NBA

Die Explosionen sind Geschichte! Was hinter dem Scoring-Rückgang in der NBA steckt

Von Levi Netal
luka-disbelieve
© getty

Die NBA war in dieser Saison auf dem besten Weg, neue Rekorde in beinahe allen offensiven Statistiken zu verzeichnen. Seit dem All-Star Game sind die Freiwurfzahlen jedoch so niedrig wie noch nie in den 2000er Jahren. Mit regelmäßigen Resultaten unter 100 Punkten und fassungslosen Star-Spielern setzt die Liga ein klares Zeichen für das Image des Basketballs und gegen die offensive Übermacht der letzten Jahre.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Knapp zwei Monate ist es her, dass Luka Doncic in Atlanta 73 Punkte erzielte, die viertmeisten der Geschichte in einem NBA-Spiel. In der Folge stellten wir die Frage, wie relevant so etwas ist, in einem Umfeld, in dem innerhalb eines Monats gleich fünf Spieler mindestens 60 Punkte erzielten. Viele waren sich einig: Scoring ist zu einfach geworden, erst recht da die Spieler in der Spitze und auch in der Breite so talentiert wie nie zuvor waren.

Die NBA wurde für diesen Trend vermehrt in Frage gestellt und die Spitze des Eisbergs waren schließlich die 211 Punkte der East-All-Stars in einem denkwürdigen All-Star Game, welches Commissioner Adam Silver kürzlich dafür kritisierte, dass es seiner Meinung nach "kein Basketball-Spiel" gewesen sei.

Schon bei der Siegerehrung ließ Silver passiv aggressiv seinen Unmut durchblicken, als er vor laufender Kamera folgendes sagte: "An die All-Stars der Eastern Conference: Ihr habt die meisten Punkte aller Zeiten erzielt. Tja, Glückwunsch!" Es war ein weiterer Beweis dafür, dass die Balance innerhalb der Liga in Schieflage geraten war und durch die große Aufmerksamkeit, die das All-Star Game vor allem bei Gelegenheitszuschauern generiert, war das Scoring-Thema einfach nicht mehr wegzudiskutieren.

Wer allerdings genau hinschaute, der stellte fest, dass die NBA schon ein paar Wochen zuvor ein paar Stellschrauben drehte, um die beinahe alltäglichen Scoring-Explosionen einzudämmen. Nach der 73 von Doncic knackte nur noch zwei Spieler 50 Zähler - Tyrese Maxey (51) in Utah und Stephen Curry (60) bei einer Niederlage der Warriors nach Verlängerung in Atlanta. Auffällig dabei: Maxey nahm nur 11 Freiwürfe, Curry sogar nur 6.

Die meisten Punkte eines Spielers in einer Partie seit dem All-Star Game

PlatzSpieler (Team)GegnerPunkte
1DeMar DeRozan (Bulls)Pacers46
2Luka Doncic (Mavericks)Cavaliers45
2Alperen Sengün (Rockets)Spurs45
2Kevin Durant (Suns)Celtics45
2Jalen Brunson (Knicks)Blazers45
2Giannis Antetokounmpo (Bucks)Bulls45

NBA und das Scoring: Freiwürfe steigern die Effizienz

Das war bei vorangegangenen Scoring-Explosionen von Giannis Antetokounmpo, Joel Embiid oder Doncic noch ganz anders. In seinem 64-Punkte-Spiel im Dezember gegen die Pacers ging Giannis unglaubliche 32 Mal an die Freiwurflinie und traf 24. Embiid (70 Punkte, 21/23 FT) und Doncic (73 Punkte, 15/16 FT) wurden ebenfalls von vielen Foul-Calls bei ihren historischen Leistungen unterstützt.

Der Freiwurf ist der effizienteste Weg in der NBA, um zu punkten. Mit einer ligaweiten Trefferquote von ca. 80 Prozent, nie trafen Spieler in der Geschichte so gut von der Linie, erreicht ein Spieler mit jedem gezogenen Wurf-Foul im Schnitt 1,6 (2 FT) bzw. 2,4 Punkte (3 FT) pro Ballbesitz. Zum Vergleich: Ein durchschnittlicher NBA-Ballbesitz mit Korbabschluss erzielt gerade einmal 1,1 Punkte. Statistisch gesehen ist der Weg an die Linie also sehr sinnvoll, um in einen offensiven Rhythmus zu kommen und eben effizient zu scoren.

