Es ist derzeit alles ein kleines bisschen anders beim BVB. Und vor allem neu. Es gibt ja auch einen neuen Trainer in Dortmund. Wenn man Peter Bosz beobachtet, kommt man nicht umher, ihn als ruhigen Menschen zu beschreiben.
Mit diesem Attribut lassen sich die Einheiten des Niederländers im Trainingslager in Bad Ragaz allerdings nicht beschreiben. Lediglich vom Ablauf her gestaltet Bosz die Zeit in der Schweiz anders als seine Vorgänger Jürgen Klopp und Thomas Tuchel.
Der siebte Aufenthalt der Borussia in dem kleinen Dörfchen im Heidiland sieht nicht täglich zwei Trainingseinheiten auf dem Sportplatz Ri-Au vor. Bosz lässt stattdessen lieber auch einmal im noblen Grand Resort Quellenhof arbeiten, sowohl konditionell als auch in punkto Stabilisation und in Form von Videositzungen.
BVB braucht Zeit für Boszs Philosophie
Boszs Philosophie ist der vielzitierte Inhalt, den die Borussen derzeit intensiv pauken. Sie ist kaum deckungsgleich mit jener von Tuchel, beim Stichwort Gegenpressing ist Klopp aber nicht allzu weit entfernt.
Dortmunds neuer Trainer hat bereits früh betont, dass es unter Umständen längere Zeit benötige, bis sein Kader die neuen Abläufe und Spielprinzipien des bevorzugten 4-3-3-Systems verinnerlicht haben wird. Dem pflichteten auch schon ein paar Spieler bei, das Tempo der individuellen Anpassung dürfte aktuell noch verschieden sein.
Und so lädt Bosz eben regelmäßig zu Videositzungen ins Hotel, um die ihm wichtigen Punkte klar und penibel durchzugehen. Die beiden Testspiele gegen den AC Milan in Asien (3:1) und die Partie in Winterthur gegen Espanyol Barcelona (0:1) wird Bosz als positive Beispiele hernehmen.
Bosz muss am Defensivverhalten tüfteln
In diesen Begegnungen wurde deutlich, wie sich der Coach das aggressive Vorwärtsverteidigen vorstellt und wo es zu beginnen hat. Dortmunds Spielweise in der kommenden Saison wird riskant sein, dazu muss man kein Prophet sein. Sie hat erst dann die besten Chancen auf Siege, wenn die Spieler intuitiv handeln und vor allem ihre eigenen Angriffe gemeinschaftlich absichern können.
Doch auch strukturierter und geduldiger Ballbesitzfußball wird dazugehören, schließlich wählen die meisten Gegner gegen den BVB eine defensive Herangehensweise und schnelles Umschalten. Dies war schon unter Tuchel so etwas wie die Dortmunder Achillesferse: nach Ballverlusten sicher gegen Konter zu stehen. 40 Gegentore hagelte es letzte Saison in der Bundesliga.
Am Defensivverhalten seines neuen Teams muss Bosz daher besonders tüfteln, speziell bei seinem geforderten hohen Pressing. Die Linksverteidigerposition bereitet der Borussia momentan Sorgen und es gibt noch ein paar andere kleine Baustellen für Bosz.
BVB mit Problemen links hinten
Raphael Guerreiro (Fußbruch), Marcel Schmelzer (Aussenbandteilriss) und Erik Durm (Hüftprobleme) sind verletzt, links hinten verteidigte in den Freundschaftsspielen daher Neuzugang Dan-Axel Zagadou. Der 18-Jährige zeigte sich dabei in einigen Szenen stabil und teils gar souverän, sah hin und wieder aber auch nur die Hacken seines Gegenspielers und vermied offensiv größeres Risiko.
Der gelernte Innenverteidiger ist im Moment reine Aushilfe, ein Schmelzer-Comeback ist einigermaßen in Sichtweite. Durms Situation dagegen ist etwas verzwickt. Das Spiel des Weltmeisters lebt von seiner Physis, Durm erleidet jedoch immer wieder in entscheidenden Saisonphasen Blessuren und muss dann Rückstände aufholen. Bliebe theoretisch noch Felix Passlack, ihn ließ Bosz bisher aber auf der anderen Seite spielen.
Durms Zustand traf in den letzten Jahren auch immer mal wieder auf Nuri Sahin zu. Der Ur-Dortmunder und Tuchel fanden nie zueinander, wieder deutlich erfreulicher scheint es für Sahin unter Bosz zu laufen. In Abwesenheit von Julian Weigl (Sprunggelenksbruch) ist er derzeit die erste Option auf der alleinigen Sechserposition.
