Erst vor einigen Tagen, beim Wintertrainingslager der Reservemannschaft von Ajax Amsterdam in La Manga, hat Manuel Baum Nicolas Kühn letztmals getroffen. Er hat einen 20-jährigen Fußballer getroffen, der mit seiner aktuellen Situation unzufrieden ist. "Da hat er erzählt, dass er nicht so vorankommt, wie er sich das vorstellt", sagt Baum, Kühns Trainer in der deutschen U20-Nationalmannschaft, vor dem Wechsel gegenüber SPOX und Goal. Kühns Plan war ja eigentlich, im Januar 2020 nichts mehr mit der Reservemannschaft von Ajax zu tun zu haben.
Vor zwei Jahren wechselte er für zwei Millionen Euro von RB Leipzig zu Ajax. 18 war er damals und einer der umworbensten Spieler Europas, unter anderem soll auch der FC Barcelona an einer Verpflichtung interessiert gewesen sein. "Ich hoffe, dass ich ab Sommer Teil der ersten Mannschaft sein kann", sagte Kühn bei seiner Vorstellung. "Ich hoffe, dass es schnell nach oben geht."
Doch es ging nicht schnell, sondern gar nicht nach oben. Obwohl der Offensivallrounder mit den Profis trainierte, reichte es zu keinem einzigen Einsatz. Kühn spielte lediglich für die A-Jugend sowie die Reservemannschaft in der zweiten Liga. Mittlerweile ist er 20 Jahre alt - und steht laut übereinstimmenden Berichten vor einem Leihwechsel bis kommenden Sommer zum verletzungsgeplagten FC Bayern München. Sein Vertrag bei Ajax läuft noch bis 2021.
Baum rät Kühn zu Wechsel zum FC Bayern
"Eine Veränderung wäre für seine Entwicklung die richtige Entscheidung und ich glaube, dass ein Wechsel zum FC Bayern gut passen würde - auch wenn er zunächst nur für die Reservemannschaft in der 3. Liga spielen würde", sagt Baum. Passen würde es laut Baum vor allem wegen der Trainer.
Da wäre Reservetrainer Sebastian Hoeneß, der viel von Kühn hält, ihn einst zu Leipzig holte und dort trainierte. "So eine Bezugsperson ist sehr wichtig für ihn und seine Leistungen", sagt Baum. Und da wäre auch der Profitrainer Hansi Flick, "unter dem die Durchlässigkeit aus dem Nachwuchsbereich größer geworden ist". Wegen der anhalten Verletzungsprobleme teils jedoch gezwungenermaßen.
Kühn ist ein Spieler, dessen Leistungen mehr als bei anderen vom jeweiligen Trainer abhängen. "Er ist ein ruhiger Typ, der eine intensive Beziehung zu seinem Trainer braucht. Man muss sehr viel mit ihm sprechen, um ihm ein gutes Gefühl zu geben. Erst wenn er dieses gute Gefühl hat, kann er sein Potenzial abrufen", sagt Baum. "Bei uns in der U20 funktioniert das sehr gut, in Amsterdam ist das leider nicht so der Fall."
Kühn in Leipzig: Missverständnis mit Transfer-Wirbel
Die Karrierestation Ajax ist schon die zweite, die für Kühn nicht wie erwünscht funktioniert. Geboren in der Nähe von Hannover spielte Kühn zunächst beim FC St. Pauli und dann von 2011 bis 2015 bei Hannover 96, wo Leipzig auf den damals 15-Jährigen aufmerksam wurde. "Wir haben wirklich alles versucht und ihm ein Angebot wie nie zuvor für so einen jungen Spieler gemacht", sagte Hannovers Leiter der Nachwuchsabteilung Nicolas Michaty damals der Bild. "Aber RB ist unglaublich aggressiv und scheint unbegrenzte finanzielle Möglichkeiten zu haben."
