FC Schalke 04 - Finanz-Vorständin Christina Rühl-Hamers im Interview: "Der Fußball muss sich in Sachen Diversität ganz sicher verändern"

Christina Rühl-Hamers arbeitet seit 2010 beim FC Schalke 04.
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Christina Rühl-Hamers ist seit ihrer Kindheit Fan des FC Schalke 04, spielte selbst ambitioniert Fußball und kam durch einen Zufall zu einem Job bei ihrem Herzensverein. Heute ist die 46-Jährige Mitglied des S04-Vorstands und zuständig für die Bereiche Finanzen, Personal und Recht.

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Im Interview mit SPOX und GOAL spricht Rühl-Hamers über ihre jäh beendete Fußball-Karriere, ihr anfangs vermiestes Fan-Dasein auf Schalke und den Frauen-Mangel in der Fußballbranche.

Die erste Frau, die im Vorstand eines deutschen Fußball-Erstligisten das Finanzressort verantwortet, erzählt zudem von einem speziellen Excel-Dokument, von Schalkes Königstransfer, und sie erklärt, wie brisant die finanzielle Situation der Knappen wirklich ist.

Frau Rühl-Hamers, Sie sind durch Ihre Familie schon als Kind zum Schalke-Fan geworden. Seit dem 1. April 2010 sind Sie auch bei S04 angestellt, damals ging es als Leiterin Rechnungswesen und Steuern los. Käme eines Tages auch mal ein anderer Verein in Frage?

Christina Rühl-Hamers: Nein. Ich würde für keinen anderen Fußballklub arbeiten, ich kann mir das nicht vorstellen.

Sie sind in Recklinghausen aufgewachsen und oft ins damalige Parkstadion gegangen. Wie sah Ihr Fan-Dasein konkret aus?

Rühl-Hamers: Ich kann nicht sagen, wie viele Spiele ich gesehen habe, aber wir hatten keine Dauerkarte. Mein Opa war viel unterwegs und hat mir Trikots aus England oder Schottland mitgebracht. Schalke war als Klub aber immer gesetzt, das gehörte einfach dazu. Meine Mutter war nicht gerade begeistert, wenn ich mit meinen Schalke-Trikots herumgerannt bin. (lacht)

Sie haben in Ihrer Kindheit und Jugend viele Ballsportarten ausprobiert, sind aber beim Fußball hängengeblieben und haben mit elf Jahren in einem Verein angefangen: Blau Weiß Post Recklinghausen. Stimmt es, dass Ihre Mutter jahrelang dagegen war und erst der Opa das Eis brechen konnte?

Rühl-Hamers: Ja. Meine Mutter fand nicht, dass ich unbedingt in einem Verein spielen muss. Das war damals einfach nicht üblich. Ich war aber schon sehr früh fußballaffin und habe mit den Nachbarjungs auf der Straße gekickt. Mein Opa hat mir dann zum Geburtstag Fußballschuhe und eine komplette Ausrüstung geschenkt. Mit seiner Unterstützung habe ich so lange gebettelt, dass ich sie endlich so weit hatte und in einen Verein durfte.

SPOX-Redakteur Jochen Tittmar traf Christina Rühl-Hamers in Mittersill zum Gespräch.
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SPOX-Redakteur Jochen Tittmar traf Christina Rühl-Hamers in Mittersill zum Gespräch.

Schalke 04 - Rühl-Hamers: "Bin ich in ein Loch gefallen"

Sie wurden Außenstürmerin und wechselten später zum Stadtrivalen SG Rot-Weiss Hillen, der in einer höheren Liga spielte. Wie sahen Ihre Ambitionen aus?

Rühl-Hamers: Ich war sehr ehrgeizig. Ich wollte schon in der Bundesliga spielen.

Das klappte 1995, als Sie mit Hillen dorthin aufstiegen. Sie wurden auch regelmäßig in die Westfalenauswahl berufen und spielten in der U16 für die Junioren-Nationalmannschaft. Wohin hätten Sie es schaffen können, wenn nicht Verletzungen Ihre Karriere beendet hätten?

Rühl-Hamers: Das ist müßig. Hohe Ambitionen hatte ich, doch wenn man mit 16 und 20 zwei Kreuzbandrisse im selben Knie hat, ist es schwer. Plötzlich war ich Sportinvalidin.

Ein Arzt soll damals gesagt haben, Sie hätten ein Knie wie eine 60-Jährige. Wie bitter war es für Sie, aufhören zu müssen?

Rühl-Hamers: Das war sehr schwierig. Ich habe dem Fußball meine ganze Freizeit untergeordnet. Wir haben abends von 20 bis 22 Uhr trainiert und sonntags um elf Uhr gespielt. Auch durch die Anreisen war es so, dass man die Wochenenden komplett auf das Spiel ausgerichtet hat und am Samstagabend nicht lange weggegangen ist. Auf einmal musste ich mein Freizeitverhalten von Grund auf umbauen und mir überlegen, was ich denn jetzt eigentlich mache. Da bin ich schon in ein Loch gefallen. Meine Leidenschaft war ja immer noch der Fußball.

Sie erlitten den zweiten Kreuzbandriss im ersten Jahr Ihres Studiums, für das Sie nach Münster zogen. Wieso ist es BWL geworden und nichts mit Sport?

Rühl-Hamers: Weil ich am Fußgelenk verletzt war und die Aufnahmeprüfung in Bayreuth nicht mitmachen konnte. Ich wollte dann nach den zwei Jahren BWL-Grundstudium zum Sport wechseln, doch genau da kam mir der zweite Kreuzbandriss dazwischen. Da wurde mir klar, dass ich mit dem Sport wohl kein Geld verdienen werde. So bin ich bei BWL geblieben.

