Rayan Cherki vor Wechsel zum BVB: Das Enfant terrible, dem das Potenzial aus den Ohren läuft

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Rayan Cherki löste nach seinem Debüt für Olympique Lyon in Frankreich einen Hype aus, der an jenen rund um Kylian Mbappé erinnerte. Später steckte man den offensiven Mittelfeldspieler in die Schublade der schlampigen Genies. Was kann der 20-Jährige beim BVB einbringen, sollte der Transfer über die Bühne gehen?

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Während seiner Zeit bei Borussia Dortmund hat Jürgen Klopp oft eine Art Redewendung benutzt, um das große Talent einzelner Spieler oder gleich der gesamten Mannschaft zu beschreiben. Da laufe das Potenzial aus den Ohren, sagte der Trainer - und das trifft exzellent auch auf Rayan Cherki zu, der kurz vor einem Wechsel von Olympique Lyon zum BVB stehen soll.

Der offensive Mittelfeldspieler hat beim Klub seiner Geburtsstadt gleich mehrere Rekorde gebrochen. Als Cherki erstmals für OL im Profifußball auflief, entstand ein Hype, der mit der Zeit immer riesiger wurde und damit an jenen erinnerte, den ein paar Jahre zuvor Kylian Mbappé ausgelöst hatte.

"Man sollte nicht zu viel über das Alter reden", lautete der Inhalt eines Tweets von Mbappé vom 19. Januar 2020. Cherki hatte am Vorabend beim Pokalspiel in Nantes sein Startelfdebüt für Lyon gegeben, mit 16. Neun Minuten nach Anpfiff hatte er bereits zwei Tore geschossen, die beiden weiteren Treffer zum 4:3-Sieg bereitete er vor. Schon eine Woche zuvor war Cherki mit 16 Jahren und 140 Tagen nach einem Treffer gegen Bourg-en-Bresse zum jüngsten Torschützen der OL-Historie geworden.

Und diese ist bekanntlich lang. Lyon brachte schon zahlreiche Hochkaräter heraus, allen voran Karim Benzema oder auch Anthony Martial, Alexandre Lacazette, Hatem Ben Arfa. Bei Cherki jedoch war auch etwas Glück dabei. Wäre dieser nicht im Alter von sechs Jahren mit seinem Ball unterm Arm auf einem Parkplatz aufgekreuzt, der zufällig vorbeilaufende Lyon-Jugendcoach hätte ihn nicht beim Jonglieren gesehen. "Er schlug dann vor, dass ich mal ein Probetraining absolviere", erinnerte sich Cherki.

Rayan Cherki, Olympique Lyon
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Rayan Cherki brach bei Olympique Lyon zahlreiche Rekorde

"Er ist ein Junge, der immer wieder neue Dinge kreiert. Er macht das Unerwartete und zieht die Aufmerksamkeit aller auf sich: Mitspieler, Trainer, Gegner, Fans", sagte sein langjähriger Nachwuchstrainer Jean-Baptiste Gregoire. Cherki setzte sich schon früh von der Masse ab. Auch die einjährige Pause mit 13 aufgrund einer sogenannten Osteochondritis im Knie, die bei Sportlern im Jugendalter auftreten und das Wachstum hemmen kann, konnte Cherkis großem Talent nichts anhaben.

Im September 2018 wurde er mit 15 Jahren und 33 Tagen zum jüngsten Torschützen der Youth League, zwischenzeitlich hat ihn sein womöglich baldiger Klubkamerad Youssoufa Moukoko überholt. Zwei Monate später gelang ihm, immer noch 15, gegen Auxerre bei der U17 ein Hattrick innerhalb von fünf Minuten. Im November 2019, einem Monat nach seinem ersten Auftritt in der Ligue 1, debütierte Cherki für Lyon in St. Petersburg in der Champions League, wo er bis heute viertjüngster Spieler der Geschichte ist (16 Jahre und 102 Tage). Fünf seiner ersten 14 Pflichtspieltore waren Siegtreffer.

