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NBA Legendenserie - Tony Parker: Viel mehr als nur Tim Duncans rechte Hand

Von Stefan Petri
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Tony Parker wird in diesem Jahr in die Hall of Fame aufgenommen. Der französische Point Guard trug viele Jahre dazu bei, bei den San Antonio Spurs eine Ära zu prägen - und stellte auf der Jagd nach Titeln dabei persönliche Erfolge hinten an.

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Die NBA-Finals 2007 sind ein Treffen der Generationen, zumindest auf Superstar-Ebene: Auf der einen Seite steht Tim Duncan, der mit den San Antonio Spurs nach 1999, 2003 und 2005 auf seinen bereits vierten Meisterschaftsring aus ist. Gegen den "Big Fundamental" tritt LeBron James an, der in seiner vierten NBA-Saison mit den Cleveland Cavaliers erstmals die Finals erreicht hat. Angesichts des doch eher spärlichen Talents um ihn herum ist LeBron am Ende chancenlos. "Eines Tages wird dir diese Liga gehören", sagt Duncan nach dem 83:82 in Spiel 4, welches den Sweep der Spurs perfekt gemacht hat, zu ihm. "Aber danke, dass du uns diesmal den Titel überlassen hast."

Die Trophäe für den Finals MVP darf Duncan allerdings nicht zum vierten Mal zum obligatorischen Siegerinterview tragen. Die gehört diesmal einem Teamkollegen. Seinem gerade 25 Jahre alt gewordenen Point Guard - und zum ersten Mal überhaupt einem Europäer. "Auf geht's, Michael, du kommst mit", sagt der zu Michael Finley im Locker Room. "Und sieh zu, dass du den Champagner mitbringst."

"Geh du voraus", entgegnet Finley. "Ich folge dir. So wie wir dir die gesamte Saison über gefolgt sind."

Mit 24,5 Punkten im Schnitt bei überragenden Quoten aus dem Feld (57 Prozent FG, 57 Prozent 3FG) hat Tony Parker die zugegeben schwache Perimeter Defense der Cavs (Daniel "Boobie" Gibson, Damon Jones, Eric Snow) in Schweizer Käse verwandelt und sich die Ehrung zum besten Spieler der Serie mehr als verdient. Es ist wohl der Höhepunkt einer 20-jährigen Karriere, der es an Höhepunkten definitiv nicht mangelt, und wenn man die Frage stellt, wann sich das Spurs-Trio aus Duncan, Parker und Manu Ginobili endgültig zu einer legendären "Big Three" aufgeschwungen hat, dann bieten sich die Finals 2007 durchaus an.

Damals führt Parker die Spurs an. Am 12. August wird er seinen ehemaligen Teamkollegen Timmy und Manu folgen, in die Basketball Hall of Fame. Mit im Gepäck: vier NBA-Championships (2003, 2005, 2007, 2014), dazu der EM-Titel 2013 mit Frankreich. Und das Bewusstsein, seinem Sport einen bleibenden Stempel aufgedrückt zu haben.

Tony Parker
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Tony Parker in der NBA: Aller Anfang ist schwer

Das Talent zum Basketball bekommt Parker von Vater Tony Senior in die Wiege gelegt, der ebenfalls professionell spielt. Inspiriert zu seinem Sport wird der 1982 in Brügge geborene und in Frankreich aufwachsende Sohnemann aber durch - wie könnte es anders sein - durch Michael Jordan: Den kann er aufgrund von Trips nach Chicago gleich mehrfach mit eigenen Augen spielen sehen: "Er war als Kind mein Idol. Ich hatte seine Poster in meinem Schlafzimmer hängen", verrät Parker 2021 in einer Netflix-Doku.

So reift auch der Traum von der NBA, doch der eher schmächtige und mit 1,88 Metern auch nicht besonders großgewachsene Parker hat noch einen steinigen Weg vor sich. Nach einem starken Auftritt im Jahr 2000 beim Nike Hoop Summit - Dirk Nowitzki lässt grüßen - meldet er ein Jahr später für den Draft. Tatsächlich laden ihn die Spurs zum Workout ein, doch dort wird Parker von einem Ex-NBA-Profi derart abgekocht, dass Head Coach Gregg Popovich die Sache eigentlich schon abhakt: "In unseren Augen war er nicht tough genug, wir haben ihn wieder heimgeschickt." Was wohl passiert wäre, hätte Parker von Pop nicht noch eine zweite Chance bekommen? "In seinem zweiten Interview und Workout war er fantastisch", wird sich der Coach nach dem Titel 2007 erinnern.

