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NFL - Miami Dolphins: Himmlische Symbiose mit mehreren Haken

Von Leopold Grünwald
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Gegen die Denver Broncos überzeugen die Miami Dolphins mit einer bestechenden Offensive. Aber was macht Miamis Offense so stark? Und geht der Super Bowl schon jetzt nur noch über das Team aus Florida?

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Es war ein Ausrufezeichen, mit dem selbst die größten Fans der Miami Dolphins wohl nicht einmal im Traum gerechnet hätten.

70 Punkte schenkte das Team aus Florida den Denver Broncos ein. Zehn Touchdowns. Und unglaublich, aber wahr: es hätten mehr sein können - ja eigentlich sogar müssen.

Doch Miamis Head Coach Mike McDaniel entschied sich 33 Sekunden vor Schluss und 27 Yards von Denvers Endzone entfernt dagegen, ein Field Goal zu schießen.

Stattdessen ließ er seinen zuvor reingekommenen Backup-Quarterback Mike White bei 4th & 1 abknieen und verzichtete auf die Chance, den Rekord für die meisten Punkte in einem Spiel (bisher 72 durch die damaligen Washington Redskins im November 1966) aufzustellen.

NFL, Miami Dolphins
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Miami Dolphins: Euphorie wie zuletzt mit Marino

Nach der Partie begründete der 40-Jährige seine Entscheidung damit, seiner Mannschaft vermitteln zu wollen, dass es nicht um Bestmarken oder Punkte gehe, sondern um das Saisonergebnis.

Damit unterstrich er noch einmal die mehr als deutlichen Super-Bowl-Ambitionen des Klubs, der seit der Übernahme durch McDaniel vor einem Jahr von einer grauen Maus zu einem der besten Team der NFL aufgestiegen ist.

Ob der Traum vom ersten Titel seit 1973 wirklich wahr wird, steht noch in den Sternen, aber schon jetzt ist klar: der Klub hat in Miami eine Euphorie wie zuletzt zu den Zeiten von Quarterback-Legende Dan Marino ausgelöst.

Schon vor dem Feuerwerk gegen die Broncos wurde die Offense der Dolphins vollkommen zurecht zu den Spektakulärsten der Liga gezählt, wobei die in den USA so beliebte Diskussion darum, wer denn nun der Hauptverantwortliche für die Stärke der Offensive ist, immer noch anhält.

Miami Dolphins: McDaniel, Hill oder Tua?

Ist es McDaniel, der der Mannschaft nach den Jahren der offensiven Tristesse unter seinem Vorgänger Brian Flores das spektakuläre System der West-Coast-Offense aus dem Hause Shanahan gegeben hat?

Ist es Wide Receiver Tyreek Hill, der sich gegenüber seinen äußerst erfolgreichen Zeiten mit Patrick Mahomes bei den Kansas City Chiefs in Miami sogar nochmal gesteigert hat?

Oder ist es der Quarterback, Tua Tagovailoa, der das Play-Calling von McDaniel bis zur Perfektion umsetzen kann?

Am nächsten kommt man der Wahrheit wohl, indem man sich eingesteht, dass es sich bei dem Trio um ein - der Anglizismus sei erlaubt - "Match made in heaven" handelt, denn die Stärken des einen helfen dabei, die der anderen zu maximieren.

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Miami Dolphins: Symbiotische Offense

McDaniel sind bei der Auswahl der Spielzüge kaum Grenzen gesetzt, wei Tagovailoa die Bälle mit enormer Präzision an den Mann bringt (vor Woche 4 kamen 71,3 Prozent seiner Pässe an).

Das gelingt dem Quarterback wiederum auch deswegen, weil Hill meistens entweder frei ist oder so große Löcher reißt, dass selbst seine weniger talentierten Positionskollegen genug Platz haben, um sichere Catches zu machen.

Gleichzeitig ist Hill aber nicht allein auf seine individuelle Klasse angewiesen, sondern bekommt seine Arbeit durch McDaniels Play-Design so vereinfacht, dass er seinen Gegenspieler oftmals schon vor dem Snap geschlagen hat.

Der größte Profiteur dieser Symbiose dürfte schlussendlich aber Tagovailoa sein, denn der Hawaiianer spielt in seinem vierten Jahr um seinen ersten großen Vertrag und dürfte mit seinen aktuellen Leistungen auch die schärfsten Kritiker zum Schweigen gebracht haben - eine fette Gehaltserhöhung nach dem Vorbild von Joe Burrow und Justin Herbert winkt.

Miami Dolphins: Tagovailoa denkt über vorzeitiges Karriereende nach

Laut Daten der NFL wird der Spielmacher in der laufenden Saison den Ball im Schnitt innerhalb von 2,34 Sekunden los, was es Pass Rushern praktisch unmöglich macht, in die Nähe des 25-Jährigen zu kommen und ihn zu Boden zu bringen.