Kurz darauf verriet der ewige OL-Präsident Jean-Michel Aulas, dass Real Madrid und Manchester United äußerst interessiert seien, Cherki zu verpflichten. Doch seine Unterschrift unter den ersten Profivertrag bekam Lyon. An jenem Tag, so sagte es Cherki vor ein paar Monaten im Interview mit So Foot, hatte ihn Aulas noch nicht einmal im Aufzug erkannt.

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Rayan Cherki steckt in der Schublade der schlampigen Genies

Dass der Wirbel um Cherki seit jeher so groß ist, hat auch mit seinem Spielstil und der Ausdrucksweise auf dem Platz zu tun. Der mittlerweile 20-Jährige ist nicht nur beidfüßig, weil er seinen einst schwächeren rechten Fuß schon ab dem Alter von vier Jahren regelmäßig trainierte. Cherki ist ein Künstler auf dem Feld, ein Dribbler mit herausragender Technik und sensationellem Spielverständnis.

Zur selben Zeit steckte man ihn aber auch in die Schublade der schlampigen Genies. Zu häufig demonstrierte er eine schlechte Körpersprache, beschwerte sich auf dem Platz, agierte zu eigensinnig oder neigte zur Launenhaftigkeit. Dieses Verhalten wurde ihm dann als Arroganz, als Abgehobenheit eines Übertalentierten ausgelegt.

"Ich haben nie jemanden respektlos behandelt. Ich habe nie Allüren an den Tag gelegt. Wenn ich laufen muss, dann laufe ich. Wenn ich Krafttraining machen muss, mache ich es. Ich habe zweifellos Fehler gemacht, aber du musst Fehler machen, um zu reifen", sagte Cherki. "Man war immer sehr hart zu mir, weil man von Spielern, die anders sind, mehr erwartet."

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Was kann Rayan Cherki beim BVB einbringen?

Vielleicht ist es nun genau die richtige Entscheidung für ihn, den Weg in ein anderes Land zu suchen, wo man von den Vorurteilen und seinem Image kaum etwas weiß. In Frankreich bliebe Cherki das Enfant terrible. Das zeigt sich auch jetzt wieder: Dass ihn Paris Saint-Germain trotz weit fortgeschrittenen Gesprächen nicht bekam, hat dort für viel Verärgerung gesorgt.

Allerdings, so ist zu hören, war im Gegensatz zu Sportdirektor Luis Campos besonders PSG-Präsident Nasser Al-Khelaifi nicht sehr scharf auf Cherki - da die Agentur, die diesen beratend vertritt, von Mbappés Mutter gegründet wurde. Den Wechsel ihres Sohnes zu Real Madrid scheint Al-Khelaifi noch nicht überwunden zu haben. Er möchte mit dieser Familie nichts mehr zu tun haben, heißt es.

Was aber kann Cherki beim BVB einbringen, um sich als Verstärkung zu erweisen? Neben seinen umfangreichen fußballerischen Fertigkeiten ist es bei ihm wichtig, ihn auf der richtigen Position einzusetzen. Cherki ist ein Zehner oder Neuneinhalber, der im Zentrum eines 4-2-3-1 oder 4-3-1-2 agieren muss und sich in einem Team mit viel Ballbesitz wohlfühlt.

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Rayan Cherki und seine Gedanken zum "wahren Dribbling"

Bei Lyon spielte er auch einige Male auf der rechten Außenbahn in einem 4-3-3, doch dort kommt zum Tragen, dass er nicht über eine sehr hohe Endgeschwindigkeit verfügt. In engen Räumen findet sich Cherki dagegen bestens zurecht, dann kommen seine Stärken beim ersten Kontakt und im Dribbling zur Geltung. Er ist auch ein guter Passgeber und Abschlussspieler.

Gerade hinsichtlich der Dribblings gab Cherki einen interessanten Einblick in seine Denkweise: "Im Gegensatz zu dem, was viele denken, mag ich das Eins-gegen-eins nicht. Für mich ist das kein Dribbling, sondern da geht es nur um Durchschlagskraft. Im Zentrum musst du dein Dribbling und deine Verrücktheit ausspielen, denn um dich herum hast du dort nicht einen Spieler, sondern zwei oder drei. Das ist das wahre Dribbling. Auf dem Flügel ist es ein 'Ich lege den Ball an dir vorbei und wir werden sehen, wer von uns schneller ist und vor die Schulter des anderen kommt'." Doch er fügte auch an: "Ich hoffe, dass es mir eines Tages gelingen wird, Vergnügen und Effizienz zu verbinden."