Parker geht an Position 28 im Draft zu den Spurs, nur fünf Spiele brauchte er, um sich die Position des Starting Point Guards zu sichern. Was nicht bedeutet, dass er es unter seinem berühmt-berüchtigten Trainer nicht schwer hat. "Ich war sehr hart zu ihm, weil ich wissen wollte, ob er die mentale Stärke hat, um in dieser Liga zu spielen", sagt Pop später. Mehrfach triezt er seinen Point Guard, bis diesem die Tränen kommen. Zumal dieser einen schweren Rucksack mit sich herumschleppt: "Damals gab es keine europäischen Spielmacher. Es gab überhaupt nicht viele Europäer in der NBA. Ich fühlte einen gewaltigen Druck für die neue Generation."

Die Nowitzkis und Pau Gasols seiner Generation hatten zumindest Vorbilder, fähige europäische Big Men hatte es zuvor bereits gegeben. Parker ist in dieser Hinsicht ein Novum. Und so braucht es einige Jahre, bis er sich wahrhaft als Leistungsträger etablieren kann - gerade in den Playoffs wackelt er zu Beginn und muss bei den Championship Runs 2003 und 2005 in den entscheidenden Phasen Platz machen für erfahrenere Teamkollegen.

17 Jahre lang orchestrierte er die Spurs-Offense, an der Seite von Tim Duncan und Manu Ginobili prägte er die Spurs-Dynastie. Er war der erste europäische Finals-MVP.
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Tony Parkers Erfolgsrezept: Keine Dreier und ab zum Korb

Das Problem: Nicht nur muss sich Parker in seiner neuen Heimat zurechtfinden, auf der für junge Spieler schwierigsten Position, sondern auch bei einem erfolgsverwöhnten Team und einem Head Coach, der keine Fehler verzeiht. Zwar ist der Aufbauspieler pfeilschnell, aber kein wirklich guter Verteidiger und in seinen ersten Jahren in der NBA auch ein miserabler Dreierschütze - 04/05 fallen von Downtown gerade mal knapp 28 Prozent.

In der Offseason 2005 hat Pop dann genug gesehen und setzt Shooting-Guru Chip Engelland auf Parker an. Dessen Glück: Der Dreier spielt in dieser Zeit, in der das ligaweite Scoring komplett im Keller ist, noch lange keine so große Rolle wie heute. Also greift Engelland zur Radikallösung - und verpasst dem Point Guard mal eben ein Dreierverbot.

Was man sich in der heutigen, vom Spacing-Gedanken besessenen NBA kaum vorstellen kann, ist ein voller Erfolg: In der darauffolgenden Saison kürzt Parker seine Triples auf 0,5 pro Spiel ein und trifft so fast 55 Prozent seiner Würfe aus dem Feld - Bestwert in seiner Karriere! Noch mehr als zuvor spielt er seinen Speed aus, zieht immer wieder zum Korb: Ob aus dem Pick-and-Roll oder in Isolation, die besten Verteidiger der Liga verzweifeln an ihm - gerade sein Spin Move wird legendär. Und: Parker kommt mit seinen "Dribblings" - natürlich hat er in seiner Jugend auch Fußball gespielt - nicht nur zum Korb durch, er ist im Wald der Big Men auch ein exzellenter Finisher. Layups in allen Farben und Formen, Floater, Teardrops: 05/06 führt er die Liga zwischenzeitlich bei den Punkten in der Zone an, eine absurde Statistik.

So bildet sich die Erfolgsformel der Spurs heraus, auf die der Rest der Liga keine Antwort hat: Duncan als Superstar ohne Schwächen, der trotz seiner schlechter werdenden Knie einfach immer abliefert, Ginobili als unberechenbarer X-Faktor - und Parker als Abteilung Attacke, der den Weg zum Korb findet und entweder selbst abschließt oder Duncan die offenen Jumper aus der Mitteldistanz auflegt. So verlängert sich die Serie der Spurs mit 50 Siegen auf unglaubliche 18 Jahre (1999-2017) und ein Championship Window, das fast ebenso lange offen bleibt.