Das sorgt nicht nur dafür, dass Miamis Offensive noch schwieriger zu verteidigen ist, sondern hat auch noch den angenehmen Nebeneffekt, dass Tagovailoa gesund bleibt, was angesichts der vergangenen Saison der Schlüssel für den Teamerfolg ist.

Der Quarterback erlitt in der Regular Season 2022 mindestens zwei schwerere Gehirnerschütterungen, die dafür sorgten, dass er vier Spiele verpasste und auch für die 31:34-Niederlage in der Wild Card Round gegen die Buffalo Bills nicht zur Verfügung stand.

Die Verletzungen lösten bei dem 25-Jährigen sogar Gedankenspiele über ein vorzeitiges Karriereende aus.

NFL, Re-Draft 2020, Joe Burrow, Justin Herbert, Tua Tagovailoa, Justin Jefferson, CeeDee Lamb
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Miami Dolphins: Tagovailoa mit zweitbester Sack-Rate

Doch der 25-Jährige entschied sich anders und engagierte einen Mixed-Martial-Arts-Trainer, um "richtig fallen" zu lernen und so das Risiko für zukünftige Gehirnerschütterungen zu minimieren.

Trotz dessen dürfte man in Miami mehr als froh sein, dass Tagovailoa nach drei Spielen die zweitniedrigste Sack-Rate (ein Prozent aller Passversuche) aller Quarterbacks hinter Patrick Mahomes hat.

Denn abgesehen von den Sorgen um die gesundheitlichen Folgen einer erneuten Verletzung, war McDaniels Offensive 2022 unter dem Backup Skylar Thompson nicht mehr dieselbe.

Zwar ist der neue, von den New York Jets gekommene Stellvertreter White ein Upgrade gegenüber Thompson, aber ob er wirklich in der Lage ist, Tagovailoa zu ersetzen, wenn es um den Super Bowl geht, darf dann doch bezweifelt werden, auch wenn der Receiving Corps enorm stark ist.

Miami Dolphins: Geschwindigkeit als Erfolgsrezept

Sechs der zwölf in dieser Spielzeit gemessenen Spitzengeschwindigkeiten eines ballführenden Spielers wurden laut "NFL Next Gen Stats" von vier verschiedenen Dolphins erzielt.

Mit Superstar Hill, der in Woche 1 mit 34,86 kmh (2.) und 34,63 kmh (4.) geblitzt wurde, den Running Backs Devon Achane (35,29 kmh (1.), 34,6 kmh (5.)) und Raheem Mostert (34,79 kmh (3.)) sowie Wide Receiver Jaylen Waddle (33,78 kmh (12.)) kann das Team fast eine 100-Meter-Staffel auf olympischem Niveau aufstellen.

Aber es braucht eben auch einen Quarterback, der seinen Schlüsselspielern den Ball zukommen lässt, ohne sich zu sehr in die Big Plays zu verlieben, was beispielsweise lange eine Schwäche von Dominator Mahomes war.

Den Spielmacher-Typus, der zwar zum richtigen Zeitpunkt bereit ist, ins Risiko zu gehen, aber sich hauptsächlich darauf konzentriert, das zu nehmen, was die Defense ihm anbietet, verkörpert Tagovailoa.

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Miami Dolphins: Überragendes Laufspiel

Ein weiterer Faktor den Hawaiianer fit zu halten ist außerdem das überragende Laufspiel von McDaniel, der bei den San Francisco 49ers und Kyle Shanahan als Running Game Coordinator seine Sporen verdiente.

Mit dem erfahrenen Mostert und Rookie Achane hat der 40-Jährige zwei blitzschnelle Running Backs, die er im Wechsel einsetzen kann.

Wie schwierig es für gegnerische Verteidiger ist, das Duo zu tacklen, wenn sie erstmal ins Laufen gekommen sind, zeigt das Spiel gegen Denver, als das Blocking in praktisch allen Ebenen perfekt funktionierte.

Achane beendete die Partie mit 203 Rushing Yards aus 18 Versuchen, 30 Receiving Yards durch vier Catches und jeweils zwei Touchdowns am Boden und aus der Luft.

Miami Dolphins: Verletzungsanfälligkeit könnte zum Problem werden

Bei Mostert standen am Ende ebenfalls vier Touchdowns (drei erlaufen, einer gefangen) zu Buche, auch wenn er mit 13 Läufen "nur" 82 Rushing Yards erzielte.

Mit solchen Statistiken aus nur einem Spiel dürfte es kaum überraschen, dass Miami derzeit die gefährlichste Run-Offense der gesamten NFL stellt.

Dennoch ist in Miami noch lange nicht alles perfekt, denn bei aller Euphorie ist nicht nur Tagovailoa anfällig für Verletzungen.

Der im Pass- wie Laufspiel unglaublich wichtige Left Tackle Terron Armstead gab erst vergangene Woche sein Saisondebüt und wird somit auch im elften Jahr seiner Karriere nicht die gesamte Saison durchspielen. Rein statistisch steht zu befürchten, dass er sich noch einmal weh tut.

