaum einen anderen Schluss zu. Delaney wirkt so auch als Führungsspieler in die Mannschaft hinein. Er war in dieser Saison der Erste, der nach einem erzielten Tor in der Jubeltraube kurze Ansprachen hielt. Delaney ist in Dortmund sofort Stabilitätsfaktor geworden, ohne ihn gab es gegen Hertha und Union vier Gegentore, jeweils eins davon spät im Spiel. In Wolfsburg hielt der BVB in einer nicht unähnlichen Partie mit dem von einer Zehenverletzung wiedergenesenen Delaney 90 Minuten lang die Null.

Die steht bei ihm in einer Statistik allerdings auch: Trotz der zahlreichen unterschiedlichen Torschützen wartet Delaney noch auf seinen ersten Treffer für die Borussia. Gejubelt hat man bei ihm aber schon mehrfach, denn im Ruhrgebiet schätzen sie Spieler, die sich aufopfern, in den Dreck werfen und so das Publikum emotionalisieren können.

Dass er eine ordentliche Blutgrätsche einem Traumtor vorziehen würde, hatte er schon an anderer Stelle mal preisgegeben. In der Vorsaison bestritt er für Werder in 32 Spielen 432 Zweikämpfe, die zweitmeisten in der Bundesliga. Selbst ausgeteilt hat ligaweit auch kein anderer als er, der durchschnittliche 11,8 Kilometer pro Partie rannte.

Neues BVB-Teamgefühl auch ein Verdienst von Delaney

"Ich liebe Fouls", sagte Delaney letzte Woche im Dortmunder Vereins-TV mit einem Augenzwinkern. "Mit seinen Witzen sorgte er für eine gute Atmosphäre. Thomas wusste genau, wann Zeit für Spaß und wann für Ernsthaftigkeit war. Er hielt das Team auch abseits des Fußballs sozial zusammen", erzählt sein Kopenhagener Weggefährte Riemer, der Delaney kennenlernte, als dieser 15 Jahre alt war.

Wenn man den BVB in diesen Tagen spielen und die Spieler untereinander interagieren sieht, scheint dort vollkommen konträr zur vergangenen Saison tatsächlich wieder ein Team auf dem Platz zu stehen.

Die Mischung passt derzeit, das Selbstvertrauen ist riesig und die Laune nach den vielen Erfolgserlebnissen wenig überraschend großartig. Der ausgerufene Neubeginn erwischte einen Raketenstart. Das ist ganz sicher nicht einzig auf Delaney zurückzuführen - aber auch.

Thomas Delaneys Leistungsdaten in den nationalen Ligen

SaisonVereinSpieleToreAssistsGelbPlatzverweise
2009/10FC Kopenhagen9--1-
2010/11FC Kopenhagen161-1-
2011/12FC Kopenhagen191-1-
2012/13FC Kopenhagen21137-
2013/14FC Kopenhagen32316-
2014/15FC Kopenhagen27226-
2015/16FC Kopenhagen29557-
2016/17FC Kopenhagen19627-
2016/17Werder Bremen13413-
2017/18Werder Bremen32355-
2018/19Borussia Dortmund8-31-
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