SpielzugPunktwert pro Ballbesitz
Anthony Davis Pick & Roll1,14
Kawhi Leonard Isolation1,2
Trey Murphy III Spot-Up 3P1,22
Zion Williamson Transition1,4
Damian Lillard Wurffoul (2 Freiwürfe)1,85

Zu viele Freiwürfe: Die NBA erntet harsche Kritik

Die Regelauslegung der Schiedsrichter machte es in den letzten Jahren zunehmend leichter, zu Freiwürfen zu kommen. Spieler nutzten daher in ihrem Spiel bewusst, Kontakt mit Verteidigern zu provozieren und so zu einfachen Punkten an der Linie zu kommen. Der Trend zeigte sich jedoch nicht nur in den Reihen der NBA-Stars wie Luka oder Giannis. Ligaweit wurden Defensivspieler für Kontakt, selbst initiiert oder nicht, bestraft.

harden-foul
© nba.com/stats

Für Fans ist dieser Trend mit großem Missmut verbunden, da er oft zu Spielunterbrechungen führt und dem Spiel Dynamik nimmt. Die Fans sind mit ihrer Meinung nicht allein. Nach einem Spiel gegen die Denver Nuggets im Dezember zeigte sich Warriors-Coach Steve Kerr sichtlich frustriert von den 32 Freiwürfen gegen sein Team. "Wir nehmen die Defensive komplett aus dem Basketball, das ist es, was wir machen [....] Die Schiedsrichter werden so angelernt, dass Offensivspieler mit jedem Mist an die Freiwurflinie kommen", sagte Kerr. Weiterhin gab er den Fans Recht, dass die zweite Halbzeit "widerwärtig" gewesen sei und er niemandem ein derartiges Produkt anbieten wolle.

Auch die Medien stiegen in das Lauffeuer der Kritik ein. Medien-Persönlichkeiten wie Ryen Russillo, The Ringer, merkten vermehrt an, dass die NBA ihre aktuellen Richtlinien für das Verhalten von Offensivspielern ändern müsse, um den Verteidigungen eine Chance zu geben.

luka-disbelieve
© getty

Freiwürfe: Seit dem All Star Game bleibt die Pfeife stumm

Die vielseitige Kritik an "Foul-Hunting" und das inflationäre Auftreten von offensiven Superlativen brachten die Liga in eine Situation, sich mit einem ernsthaften Image-Problem auseinanderzusetzen. Das All-Star Wochenende in Indianapolis scheint einige Räder ins Rollen gebracht zu haben.

Am 14. März kam es in den Partien Cavaliers vs. Pelicans und Hornets vs. Grizzlies zeitgleich dazu, dass sowohl die Hornets als auch die Cavs nach drei gespielten Vierteln ohne Freiwurfversuch dastanden. Derartige Spiele sind keine Ausreißer, sondern Anzeichen für eine Entwicklung.

Während Teams seit der All-Star Pause nur noch 20,1 Mal pro Spiel an die Linie gehen, waren es vor der All-Star Pause noch 22,6 Mal. In der Spitze der Liga werden 23,7 Freiwürfe pro Spiel (Memphis Grizzlies) geworfen, während es vor der All-Star Pause noch 26,5 Freiwürfe pro Spiel (Philadelphia 76ers) waren. Die Teams mit den wenigsten Freiwürfen gingen im letzten Monat nur noch 16,3 Mal an die Linie (Golden State Warriors), während es die ersten fünf Monate mindestens 19 Freiwurfversuche pro Spiel (Charlotte Hornets) gab.

Vor allem die Defensive am Perimeter wird weniger reglementiert und Verteidiger haben mehr Möglichkeiten, den Zug zum Korb zu verhindern. Tatsächlich werden Offensivaktionen wie der Push-Off sogar verstärkt als Offensivfoul gepfiffen.

kyrie.of
© nba.com/stats

Freiwürfe: Weniger Punkte, mehr Tempo

Mit weniger Freiwürfen pro Spiel verändert sich auch der Basketball drumherum.