Sechser unter Bosz offensiver
Weigl visiert zwar eine Rückkehr zum dritten Spieltag Anfang September an, bis es allerdings so weit ist, scheint Sahin keine allzu große Konkurrenz fürchten zu müssen. Sebastian Rode bekommt unter Bosz auch Minuten, konnte in seiner Dortmunder Zeit bislang aber kaum einmal andeuten, weshalb man ihn in die Startelf stellen sollte. In Mikel Merino und Sven Bender hat der BVB zwei weitere Kandidaten bereits abgegeben.
Auch Mahmoud Dahoud wäre eine Möglichkeit auf dieser Position. Bosz möchte den Ex-Gladbacher aber wohl eher offensiver sehen. Bei seinem Debüt gegen Espanyol machte der Deutsch-Syrer als Achter eine ordentliche Figur.
Sechser defensiver Prägung sind letztlich weder er noch Sahin. Inwiefern solche Eigenschaften überhaupt notwendig sein werden, ist jetzt noch schwer zu beantworten. Weigl, in Bad Ragaz nach zwei Monaten Pause wieder ins Lauftraining eingestiegen, skizzierte bereits, wie Bosz seinen Sechser haben möchte: "In den Sitzungen habe ich gesehen, dass der zentrale Mittelfeldspieler ein Stückchen weiter vorne positioniert ist, um das Gegenpressing tiefer auszuüben."
Wer wird Aubameyang flankieren?
Klarer ist dagegen die Verteilung in der Innenverteidigung: Sokratis, Marc Bartra und Neuzugang Ömer Toprak ist das Trio, das den Großteil der Spiele absolvieren wird. Am Griechen Sokratis dürfte kein Weg vorbeiführen, in Sachen Spieleröffnung hat Bartra gegenüber Toprak Vorteile.
Sobald die Linksverteidiger-Problematik gelöst ist, kommt noch Zagadou als vierte Variante dazu. Der vom 1. FC Köln zurückgekehrte Neven Subotic trainiert gewissenhaft und verhält sich zurückhaltend, hat aber allenfalls Außenseiterchancen. Er wird sich innerhalb dieser Transferperiode gewiss mit einem endgültigen Abschied vom BVB beschäftigen.
Pierre-Emerick Aubameyang hat das auch getan, zumindest bis die Vereinsführung einem vorzeitigen Abgang eine Absage erteilte. Die Frage im Angriff lautet, wer den Torschützenkönig flankieren wird. Ousmane Dembele sollte seine Planstelle rechts vorne sicher haben, da kann der ausgezeichnete Einwechselspieler Christian Pulisic so strampeln, wie er möchte.
Philipp steht vor BVB-Debüt
Durch den Ausfall von Marco Reus (angerissenes Kreuzband) fällt links vorerst die Entscheidung zwischen Andre Schürrle und Maximilian Philipp, für den Dortmund stolze 20 Millionen Euro nach Freiburg überwies. Emre Mor käme ebenfalls in Frage, bei ihm zeichnet sich jedoch ab, dass sich seine Perspektiven auch unter Bosz nicht schlagartig verbessern. Der türkische Nationalspieler könnte den BVB noch verlassen.
Schürrle und Philipp konnten sich bislang kein packendes Duell liefern, da der Neuzugang noch auf sein Debüt im schwarzgelben Trikot wartet. Philipp lief sich gegen Barcelona in der letzten Viertelstunde warm, Bosz wird ihn nun aber erst am Dienstag gegen Atalanta Bergamo bringen.
Für Schürrle, Dortmunds teuersten Einkauf aller Zeiten, hat in diesen Wochen ein neues Kapitel begonnen. Im Vorjahr kam er bei Tuchel verletzungsbedingt kaum in Tritt. Als er wieder fit war, konnte er den Rückstand nie vollends aufholen und endete daher meist auf der Bank.
Supercup als erster Gradmesser für den BVB
Schürrles bisherige Auftritte beim BVB waren zwar nie unterirdisch, doch seine Offensivwucht und Abschlussstärke blieben oft im Verborgenen. Er rieb sich in den Partien häufig auf, seine Einsatzbereitschaft stimmte, die letzten wirklich überzeugenden Auftritte datieren aber noch vom Saisonstart im Vorjahr.
Bosz wird in seiner Anfangszeit nicht nur Schürrle die nötige Zeit geben müssen, um sich neu zu justieren und individuell wie gemeinschaftlich seine Inhalte aufzusaugen.
Das Spiel gegen den FC Bayern München um den Supercup am kommenden Samstag kann man als erstes Etappenziel in die Wertung mitaufnehmen. Ganz unabhängig davon, ob man in Bad Ragaz zwei Mal am Tag auf dem Trainingsplatz stand oder nicht.