BVB: Nur ein kurzer Höhenflug? Warum das 5:0 gegen den VfB Stuttgart nicht überbewertet werden sollte

Von Justin Kraft
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Borussia Dortmund befindet sich nach dem 5:0-Sieg über den VfB Stuttgart wieder im Aufwärtstrend - sollte man meinen. Doch sowohl in der Champions League als auch in der Bundesliga könnte dieser schnell wieder vorbei sein. Warum das hohe Ergebnis die Sorgen des BVB nicht überdecken kann - und auf welcher Position Edin Terzic dennoch bald sorgenfrei sein könnte.

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In Dortmund ist das Leben wieder einfacher geworden. Von einer "überragenden Leistung", gar einem "Statement-Sieg" war am frühen Samstagabend bei Sky die Rede. Hätte man dort noch einen Hut mehr gefunden, man hätte ihn wohl ohne schlechtes Gewissen gezogen, als Zeichen der Anerkennung.

Ehrlicher war da schon Julian Brandt. Auf die Frage, was denn im Vergleich zu den vorherigen Partien besser gelaufen sei, antwortete der 26-Jährige dem Pay-TV-Sender: "Wir haben viele Tore geschossen."

Ein Lächeln konnte er sich dabei nicht verkneifen. Auch wenn er anschließend noch zu erklären versuchte, was gegen den VfB alles gut lief, so beschreiben diese fünf Worte eigentlich schon das Wesentliche: Dortmund hat diesmal aus den ersten guten Chancen die Tore gemacht.

Die schwarz-gelbe Achterbahn ist durch das deutliche Ergebnis zwar wieder einige Höhenmeter nach oben geklettert. "Trotzdem wissen wir, was in den letzten Wochen passiert ist", gab sich Edin Terzic später auf der Pressekonferenz vorsichtig.

BVB: Niklas Süle ist stabiler als Thomas Meunier

Wer 5:0 gewinnt, kann selbstredend auf einiges zurückblicken, das gut lief - und sollte das auch tun. Eine positive Erkenntnis, die der BVB-Trainer mitgenommen hat: Erkann auf der rechten Defensivseite auch beides haben kann: Stabilität und offensive Qualität. Niklas Süle (SPOX-Note 1,5) hat in den letzten Jahren beim FC Bayern unter Beweis gestellt, dass er schneller und technisch begabter ist, als ihm viele beim bloßen Blick auf seinen kühlschrankartigen Körper unterstellen würden.

Nun brachte er auch gegen den VfB Stuttgart das Publikum zum Staunen: Immer wieder schaltete sich der 27-Jährige klug in die Offensive mit ein. Den frühen Führungstreffer durch Jude Bellingham bereitete er präzise vor, das 2:0 legte er bei einem Standard höchstselbst sehenswert nach. Niemand spielte mehr Pässe als Süle (81 von 92 erfolgreich), defensiv ließ er nichts anbrennen.

Er sicherte gut ab, wenn Raphaël Guerreiro auf dem linken Flügel weit aufrückte, sorgte aber selbst stets für Gefahr, wenn er nach vorn stieß. Thomas Meunier gelingen solche Leistungen selten. Defensiv hat der Belgier seine Schwächen im Stellungsspiel und Zweikampfverhalten, offensiv agiert er zu limitiert.

Es ist gut möglich, dass Süle die Abwesenheit seines Teamkollegen nutzen kann. Es war schon bei den Bayern offensichtlich, dass der Nationalspieler diese offensivere Rolle genießt. In der Jugend spielte er lange Zeit im Sturm - hin und wieder merkt man ihm das an. Das einzige Risiko, das Terzic mit Süle als dauerhaftem Rechtsverteidiger gehen würde: Er könnte in der Innenverteidigung nicht mehr so viel rotieren. Rein qualitativ ist der Neuzugang im Vergleich zu Meunier aber die bessere Wahl.

BVB gegen VfB Stuttgart: Daten zum Spiel

StatistikBorussia DortmundVfB Stuttgart
Ballbesitz (Prozent)6040
Abschlüsse1810
Abschlüsse im Strafraum117
Großchancen31
Vergebene Großchancen01
Expected Goals2,61,02

BVB: Das Rätselraten um die Intensität

Die bessere Wahl war für den BVB auch das intensive Pressing, das man über weite Strecken gegen den VfB Stuttgart zeigte. "Wir sind drauf geblieben", sagte Terzic hinterher: "Wir hatten ein richtig gutes Gegenpressing in der ersten Halbzeit." Die Aggressivität stimmte meistens. Beispielhaft dafür war Jude Bellingham - wer auch sonst? In einer Szene eroberte der Engländer im Mittelfeld den Ball und ballte anschließend die Faust, als hätte er gerade ein Tor erzielt.

