Rund 21 Monate ist es her, dass Quarterback Alex Smith das letzte Mal in der NFL auf dem Feld stand.
Seither durchlebte er eine schier unglaubliche Reise, die ihn nach einer grausigen Beinverletzung an den Rande des Todes brachte. Nun jedoch winkt dem einstigen First-Overall-Pick im NFL Draft 2005 das nicht für möglich gehaltene Comeback.
Es ist vielleicht die beste Nachricht in einer durch Corona extrem ungewöhnlichen Saisonvorbereitung: Alex Smith hat grünes Licht bekommen, wieder das Footballtraining aufzunehmen. Am Sonntag aktivierte ihn das Washington Football Team von der Physically-Unable-to-Perform-List (PUP) und stellte damit die Weichen für eine schier unglaubliche Rückkehr.
Smith stand bereits wieder auf dem Platz und nahm an den 7-vs.-7-Drills teil, die 11-vs.-11-Drills wollte man ihm noch nicht zumuten, nachdem er so lange gefehlt hat.
Erinnerungen an Joe Theismann
Smith hatte sich seinen katastrophalen Schien- und Wadenbeinbruch am 18. November 2018, damit auf den Tag genau 33 Jahre nach Redskins-Quarterback Joe Theismanns kapitaler Knieverletzung, zugezogen. Ein schier unglaublicher Zufall.
Doch Smith stand ein noch größeres Martyrium bevor. Eine Infektion, die durch den offenen Bruch entstand, brachte den Quarterback zeitweilig in Lebensgefahr, fleischfressende Bakterien griffen das Bein an. Wie Ärzte in der ESPN-Dokumentation "Project 11" erklärten, waren die Prioritäten damals klar formuliert: Die Rettung seines Beines musste im Zweifel hinter der Rettung seines Lebens hintenanstehen.
Zur Behandlung musste Smith insgesamt sieben Operationen zur Entfernung des infizierten Gewebes durchmachen - neben Fleisch wurde auch Muskelmasse entfernt, sodass am Ende zwar das Bein gerettet wurde, er jedoch im Prinzip keine Muskeln mehr am Unterschenkel hatte. Smith konnte essenziell seinen Knöchel nicht mehr bewegen, Bilder seines offenen Knochens kursierten. Eine Horror-Szenerie.
Alex Smith: Verletzung wie im Krieg
Erst weitere Operationen, insgesamt waren es unter dem Strich derer 17, stellten die Funktionalität von Smiths rechtem Bein wieder her. Die Eingriffe erfolgten unter Konsultation von Militärärzten - die Verletzung ging weit über eine Sportverletzung hinaus und wurde gleichgestellt mit einer Verwundung in einem Kriegsszenario. Um sein Bein wieder vollends bewegen zu können, wurden Muskeln aus anderen Teilen seines Körpers implantiert.
Der heute 36-Jährige, bei dem nicht mal klar war, ob er je wieder normal würde laufen können, ist nun tatsächlich bereit, auf ein NFL-Spielfeld zurückzukehren.
Smiths Rückkehr auf den Platz "war schwer in Worte zu fassen", sagte der Quarterback in einem vom Team veröffentlichten Interview. "Endlich wieder meine Schuhe zu binden, mein Trikot anzuziehen und meinen Helm aufzusetzen war so ein gutes Gefühl. Ich hatte Schmetterlinge im Bauch - es ist so lange her, dass ich dieses Gefühl hatte."
Smith wurde auch gefragt, warum er denn die Anstrengung auf sich nahm, ein Comeback zu versuchen. In seiner Karriere verdiente Smith bislang mehr als 173 Millionen Dollar in der NFL. Genug, um zurückzutreten. "Ich weiß, dass das die einfache Denke wäre. Viele Leute haben zu mir gesagt: 'Du hast sehr lange gespielt und viel Geld verdient. Warum reitest du nun nicht einfach in den Sonnenuntergang?'"
Smith räumte zudem ein, dass seine Situation nicht gerade leicht sein wird: "Ich weiß, dass ich in der NFL ein alter Mann bin - ich bin ein Dinosaurier. Aber im Gesamtbild meines Lebens bin ich 36 Jahre alt, habe drei kleine Kinder und habe den Rest meines Lebens noch vor mir."
Alex Smith: Kinder als größte Motivation
Doch gerade seine Kinder sind seine größte Motivation: "Egoistisch betrachtet mache ich das für sie, auch wenn sich das verrückt anhört."
Aus Smiths Sicht nimmt er diese Herausforderung an, weil er der Meinung ist, dass er alles andere in seinem Leben tun könne, wenn er es schaffe, wieder Quarterback in der NFL zu sein.