Parker ist ein unersetzlicher Teil dieser Spurs-Maschine - und unfassbar konstant. Von 2004 bis 2014 kann man die Uhr nach seinen Stats stellen: 16 bis 20 Punkte im Schnitt bei rund 50 Prozent aus dem Feld und maximal einem Dreier pro Spiel, vier bis fünf Freiwürfe bei einer Quote von knapp 80 Prozent, 6 oder 7 Assists bei zwei oder drei Turnovern, dazu der eine oder andere Rebound. In 18 NBA-Saisons - seine letzte verbringt er 18/19 bei den Charlotte Hornets - legt er in der Regular Season nur dreimal mehr als 40 Punkte auf, bei seinem Career High (55 Punkte bei einem 2OT-Erfolg über Minnesota 2008) fehlt Ginobili. Es gibt nicht wahnsinnig viele Ausreißer nach oben - aber eben auch nicht nach unten.

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Tony Parker: Gigolo betrügt "Verzweifelte Hausfrau"?

Schön gleichmäßig, ja fast schon langweilig zu Siegen, Playoff-Teilnahmen und am Ende auch zu Titeln. Trash Talk? Non, merci! In dieser Hinsicht passt Parker perfekt zu den Spurs.

Es gibt allerdings einen Fehltritt, der ihn zwischenzeitlich beinahe seinen Platz in San Antonio kosten soll: 2007 heiratet Parker Hollywood-Star Eva Longoria. Beide befinden sich auf dem Höhepunkt ihrer Karriere - er mit dem Finals-MVP, sie mit der Hit-Serie Desperate Housewives. Dreieinhalb Jahre später reicht sie die Scheidung ein, und der Grund hätte durchaus aus einem Drehbuch stammen können: Wie die amerikanische Klatschpresse vermeldet, findet Longoria bei ihrem Ehemann amouröse Nachrichten - und zwar von Erin Barry, der Ehefrau seines langjährigen Teamkollegen bei den Spurs, Brent Barry.

Ob es sich tatsächlich um eine handfeste Affäre handelt, wird zwar nie bestätigt, doch auch die Ehe der Barrys geht zur gleichen Zeit in die Brüche - und bei den Spurs ist man offenbar not amused. Schließlich ist Barry, der seine Karriere 2010 beendet hat, immer noch ein gern gesehener Gast bei der Franchise. "Die Führungsspieler sind angepisst", zitiert E! News eine Quelle. "Auch der Trainerstab der Spurs ist sauer und Pop würde ihn traden, wenn er nicht gerade einen neuen Vertrag unterschrieben hätte."

Hat Parkers Vierjahresvertrag über 50 Millionen Dollar, unterschrieben im November 2010, tatsächlich das Auseinanderbrechen der Spurs verhindert? Sehr viel Spekulatius. Sollte es tatsächlich einen Bruch gegeben haben, hat sich das Team zumindest früher oder später wieder zusammengerauft. Definitiv aber ein spannendes "What if?" der jüngeren NBA-Geschichte.

Parker heiratet 2014 übrigens eine französische Journalistin, diese Ehe geht 2020 in die Brüche. Danach bandelt er mit der Ex-Tennisspielerin Alizé Lim an.

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Tony Parker: Wie gut war er wirklich?

2019 beendet Parker im Alter von 37 Jahren seine Karriere. Sechsmal wird er insgesamt ins All-Star-Team berufen, viermal schafft er es in ein All-NBA-Team (dreimal Second Team, einmal Third Team). Wie schon bei Manu Ginobili vor ihm mag man die Frage stellen, wie gut er wirklich war. Gerade im Vergleich mit den übrigen großen Point Guards seiner Generation: Steve Nash und Jason Kidd - den die Spurs 2003 übrigens holen wollten, um Parker zu ersetzen -, etwas später dann Chris Paul.

Statistisch gesehen bleibt Parker hinter dem Trio zurück: Die Marke von 20.000 Punkten verpasst er knapp, dazu kommen rund 7.000 Assists. Auch bei den individuellen Ehrungen liegen seine Zeitgenossen vorn, er schafft es einmal in die Top-5 beim MVP-Voting.