Es ist diese Art der Energie, die dem Dortmunder Spiel guttut. "Wir wollten mit der Überzeugung ins Spiel gehen, dieses Spiel als Sieger zu verlassen", sagte Terzic: "Und das ist uns sehr gut gelungen." Wobei es auch gegen den VfB Stuttgart nach dem 2:0 eine Phase gab, in der sich der BVB weiter in die eigene Hälfte zurückzog, zu passiv wurde und so dem VfB die Möglichkeit gab, sich ins Spiel zu arbeiten. Diesmal aber kamen die Tore zum richtigen Zeitpunkt. Spätestens mit dem 3:0 durch Giovanni Reyna war alles klar.

Bei einigen Angriffen zeigten die Dortmunder, wie gut sie sein können, wenn sie mit Intensität und Aggressivität spielen. Hohe Ballgewinne, schnelle Umschaltsituationen und die Lust der Offensivspieler, immer wieder in die Tiefe zu gehen - setzten die Schwarz-Gelben das um, waren verunsicherte Stuttgarter ebenso chancenlos wie einige andere Teams in den letzten Wochen.

Nur muss trotz des deutlichen Ergebnisses auch gegen den VfB wieder die Frage gestellt werden, warum es dem BVB nicht gelang, diese Spielfreude dauerhaft auf den Platz zu bringen. Warum man sich viel zu oft der großen Stärken beraubt, indem man sich in die eigene Hälfte zurückzieht, statt Druck aufzubauen.

BVB profitiert von schwacher VfB-Abwehr

"Es tut trotzdem gut, nicht ganz so viel schimpfen zu müssen", sagte Terzic erleichtert. Doch zur Wahrheit gehört eben auch, dass Dortmund mit Stuttgart den perfekten Gegner hatte. "Das war heute katastrophal von uns. Alle fünf Gegentore sind ohne Gegnerdruck. In unserer Situation dürfen wir uns so nicht anstellen", analysierte VfB-Keeper Florian Müller bei Sky.

In diesem Kontext war der BVB sogar noch zu harmlos. Viele der Probleme, die in den letzten Wochen schon offensichtlich waren, zeigten sich gegen überforderte Schwaben ebenfalls - nur eben auf ganz anderem Niveau. Terzic lobte, dass die fünf Treffer größtenteils schön herausgespielt waren. Zumindest auf das 2:0 (Standardsituation) und das 4:0 (Einzelaktion) trifft das nicht zu. In vielen anderen Szenen waren die Dortmunder zudem genauso unpräzise wie zuletzt. Einzig die Effizienz konnte das überdecken.

Dortmund verschenkte einige Möglichkeiten schon im Ansatz, das Ergebnis hätte noch deutlich höher ausfallen müssen. Nach wie vor steht und fällt im Spiel nach vorn alles mit Bellingham, der mit seiner Omnipräsenz seine beiden Tore quasi im Alleingang einleitete.

Im konkreten Fall mag diese Kritik durch das 5:0 verpuffen. Intern wurde im Vorfeld abermals intensiv diskutiert. "Wir haben daraus hoffentlich ein für alle Mal gelernt", sagte Brandt bei Sky.

Auch dieser Satz ist sinnbildlich. Nicht nur, weil sich der Inhalt dieser Gespräche seit Jahren unter jedem Trainer wiederholt, sondern weil vieles beim BVB dieser Tage auf Hoffnung beruht. Darauf, dass ein vermeintlicher Knoten platzt. Aber gibt es diesen überhaupt?

BVB: Der Sieg sollte nicht überbewertet werden

Fälschlicherweise wird im Umfeld des BVB oft über Mentalität oder Konstanz diskutiert. Würde es nur darum gehen, die Leistung gegen den VfB Stuttgart auf den Alltag zu transferieren, wäre die Lösung schnell gefunden. Andere Bundesliga-Teams hätten die Schwarz-Gelben für die Nachlässigkeiten kurz vor der Pause aber bestraft.

Mental ist Dortmund deutlich stärker, als gerne unterstellt wird. Es liegt sicher nicht daran, dass die Spieler nicht wollen. Die vermeintliche Inkonstanz der Dortmunder resultiert aus mangelnder Qualität - in der Spielanlage ebenso wie auf einzelnen Positionen.

Das Einzige, was wirklich schwankt, sind die Möglichkeiten der Gegner, die offensichtlichen Schwächen zu nutzen. Der VfB war dazu nicht in der Lage. Deshalb sollte dieser Sieg nicht überbewertet werden. Gegen Manchester City und Eintracht Frankfurt könnte die schwarz-gelbe Achterbahn schon sehr bald wieder Höhenmeter verlieren.

Harsch wirkt dieses düstere Szenario nur deshalb, weil Entwicklungen viel zu oft an einzelnen Ergebnissen festgemacht werden. Nach einer durchschnittlichen Leistung gegen einen teils desolaten VfB ist eine überschwängliche Lobeshymne allerdings nicht angebracht.

Für den Moment mag das Leben in Dortmund durch das 5:0 trotzdem wieder einfacher geworden sein. Doch die Frage ist beim BVB fast schon traditionell immer dieselbe: Wie lange noch?

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