Womöglich war das Vorgehen aber nicht nur aggressiv, sondern auch regelwidrig. Wie der NDR und der Spiegel berichteten, soll sich Leipzig über Transfer-Regularien hinweggesetzt haben. Angeblich habe der Klub eine Agentur mit dem Transfer beauftragt, obwohl es Beratern laut DFB-Vorgaben nicht erlaubt ist, mit Transfers von unter 16-Jährigen Geld zu verdienen. Leipzig dementierte dies später, der DFB verzichtete wegen fehlender Beweise auf Ermittlungen.
Sportlich verkam der Wechsel zu einem Missverständnis, Kühn passte einfach nicht in Leipzigs Überfall-Philosophie, die von der Jugend bis zu den Profis durchgängig umgesetzt wird. Er spielt lieber mit dem Ball, als ihn zu jagen, er will dominieren und nicht kontern. "Der Umschaltfußball liegt ihm weniger. Deswegen hat es bei Leipzig nicht funktioniert", sagt Baum.
Baum sieht Kühn auf der Zehn am stärksten
Im Januar 2018 ging Kühn dann zum Ballbesitz-Verein Ajax, bei dem seine Fähigkeiten eigentlich gefragt waren. Kühn ist ein Freigeist, einer, der sich was traut und ins Risiko geht. "Er ist sehr spielintelligent, technisch hochbegabt, kreativ, torgefährlich und vor allem mit dem Ball wahnsinnig schnell", lobt Baum. Mit seinem linken Fuß kann Kühn vieles, womöglich sogar alles.
Seine Ausbeute auf dem Rasen bei Ajax ist dennoch wenig beeindruckend, sie reichte nicht für eine Beförderung zu den Profis. In 43 Ligaspielen für die Reservemannschaft gelangen Kühn fünf Tore und sechs Assists - womöglich wurde er auch falsch eingesetzt. Bei Ajax spielte er hauptsächlich auf dem rechten Flügel, Baum sieht ihn jedoch auf der Zehn am stärksten, wo ihm in vier U20-Länderspielen im vergangenen Herbst zwei Treffer und drei Assists gelangen.
Seit der U15 ist Kühn für alle deutschen U-Nationalmannschaften aktiv, mit der U17 erreichte er bei der Weltmeisterschaft 2017 das Viertelfinale. Im vergangenen Jahr bekam er die Fritz-Walter-Medaille in Gold, die höchste Auszeichnung für einen Jugendspieler. Kühn ist zweifellos eines der größten Fußballversprechen Deutschlands - den Klub, wo er es einlösen kann, hat er jedoch noch nicht gefunden. Wird es der FC Bayern?
"Mit seinen Qualitäten passt er perfekt zu einem Verein, der so dominant agiert wie der FC Bayern", sagt Baum. "Aus meiner Sicht könnte er ohne Anpassungszeit sofort in der Bundesliga spielen - und dort für Furore sorgen."
Nicolas Kühns Leistungsdaten
Saison | Liga | Verein | Spiele | Tore | Assists |
2014/15 | U17-Bundesliga | Hannover 96 | 2 | 2 | - |
2015/16 | U17-Bundesliga | RB Leipzig | 22 | 18 | 1 |
2016/17 | U17-Bundesliga | RB Leipzig | 13 | 6 | 4 |
2016/17 | U19-Bundesliga | RB Leipzig | 8 | 2 | 1 |
2017/18 | U19-Bundesliga | RB Leipzig | 5 | - | - |
2017/18 | U19-Eredivisie | Ajax Amsterdam | 3 | 3 | 2 |
2017/18 | 2. Liga | Ajax Amsterdam | 5 | - | 1 |
2018/19 | U19-Eredivisie | Ajax Amsterdam | 5 | 2 | 3 |
2018/19 | 2. Liga | Ajax Amsterdam | 21 | 2 | 3 |
2019/20 | 2. Liga | Ajax Amsterdam | 17 | 3 | 2 |