Bayern-Juwel Joshua Zirkzee wird zum Last-Minute-Helden: Brazzos Prophezeiung und der Tritt auf die Bremse

Von Dennis Melzer
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© getty

Joshua Zirkzee schießt den FC Bayern München bei seinem Bundesliga-Debüt zum Sieg beim SC Freiburg. Im Anschluss gibt es viele Ratschläge und einen Tritt auf die Euphorie-Bremse.

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"Das kann doch nicht wahr sein! Es steht 1:1 und der bringt in der Nachspielzeit einen Amateur ins Spiel", brüllte ein sichtlich aufgebrachter Bayern-Fan, der sich neben der Pressetribüne erhoben hatte, in Richtung Hansi Flick. Der Auslöser für die Kritik: Flick hatte soeben einem 18-Jährigen, namentlich Joshua Zirkzee, zu dessen Bundesliga-Debüt verholfen und Superstar Philippe Coutinho vom Feld genommen. Stürmer für Mittelfeldspieler, in einer Phase, in der die Hausherren vom SC Freiburg drauf und dran waren, die Partie noch für sich zu entscheiden.

Das eingegangene Risiko des Trainers dürfte allerdings nicht der Grund für die Zornesröte im Gesicht des Schlachtenbummlers aus der bayrischen Landeshauptstadt gewesen sein. Vielmehr traute der rot-weiß-beschalte Herr dem Eingewechselten allem Anschein nach nicht zu, dass dieser noch irgendeinen positiven Einfluss aufs Spielgeschehen nehmen könnte. Exakt 104 Sekunden später war die Wut gewichen, stattdessen herrschte plötzlich grenzenloser Jubel.

Erinnerungsselfie auf dem Rasen

Weil besagter Zirkzee in der 92. Minute einen Pass von Serge Gnabry zum 2:1 veredelt hatte. Kollektives Aufspringen von der Münchner Bank, Spielertraube um den Youngster, der gleich bei seinem ersten Einsatz in Deutschlands Beletage zum Helden avancierte. Ein unvergesslicher Moment für den jungen Niederländer, der im Anschluss an die Partie noch auf dem Rasen via Daumenhoch-Selfie festgehalten wurde.

Doch wer ist der großgewachsene Lockenkopf, der urplötzlich Gesprächsthema Nummer eins an diesem Dezemberabend war? Tatsächlich kein gänzlich Unbekannter, sofern man sich regelmäßig über die Entwicklungen beim deutschen Rekordmeister informiert, steht der Angreifer doch bereits seit Sommer 2017 bei den Bayern unter Vertrag.

Joshua Zirkzee kam 2017 von Feyenoord zum FC Bayern

Damals war er als eines der meist umworbenen Talente Europas von Feyenoord an die Isar gewechselt und hatte gleich in seiner ersten Saison für die FCB-U17 seine Vorschusslorbeeren als treffsicherer Mittelstürmer zurückgezahlt, in 16 Spielen satte 15 Treffer und neun Vorlagen beigesteuert.

Zu Beginn der vergangenen Saison absolvierte der Rohdiamant im Alter von 17 Jahren bereits die Sommer-Vorbereitung mit den Profis, für die er erstmals im Rahmen eines Testspiels gegen Paris Saint-Germain in Klagenfurt zum Einsatz kam und damals auch eine Gnabry-Vorlage erfolgreich verwertete. Am Ende der Spielzeit 2018/19 standen in 14 Spielen für die A-Jugend zwölf Tore zu Buche, viermal knipste er für die zweite Mannschaft in der Regionalliga Bayern.