"Ich denke, das ist etwas, von dem ich nicht einfach weggehen und dann ruhig schlafen könnte", erklärte er. "Ich glaube nicht, dass ich meinen Kindern in die Augen schauen und sie dazu bewegen könnte, für Dinge, die ihnen wichtig sind, alles zu geben."
Smith: Neustarts in San Francisco und Kansas City
2020 stellt für Smith einen Neuanfang dar - Rückkehr nach langer Verletzungspause, dazu ein neuer Head Coach - Ron Rivera - und ein komplett neues Offensivsystem. Für Smith aber immerhin kein ungewohntes Szenario, denn mit Neuanfängen kennt er sich aus.
Auf seiner ersten Station in San Francisco erlebte er nach seiner Anfangszeit dort im Jahr 2011 mit der Ankunft von Head Coach Jim Harbaugh bereits einen Neuanfang, der seine Karriere überhaupt erst so richtig in die Spur brachte.
2012 jedoch war die neue, gute Situation für ihn auch schon wieder vorbei. Nach einer Gehirnerschütterung übernahm Colin Kaepernick und stellte Smith fortan in den Schatten. Es folgte ein weiter Neubeginn durch den Wechsel nach Kansas City, wo Smith unter Head Coach und Offensiv-Guru Andy Reid seine wohl beste Phase in der NFL erlebte .
Dort blieb er bis 2017, um dann erneut via Trade Platz zu machen für Patrick Mahomes. Für Washington machte er bislang zehn Spiele - wie viele noch folgen, steht in den Sternen. Sein aktueller Vertrag jedoch läuft noch bis 2022. Insgesamt stehen ihm noch 56 Millionen Dollar über diesen Zeitraum zu, allerdings könnte Smith bereits nach dieser Saison ohne eine exorbitant hohe Summe an Dead Money entlassen werden. Ein Szenario, dass für jeden Spieler in der Liga immer möglich ist.
Sollte Smith also tatsächlich wieder spielen, tut er dies auch um seine Zukunft, zumindest mal in Washington.
Alex Smith: Erfahrung als größtes Plus im QB-Wettbewerb
Mit Smith nun aber zurück auf dem Platz stellt sich vor allem eine Frage für Rivera: Wer wird der Starting Quarterback Washingtons in der kommenden Saison sein? Eine Frage, die Rivera bislang offen ließ und in der Smith durchaus eine Antwort sein könnte.
Freilich geht Smith mit einem körperlichen Rückstand ins Rennen, obgleich er über den mit Abstand größten Erfahrungsschatz im Kandidatenkreis verfügt. Wann er wieder mit der ersten Offense trainieren wird, ist unklar. Doch Rivera machte schon deutlich, dass der Quarterback-Job ein offener Wettkampf sein werde, auch wenn Smith selbst die Rückkehr in den Spielbetrieb aktuell noch "ein fernes Ziel" nannte.
Allzu fern ist eine solche aber vielleicht doch nicht. Wide Receiver Cam Sims etwa schaute im Training Camp seines Teams genau hin und konstatierte: "Ich habe ihm beim Werfen zugesehen. Er scheint definitiv er selbst zu sein. Die Bälle kommen früh und zur rechten Zeit raus und bevor die Jungs die Spitze ihrer Routes erreicht haben. Es sieht alles sehr flüssig aus."
Gibt es das unglaubliche Comeback?
Rivera verriet, dass Dwayne Haskins, der letztjährige Erstrundenpick, Spiel 1 der Preaeason gestartet hätte, wenn es ein solche gegeben hätte. Zudem räumte der Coach ein, dass Kyle Allen, den er aus Carolina mitbrachte, wohl das zweite Spiel begonnen hätte.
Was Smith angeht, ließ Rivera jedoch schon vor Wochenfrist, also bevor dieser offiziell von der PUP List aktiviert wurde, wissen, dass jener mittendrin sein werde im Kampf um den Starter-Job. Auszuschließen ist das fraglos nicht, gleichzeitig wäre die Alternative, dass er als Mentor und Backup für Haskins fungiert. Für Washington wäre auch das ein absoluter Gewinn, hat doch nicht zuletzt Patrick Mahomes zuletzt mehrfach davon geschwärmt, wie wichtig Smith für seine eigene Entwicklung war.
Doch sollte Smith in den kommenden Wochen unter Beweis stellen, dass er körperlich bereit ist für Football, ist es nicht auszuschließen, dass er tatsächlich bald wieder in der NFL auf dem Platz stünde. Das schier unglaubliche Comeback wäre damit perfekt.