BVB - Niklas Süle und der Aufschwung bei Borussia Dortmund: Der vorläufige Hellseher

suele
© getty

Kürzlich wurde er als "Dreisitzer-Sofa" verunglimpft, hat für das Spiel von Borussia Dortmund aber einen Wert, der sich in beide Richtungen des Spielfelds bemisst: Niklas Süle ist längst Leistungsträger beim BVB geworden - und bringt offenbar hellseherische Fähigkeiten mit.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Vor der WM-Pause hatte man den Eindruck, dass Niklas Süle und Borussia Dortmund ganz gut zusammenpassen. Das lag jedoch weniger an zahlreichen besonders starken Leistungen des ablösefreien Sommer-Neuzugangs, sondern war vielmehr in der jeweiligen Ambivalenz begründet.

Auf der einen Seite der BVB, bei dem sich ein paar gute mit einigen verheerenden Auftritten abwechselten, der sich leicht übertölpeln ließ, schwer erklärbare Fehler beging und zu weich war, wenn es hart für die Borussia wurde. Und dies alles trotz der hohen individuellen Qualität im zweitteuersten Kader der Bundesliga, die immer mal wieder, aber viel zu inkonstant aufblitzte.

Und auf der anderen Seite Süle, dessen gesamte Karriere schon vom Kampf um Anerkennung und Wertschätzung begleitet wird, obwohl er auf Vereinsebene bereits 14 Titel gewann - als Stammspieler beim FC Bayern München, dem erfolgreichsten Klub des Landes. Innenverteidiger Süle brillierte dort auf dem Spielfeld bisweilen, doch was im öffentlichen Gedächtnis hängengeblieben ist, sind eher seine schwachen Spiele oder Kontroversen um eine vermeintlich zu wenig professionelle Ernährung.

Vieles davon hängt vermutlich mit Süles Physiognomie zusammen. Der 1,95 Meter-Hüne kann ganz naturgemäß staksig in seinen Bewegungen wirken und ist ein reines Kraftpaket. Kein Wunder also, dass der Instagram-Verweigerer Süle von seinem Mitspieler Marius Wolf kürzlich auf einem Foto kreativ markiert wurde: Wolf hinterlegte bei Süle den Link zu einem 799 Euro teuren Kühlschrank.

BVB: Wert von Niklas Süle bemisst sich in beide Richtungen

Selbst für die seriöse englische Zeitung Guardian erinnert Süle an ein "Dreisitzer-Sofa, das man in ein Fußballtrikot gepresst hat", wie dort nach den Duellen mit dem FC Chelsea in der Champions League über den 27-Jährigen geschrieben stand. Wie die gesamte Mannschaft erwischte Süle an der Stamford Bridge einen gebrauchten Tag, doch ansonsten muss man festhalten, dass der ehemalige Bayern-Spieler in der laufenden Saison nur zwei weitere wirklich schwache Partien ablieferte: Am 8. Spieltag in Köln (2:3) sowie am 15. in Gladbach (2:4).

Ansonsten agiert Süle mehr als solide, im Jahr 2023 - auch hier wie die gesamte Mannschaft - sogar überaus souverän. 26 seiner bislang 32 Pflichtspiele absolvierte er von Beginn an, fünf Torbeteiligungen (ein Treffer, vier Vorlagen) können sich für einen Abwehrspieler durchaus sehen lassen.

Süles Wert für den BVB bemisst sich in beide Richtungen des Spielfelds: In der Defensivarbeit ist er eher der Typ, der die Tiefe und den Laufweg seines Gegenspielers mit aufnimmt und diesen dann im Laufduell abkocht - während Nico Schlotterbeck und Mats Hummels deutlich häufiger vorwärts verteidigen.

Niklas Süle fünftschnellster Innenverteidiger der Bundesliga

Süle kann so spielen, weil er trotz seines Körperbaus eine sehr hohe Endgeschwindigkeit erzielt, die man ihm auf den ersten Blick vielleicht gar nicht zutraut. Doch Süles Top-Tempo in dieser Saison von 34,6 Stundenkilometern wird nur von vier anderen Innenverteidigern der Liga überboten (Wolfsburgs Micky van de Ven mit 36,4 km/h, Bayern Dayot Upamecano mit 35,7 km/h, Wolfsburgs Maxence Lacroix mit 35,2 km/h und Stuttgarts Konstantinos Mavropanos mit 34,7 km/h).

Riskante Tacklings benötigt Süle daher selten. Wenn er aber doch zur Grätsche ansetzt, ist keiner erfolgreicher als er: Mit einer Quote von 79 Prozent hat Süle den Topwert unter allen Innenverteidigern der Bundesliga, die mindestens gleich viele Tacklings versuchten wie er (14). Entsprechend selten spielt Süle Foul, kein anderer Innenverteidiger kommt auf einen geringeren Foulspiel-Schnitt pro 90 Minuten (0,4). Eine Gelbsperre musste Süle in seiner Karriere noch nie absitzen.