Sebastian Hoeneß: Zirkzee? "Ein besonderer Stürmertyp"

Derzeit kommt der Torjäger vornehmlich für die mittlerweile drittklassige Bayern-Zweitvertretung unter Coach Sebastian Hoeneß zum Einsatz, mit dem er schon in der U19 zusammengearbeitet hatte. "Er ist definitiv ein besonderer Stürmertyp, den es nicht mehr häufig zu finden gibt", sagte Hoeneß im Gespräch mit SPOX und Goal im März dieses Jahres Er ergänzte: "Er ist groß und athletisch, verfügt aber dennoch über einen weichen Bewegungsablauf und eine starke Technik. Zudem ist er beidfüßig. Auch im Eins-gegen-Eins hat er Stärken, muss aber auch noch lernen, dahin zu gehen, wo es wehtut."

Ganz ähnlich fasste Sportdirektor Hasan Salihamidzic Zirkzees Qualitäten ein, als er vor die Reporter trat. "Er ist ein richtig guter Junge und eines der größten Talente unserer Akademie. Er ist groß, hat aber dennoch eine tolle Ballbehandlung und eine sehr gute Technik", erklärte Brazzo und prophezeite dem niederländischen U19-Nationalspieler: "Dadurch, dass er bei den Profis mittrainiert, lernt er viel und wird sich sicherlich zu einem richtig guten Spieler mit großer Klasse entwickeln."

Auch David Alaba erwartet, dass Zirkzee eine vielversprechende Zukunft vor sich hat: "Er wird sicherlich seinen Weg gehen. Joshua hat sich vom ersten Tag an super in die Mannschaft integriert, gibt Gas und will immer lernen. Es ist sehr schön, dass er sich heute belohnt hat." Flick, der mit Zirkzees Einwechslung ein goldenes Händchen bewiesen hatte, freute sich im Bauch des Schwarzwald-Stadions ebenfalls für seinen Schützling: "Er macht es bei uns im Training ganz gut. Wenn man regelmäßig mit solchen Weltklasse-Spielern trainieren kann, findet eine Entwicklung statt, das ist schön zu sehen."

Der Tritt auf die Euphorie-Bremse

Bei allem Lob hoben die Protagonisten berechtigterweise den mahnenden Zeigefinder und verdeutlichten, dass es wichtig sei, im richtigen Moment auf die Euphorie-Bremse zu treten.

Hermann Gerland, Interims-Co-Trainer bei den Profis und sportlicher Leiter am Campus in Personalunion, wollte sich in Freiburg nicht großartig äußern, sondern merkte nur an, dass Zirkzee noch an sich arbeiten müsse, ehe Flick auf einen "weiten Weg" verwies, den es noch zu gehen gelte, um sich als Profi zu etablieren. "Heute hat er sich belohnt und damit auch die Mannschaft. Aber es sollen alle schön auf dem Boden bleiben. Es bleibt noch viel zu tun und daran arbeiten wir einfach, um beim FC Bayern wieder Talente zu entwickeln", schob der 54-Jährige nach.

David Alaba: "Talent alleine reicht nicht"

Alaba schlug in die gleiche Kerbe: "Er ist ein Junge mit sehr viel Potenzial, besitzt ein Talent, das nicht jeder hat. Talent alleine reicht aber nicht. Er muss sicherlich versuchen, noch mehr zu arbeiten." Letztlich fassten alle Beteiligten das zusammen, was Hoeneß vor neun Monaten bei Goal und SPOX als Marschroute für Zirkzee vorgab: "Er muss wie alle Talente in seinem Alter noch stetig an sich arbeiten. Er muss wissen, dass er noch nichts erreicht hat und darf sich nie zufriedengeben. Sein Ziel muss es sein, das Bestmögliche zu erreichen."

Für den Moment war jedenfalls das Bestmögliche, den Bayern im vorletzten Spiel des Jahres noch drei wichtige Punkte zu bescheren. Und was sagte der Mann des Abends zu dem ganzen Trubel um seine Person? Nichts. Ab durch die Mitte, schweigend und genießend, machte Zirkzee sich auf zum Mannschaftsbus. Um am nächsten Tag bereits wieder an sich zu arbeiten. Damit ihn niemand mehr despektierlich als "Amateur" bezeichnet.

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