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Miami Dolphins: Überlastung für Hill?

Zudem verpasste mit Waddle der zweitbeste Receiver der Mannschaft die Partie gegen die Broncos mit einer Gehirnerschütterung.

Wie der historische Sieg zeigte, tat die Abwesenheit des 24-Jährigen dem Spiel der Dolphins zwar keinen Abbruch, aber auf Dauer ist das Team allein schon deswegen auf ihn angewiesen, damit Hill als Passempfänger Entlastung bekommt und sich nicht verletzt.

Denn ob Waddle oder ein anderer wirklich in der Lage wären, die Rolle Hills als Dosenöffner für das Passing Game der Dolphins zu übernehmen, muss bezweifelt werden.

Ein weiterer potenzieller Sorgenfall ist Mostert. Der Running Back, der bisher eine überragende Spielzeit erlebt, hat sich in seiner Laufbahn seit 2015 bereits zwölf verschiedene Verletzungen zugezogen - fünf davon am rechten Knie.

Miami Dolphins: Defensive noch mit ordentlich Luft nach oben

Abgesehen von den allgegenwärtigen Verletzungssorgen, gibt es aber auch rein sportliche Aspekte, die gegen den dritten Super Bowl der Dolphins-Historie sprechen, denn die Defensive ist bisher nicht einmal Liga-Durchschnitt.

Unter dem neuen Defensive Coordinator Vic Fangio kassiert Miami die zwölftmeisten Punkte pro Spiel (71) und lässt im Schnitt die zehntmeisten Yards zu.

Beim 36:34 in Woche 1 gegen die Los Angeles Chargers war zu sehen, dass eine gut eingestellte Offensive gegen die Dolphins durchaus mithalten und Big Plays erzielen kann, obwohl es Fangios erklärte Philosophie ist, diese einzuschränken.

Was angesichts der Stärke von Miamis Offense noch nicht wie ein Weltuntergang wirken mag, könnte mit Blick auf den Super Bowl durchaus zum Problem werden.

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Miami Dolphins: Ramsey-Comeback im Dezember - aber in welcher Form?

Der Weg zum Titel wird für Miami in der AFC wohl entweder durch Buffalo oder Kansas City führen, bevor im Endspiel mutmaßlich die Philadelphia Eagles, San Francisco 49ers oder Dallas Cowboys warten.

Allesamt Mannschaften, die offensiv mehr oder weniger problemlos mit den Dolphins mithalten können, aber defensiv bisher deutlich bessere Leistungen zeigen.

Natürlich wird die Mannschaft im Saison-Endspurt in Person von Jalen Ramsey noch namhafte Verstärkung auf der Cornerback-Position bekommen.

Aber es ist noch vollkommen offen, in welcher Form der dann 29-Jährige von seiner Meniskus-Verletzung zurückkommt, zumal er in den letzten Jahren immer häufiger Probleme gegen Top-Receiver hatte.

Miami Dolphins: Kicker-Sorgen in Florida

Noch vor der Defensive und der Verletzungsanfälligkeit mehrerer Schlüsselspieler ist es aber der Kicker Jason Sanders, der sich zu Miamis Achillesferse entwickeln könnte.

Der 27-Jährige vergab in Woche 1 gegen die Chargers einen Extra-Punkt, der seinen Klub den 36:34-Auftaktsieg hätte kosten können, wenn Los Angeles mit seinem finalen Drive noch in Reichweite eines Field Goals gekommen wäre.

Und auch beim 24:17 gegen New England in Woche 2 war es wieder Sanders, der die Partie aus Sicht der Dolphins unnötig spannend machte.

Nachdem die Patriots im 3. Viertel bereits einen 49-Yard-Versuch geblockt hatten, ließ McDaniel seinen Kicker im 4. Viertel mit noch 2:19 Minuten auf der Uhr aus 55 Yards für ein Field Goal antreten, um die Führung auf ein sicheres 27:17 zu schrauben. Aber wieder versagten dem 27-Jährigen die Nerven und der Ball ging neben die Torstangen.

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Miami Dolphins: Luxusproblem oder echte Gefahr?

Es ist also mehr als fraglich, ob Miami wirklich auf Sanders bauen kann, sollte es bei einem möglichen Playoff-Run zu einer engen Partie kommen.

Immerhin beim Feuerwerk gegen Denver verwandelte der Kicker alle zehn Extra-Punkte, aber es ist kaum vorstellbar, dass das Team dieses Kunststück gegen die Besten der Besten wiederholen kann.

Für den Moment scheint es ein Luxusproblem zu sein, dass die bisherigen Spiele wegen Sanders nicht komfortabler gewonnen wurden.

Aber für Miami geht es eben um das Saison-Ergebnis und dafür ist bei aller Offensiv-Power ein sicherer Kicker unverzichtbar.

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