Mit Ball am Fuß ist der 45-malige Nationalspieler ebenfalls wichtig. Nicht nur, weil dies häufig geschieht - lediglich Schlotterbeck (88) kommt auf mehr als Süles durchschnittlich 87 Ballaktionen pro Spiel. Seine Passquote von 90 Prozent wird sogar nur von drei anderen Innenverteidigern überboten (Bayerns Matthijs de Ligt mit 91 Prozent sowie die beiden Gladbacher Ko Itakura mit 92 und Nico Elvedi mit 93 Prozent).

Niklas Süle, BVB
© getty

Niklas Süle und seine hellseherischen Fähigkeiten

Neben der Ruhe an der Kugel sind es vor allem die linienbrechenden Flachpässe im Spielaufbau, die Süle so wertvoll für das BVB-Spiel machen. Sie überspielen das gegnerische Pressing und setzen die Offensivspieler in Szene, die dann zwischen den Linien aufdrehen können. Beispielhaft war das bei seiner Vorlage zum 4:0 gegen Köln zu sehen, wobei Süle auch in der Entstehung der drei vorherigen Tore jeweils seine Füße im Spiel hatte.

Dortmund und Süle haben in diesem Jahr die Ambivalenz abgeschüttelt. Die nun so hohe Konstanz in den Leistungen war kaum absehbar, ebenso wenig wie die Tatsache, dass sie aufgrund eines schwächelnden FC Bayern zur ersten Tabellenführung seit 2019 führte. Vielleicht hätte man Süles Worte vor dem Start nach der WM-Pause aber auch mehr Beachtung schenken und nicht mit reichlich Häme begegnen sollen.

"Die Tabellensituation ist nur eine vorläufige", hatte er im Januar der Welt am Sonntag gesagt und war dafür in den sozialen Medien vielfach belächelt worden, weil die Borussia fünf Plätze und neun Zähler hinter der Tabellenspitze lag. "Ich kann mich noch gut erinnern, dass der BVB einmal neun Punkte vor den Bayern stand und am Ende dann doch die Bayern Meister geworden sind." Man sei "weit davon entfernt", sagte Süle, die Saisonziele "schon aufzugeben".

Ob Süles hellseherische Fähigkeiten wie das Tabellenbild im Winter nur vorläufig sind, bleibt noch rund zwei Monate abzuwarten. Nur kurz nach den von Trainer Edin Terzic als "bislang wichtigste Woche der Saison" ausgerufenen acht Tagen, die mit dem Aus in der CL sowie dem Punktverlust im Revierderby zwei Enttäuschungen bereithielten, steht Süle mit dem BVB jedoch bald erneut vor einer möglicherweise entscheidenden Phase.

Niklas Süle lobt "ganz geile Dynamik" beim BVB

Beginnend mit dem Spitzenspiel in München am 1. April kommen auf die Westfalen sieben Tage zu, in denen sich vieles zuspitzen kann. Kurz darauf geht es in Leipzig nämlich um das Pokal-Halbfinale, anschließend wartet vor heimischem Publikum gegen Union Berlin ein unangenehmer Gegner, der nur fünf Punkte hinter den Schwarzgelben rangiert. "Wir sind dabei, wenn es um die Wurst geht", frohlockte Terzic am Samstag.

"Ich glaube, dass es keinen in der Mannschaft gibt, der jetzt nicht verstanden hat, was wir für eine Riesen-Möglichkeit haben", hatte Süle vor einigen Tagen gesagt und die "ganz geile Dynamik im Team" gelobt. Auch seine im Januar geäußerte Hoffnung auf einen "Strudel", wie er es nannte, "damit wir mehr Selbstverständlichkeit haben, die Spiele zu gewinnen", hat sich bewahrheitet.

Die Gründe, weshalb sich Süle für den BVB entschied, scheinen mittlerweile gar nicht mehr so "unerfindlich" zu sein, wie Bayerns Vorstandsboss Oliver Kahn Mitte Oktober auf der Jahreshauptversammlung der Münchner befand. Vielmehr hat sich der Eindruck verfestigt, dass Süle und der BVB wirklich ganz gut zusammenpassen.

Niklas Süle, BVB
© getty

BVB: Niklas Süle und seine Statistiken bei Borussia Dortmund in der Saison 2022/23

KategorieWert
Zweikampfquote59 Prozent
Luftzweikampfquote60 Prozent
Tackling-Erfolgsquote79 Prozent
Passquote90 Prozent
Pässe pro 90 Min.74
Balleroberungen pro 90 Min.6,2
Ballaktionen pro 90 Min.87
Fouls pro 90 Min.0,4
ausgedribbelt worden pro 90 Min.0,3
Artikel und Videos zum Thema