  • Da Freiwürfe ein effizienter Weg sind, an Punkte zu gelangen, stagnieren die historischen Offensiven der ersten Saison Monate und es ist sogar ein Einbruch in der offensiven Effizienz erkennbar. Während das durchschnittliche Offensivrating vor der All-Star Pause bei 115,9 lag, sind im letzten Monat nur noch 112,8 (wenn man die Celtics mit einem astronomischen Wert von 128,4 nicht mit einrechnet). Teams wie die Golden State Warriors, die pro Spiel durchschnittlich sechs Mal weniger an die Linie gehen, sind im Offensivrating von Platz 7 auf Platz 15 abgestürzt.
  • Bis zum All-Star Break wurde genau ein Team in einem Spiel unter 80 Punkten gehalten (Portland), seither sind es schon deren fünf. Viermal waren dabei die Knicks beteiligt. Beim 79:73-Erfolg der Sixers, die geringste Punktausbeute seit fast sechs Jahren, schossen beide Teams zusammengerechnet 35,6 Prozent aus dem Feld und nahmen lediglich 30 Freiwürfe. Das mag eine Ausnahme gewesen sein, allerdings gibt es gefühlt jeden Abend Teams, die keine 100 Punkte zusammenkratzen können. Das war in der ersten Saisonhälfte selten der Fall.
  • Weniger statische Spielsituationen nach Freiwürfen machen das Spiel dynamischer. Freiwürfe werden oftmals als Unterbrechung für Wechsel und teaminternen Austausch genutzt. Darüber hinaus resultieren vier von fünf Freiwürfen in einem Korb, der einen Inbound nach sich zieht. Das Spiel mit weniger Freiwürfen führt zu weniger Unterbrechungen und wird dadurch kurzlebiger. Laut inpredictable.com dauern NBA Spiele nach der All-Star Pause durchschnittlich 2 Minuten weniger als davor und sogar 3 Minuten weniger als letzte Saison um diese Zeit. Das mag zwar nicht überwältigend erscheinen, ist aber ein Anfang.
refs
© getty

NBA und das Scoring: Die Liga reagierte schon im Januar

Der erste Monat mit weniger erzwungenen Wurf-Fouls hat die NBA-Familie in große Lobeshymnen versetzt. Ebenjene Medienpersönlichkeiten, die vorher noch die Liga kritisierten, machen mittlerweile ganze Segmente zum neuen Zeitalter in der NBA.

Star-Spieler, die ihre Talente bisher bewusst einsetzten, um an die Linie zu gehen, brauchen wahrscheinlich noch ein wenig Zeit, um sich an die Umstellung zu gewöhnen. Dass eine Begünstigung der Defensive an der einen oder anderen Stelle aber nicht verkehrt ist, zeigen aber die offensiven Zahlen und die Reaktion der Fans, auch wenn es fragwürdig ist, dass die Liga dies während der Saison umsetzte und nicht erst im Sommer.

Letztlich ist es doch so: Wie schon erwähnt, sind Offensiv-Spieler talentiert wie nie und durch den Einfluss von Analytics so effizient wie nie zuvor. Die klare Bevorteilung von Offensiv-Spielern wurde gewissermaßen redundant, das scheint auch die NBA begriffen zu haben, auch wenn von Seiten der Liga immer wieder dementiert wurde, dass es eine Anweisung gebe, das Scoring zu reduzieren.

Dafür wurden selbst Liga-Vize-Präsident Joe Dumars und Schiri-Boss Monty McCutchen zu ESPN geschickt, um das noch einmal klarzustellen. Und überraschend kam es für die Teams auch nicht. Denn: Wer mal auf die offizielle NBA-Seite schaut, kann dort mehrere Videos zu den sogenannten "Points of Emphasis" finden, in denen erklärt wird, worauf Schiedsrichter besonders achten. Gepostet wurde dies Ende Januar. Einer dieser Points? Die sogenannten "Non Basketball Moves", mit denen Offensiv-Spieler jede Menge Fouls schinden konnten.