Nur: Was heißt das schon? "Wenn man über die besten Point Guards spricht, bin ich manchmal nicht dabei. Aber das ist nicht mein Antrieb", erklärte Parker 2007. "Sollen sie nur über Jason Kidd, Steve Nash, Deron Williams und Chris Paul reden. Ich habe immer noch die meisten Ringe."

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Ob sich Parker schon damals als Verfechter der später grassierenden "Rings Culture" outen wollte? Wohl kaum. Aber das Zitat zeigt, dass er und auch Manu Ginobili sich in ihrer Blütezeit dem Trend zum eigenen Team, "um zu zeigen, wie gut ich wirklich bin!", eben bewusst verweigert haben. Vielmehr ordneten sie sich dem großen Ziel, nämlich dem Gewinn von Championships, bewusst unter, und das mit Erfolg. Eine Fähigkeit, die beim Fokus auf Scoring, Passing und Highlight-Clips nicht selten zu kurz kommt ...

Dass er ein Team auch führen kann, beweist er in seinen Jahren beim französischen Nationalteam. Dieses führt der NBA-Star 2013 als MVP zum Titel bei der EuroBasket. Dazu kommen drei weitere Medaillen auf europäischer Ebene. Der große Erfolg auf olympischer Ebene bleibt aus. "Wenn Pau Gasol nicht geboren worden wäre, hätten wir mehr Goldmedaillen gewonnen", scherzt er im Rückblick über die großen Duelle mit Spanien.

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Tony Parker nach der Karriere: Er bereitete den Weg für Victor Wembanyama

Auch nach seiner aktiven Laufbahn bleibt Parker dem Basketball erhalten. Schon als Spieler kauft er sich beim französischen Erstligisten ASVEL aus Lyon ein und spielt während des Lockouts 2011 für den Klub. Drei Jahre später übernimmt er die Mehrheit der Anteile, schließlich wird er Klub-Präsident und kümmert sich um den Aufbau einer Akademie und um die Förderung des Frauenteams: "Für mich ist es sehr wichtig, etwas zurückzugeben. Wie ich bereits sagte, fühle ich mich sehr vom Leben beschenkt, ich hatte großartige Trainer. Aber so wie ich aufgewachsen bin, vergesse ich nicht, woher ich komme."

Heimat ist für ihn längst auch San Antonio geworden, die Beziehung zu seinem "zweiten Vater" Gregg Popovich ist intakt. In den kommenden Jahren könnte sie sogar noch etwas enger werden, schließlich fiel den Spurs bei der Draft Lottery mit Victor Wembanyama das aktuell zweifellos größte Basketball-Talent in die Hände. Wemby wird in San Antonio in die Fußstapfen treten, die sein Landsmann Parker hinterlassen hat - und dieser dient längst als Mentor. "Wir haben schon nach der Lottery Nachrichten ausgetauscht, auch nach dem Draft. Ich freue mich sehr für ihn und werde auf alle Fälle versuchen, ihn zu unterstützen."

Im gleichen Jahr, in dem Parker als Spurs-Legende in die Hall of Fame aufgenommen wird, tritt Wembanyama seine Nachfolge beim gleichen Team an - so schließt sich der Kreis. "Es fühlt sich an, als wäre es Schicksal gewesen, mit der über die Jahre aufgebauten French Connection", sagt Parker. "Er wird dieses Erbe fortsetzen, das ist ziemlich cool."

Als er vor fast 22 Jahren in der NBA anfing, war er nach Tariq Abdul-Wahad und Jérôme Moiso gerade mal der dritte Franzose in der Liga, beide hatten zudem College-Erfahrung. Mittlerweile weist Spotrac stolze 37 Franzosen mit NBA-Erfahrung aus - Platz drei hinter den USA und Kanada. Europäische Point Guards sind zudem gang und gäbe. Kein Zweifel: Tony Parkers Legacy ist unantastbar.

Tony Parker: Seine Statistiken in der NBA

TeamSpieleMINPTSFG%REBASTSTL
Spurs (2001-18)119830,515,849,22,85,70,9
Hornets (2018/19)5631,19,546,01,53,70,4
GESAMT1.25430,515,549,12,75,60,8
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