Haben Sie anschließend gar nicht mehr gegen den Ball getreten?

Rühl-Hamers: Ich war in den ersten ein, zwei Jahren ziemlich weg vom Fußball, weil ich mich davon entemotionalisieren musste. Als ich später anfing zu arbeiten, habe ich bei den Betriebsmannschaften der Unternehmen mitgekickt. Das fiel mir mit meinem Ehrgeiz aber sehr schwer, denn ich war körperlich nicht fit genug, um so zu spielen, wie ich es eigentlich konnte. Dazu hat mir mein Arzt gesagt, es bestünde bei einer weiteren Verletzung die Gefahr, dass mein Knie steif wird.

Schalke 04 - Rühl-Hamers: "Angebot war wie Schicksal"

Bevor Sie zu Schalke kamen, arbeiteten Sie als Associate bei einer Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft und weitere 13 Jahre in verschiedenen Führungspositionen in der Wirtschafts- und Steuerbranche. Hatten Sie zu dieser Zeit einmal den Hintergedanken, es eines Tages wieder in den Sport zu schaffen oder gar für einen Fußballverein zu arbeiten?

Rühl-Hamers: Überhaupt nicht.

Es war schließlich der damalige Finanzvorstand Peter Peters, der Sie abwarb, als Sie wegen eines Beratungsmandats ab September 2009 ohnehin bereits ein halbes Jahr auf Schalke waren, um dabei zu helfen, die 85 Millionen Euro schwere Schechter-Anleihe abzulösen.

Rühl-Hamers: Ich war gerade erst zu einer neuen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gewechselt. An meinem zweiten Arbeitstag kam mein Chef an und sagte: Wir haben ein neues Beratungsmandat, Schalke 04. Das war für mich natürlich absoluter Wahnsinn. Ich habe ihn im Nachgang mal gefragt: Er behauptet, er habe gewusst, dass ich Schalke-Fan bin. (lacht) Als ich später das Angebot des Vereins bekam, war das mit meiner Vorgeschichte - die ganze Familie Schalke-Fans, selbst Fußball gespielt, ich wollte Sportmanagement studieren - wie Schicksal. Es ist schwer zu erklären, wie das auf diese Weise passieren konnte.

Erst kurz zuvor sind Sie zur staatlichen Wirtschaftsprüferin vereidigt worden und mussten diesen Titel wieder ablegen, als Sie zu Schalke gingen. War es dennoch eine leichte Entscheidung für Sie?

Rühl-Hamers: Ich fand es schon schade, dass ich den Titel wieder zurückgeben musste und mich nicht mehr Wirtschaftsprüferin nennen konnte. Dafür hatte ich hart gearbeitet und anstrengende Prüfungen abgelegt. Nun konnte ich das in dem Sinne gar nicht nutzen. Letztlich war es aber ganz klar eine Herzensentscheidung für Schalke. Ich bin zwar ein verkopfter Mensch, der nicht aus dem Bauch heraus entscheidet, aber lange überlegen musste ich nicht.

Sie wurden somit Direktorin für Finanzen und Personal. Wie ungewohnt war dieser Job in einem emotionalen Umfeld, in dem vor allem das Ergebnis vom Wochenende zählt, für Sie?

Rühl-Hamers: Extrem, das war wirklich eine Herausforderung. Ich saß im Stadion und schaute die Spiele nur in Geld, in Zahlen. Nach dem Motto: Wenn Spieler X nun eingewechselt wird, kostet es das; wenn wir im DFB-Pokal ausscheiden, verpassen wir das. Sich mit den sehr hohen Summen, die im Fußball gängig sind, auseinander zu setzen, aber auch mit dieser Kopplung zwischen Zahlen, Fakten und Emotionalität, war echt schwierig. Das hat mir anfangs bei den Spielen auch das Fan-Dasein etwas vermiest, weil ich sie nicht einfach nur genießen konnte.

Der Schalke Vorstand: Dr. Bernd Schröder, Christina Rühl-Hamers und Peter Knäbel (v.l.n.r.).
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Der Schalke Vorstand: Dr. Bernd Schröder, Christina Rühl-Hamers und Peter Knäbel (v.l.n.r.).

Als Sie anfingen, plagte den Verein eine Gesamtschuldenlast von 248,6 Millionen Euro, er war aber Dauergast im internationalen Geschäft. Im Geschäftsjahr 2021 lagen die Verbindlichkeiten bei 183,5 Millionen Euro und man stieg in die 2. Liga ab. Wie blicken Sie darauf?

Rühl-Hamers: 2010 befand sich der Fußball in einer grandiosen wirtschaftlichen Situation mit dem Ausblick Wachstumsmarkt. Da war ganz viel Fantasie im Fußball und man malte sich aus, was alles in Zukunft möglich ist - auch finanziell. Wenn man zehn Jahre später aus einer Pandemie kommt und sich mit dem Szenario 2. Liga beschäftigen muss, ist das eine ganz andere Ausgangslage. Gleichsam unschön ist natürlich die Höhe der Verbindlichkeiten.

Was ist denn sozusagen die optimale Höhe oder ein gutes Verhältnis bei den Verbindlichkeiten?

Rühl-Hamers: Wir sind nun einmal ein eingetragener Verein und haben daher keine andere Möglichkeit, als eine Finanzierung über Fremdkapital zu machen. Insofern sind Verbindlichkeiten in einem eingetragenen Verein gewissermaßen nicht unüblich. Ich freue mich, dass wir sie in unserer aktuellen Situation abbauen konnten. Doch wir sind noch nicht dort, wo wir sein wollen. Wir wissen, dass das noch ein langer Weg ist und wir ihn Schritt für Schritt gehen müssen. Er wird in der ersten Liga aber einfacher als in der zweiten.

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