Genau das ist die Crux bei ihm: Cherki muss auf dem Feld noch eine bessere Ausgewogenheit hinkriegen, um einerseits sein überbordendes Talent einzubringen, aber auch gerade im Defensivverhalten die Wege zu gehen, die es im modernen Fußball benötigt. Diese Balance zu finden, wird eine der Hauptaufgaben für BVB-Trainer Nuri Sahin sein. Seinen Coaches in Lyon, Rudi Garcia, Peter Bosz, Laurent Blanc und Pierre Sage, gelang das nur phasenweise.

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Rayan Cherki und die Probleme mit seinen bisherigen Trainern

Alle vier entschieden sich während ihrer Amtszeit, Cherki für längere Dauer auf die Bank zu verfrachten. Während seiner ersten drei Spielzeiten als Profi kam Cherki in 40 von 49 Ligaspielen nur als Einwechselspieler zum Einsatz und absolvierte im Durchschnitt 26 Minuten pro Partie.

"Er hat die große Fähigkeit, Spieler zu überwinden, aber er setzt sie zu oft und nicht besonders klug ein", sagte etwa Garcia bereits 2020. Auch Blanc befand ein paar Jahre später, dass Cherkis Stil zu individualistisch sein kann, seine Entwicklung müsse sorgfältig gesteuert werden. In der Saison 2022/23 gehörte Cherki in Bezug auf Zweikämpfe, abgefangene und geblockte Bälle sowie gewonnene Luftduelle zu den untersten 15 Prozent der Flügelspieler und offensiven Mittelfeldspieler der fünf großen europäischen Ligen.

Auch Thierry Henry, Cherkis Trainer in der französischen U23-Nationalelf, mit der er in Bälde bei Olympia teilnimmt, richtete schon mahnende Worte an ihn. In der Länderspielperiode im März wollte Henry Cherki nicht nominieren, tat dies dann aber aufgrund von Verletzungen doch noch.

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BVB: Rayan Cherki als Nachfolger von Marco Reus?

"Seinen Namen nicht auf der Liste zu sehen, hätte ihn ärgern müssen. Er muss Beständigkeit zeigen, denn es ist ein großer Unterschied, ob man manchmal Charakter zeigt oder ständig", sagte Henry - und lobte Cherki zugleich: "Ich habe noch nie einen Spieler in der Geschichte gesehen, der so schnell dribbeln kann, mit beiden Füßen. Er hat sehr jung ein fulminantes Debüt hingelegt. Dass er heute nicht in der Startelf steht, das bedeutet, was es bedeutet."

In diesen Phasen, in denen es nicht rund läuft, greift Kinoliebhaber Cherki, der Cristiano Ronaldo als sein Vorbild nennt, zur Tinte. "Manchmal, wenn ich mich nicht gut fühle, wenn es schwer ist, schreibe ich. In ein Notizbuch. Das Datum, die Uhrzeit, alles, was mir in den Sinn kommt. Ich nehme meinen Füller und schreibe in aller Ruhe. Das entspannt mich", sagte er.

Man darf gespannt sein, wie oft sich Cherki in Dortmund schreiberisch betätigen wird. Er kommt beim BVB in ein Gebilde, das fragil ist und sich abermals im Umbruch befindet. Als potentieller Nachfolger von Marco Reus sieht er sich mit Julian Brandt starker und etablierter Konkurrenz gegenüber. Bei Cherki wird Sahin seine vollen Künste als Trainer und Menschenfänger anwenden müssen. Gelingt auch dem Spieler der nächste Schritt, könnte sich die kolportierte Ablösesumme von 15 Millionen Euro als Schnäppchen erweisen.

BVB: Rayan Cherki und seine Statistiken als Profi von Olympique Lyon

WettbewerbSpieleToreVorlagenSpielminuten
Ligue 11166164839
Coupe de France17961241
Coupe de la Ligue2--110
Champions League2--32
Europa League423287
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