NBA

Fahrprüfung im Rampenlicht

Von Lukas Herold
Jaylen Brown
© getty

Jaylen Brown wurde erst vor wenigen Wochen 21 Jahre alt und sollte bei den Boston Celtics eigentlich nach und nach zum Star geformt werden, nach der Verletzung von Gordon Hayward steht der Sophomore aber schon jetzt voll im Rampenlicht. Auch gegen die Golden State Warriors wird er gefordert sein (Fr., 2 Uhr auf DAZN).

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Jaylen Brown fasst sich schockiert an den Kopf. Sein Gesichtsausdruck lässt erahnen, dass er kurz davor ist, sich zu übergeben. Das hat er mit einem Großteil der Anwesenden in der Halle in Cleveland gemein, die nach der Horror-Verletzung von Gordon Hayward für einen Moment einfriert - nach nur fünf Minuten der neuen NBA-Saison herrscht erstmal Stille.

Hayward wird wenig später mit einem gebrochenen Bein aus der Halle getragen und mit ihm vermeintlich auch der Contender-Status der so ambitionierten Celtics. Das Jahr, in dem LeBron und die Cavs endgültig attackiert werden sollten, scheint auf einmal notgedrungen zu einem weiteren Entwicklungsjahr zu werden.

Ein paar Wochen später sieht die Welt schon wieder ganz anders aus. Die Hayward-Diagnose hat sich zwar bestätigt, der Swingman wird (aller Wahrscheinlichkeit nach) die komplette Saison verpassen - und trotzdem sind die Celtics momentan das heißeste Team der Liga. In das Duell gegen die Warriors in der Nacht auf Freitag gehen sie mit der Empfehlung von 13 Siegen in Folge.

Brown: Neue Rolle in Boston

Die Celtics schultern im Kollektiv die Verantwortung, natürlich sind durch den Hayward-Ausfall aber vor allem zwei Wings weiter in den Vordergrund gespült worden. Und während Rookie Jayson Tatum alle Erwartungen übertroffen hat und in einem normalen Jahr (= ohne Ben Simmons in der Liga) schon jetzt wie der sichere Rookie of the Year aussehen würde, hat auch Brown einen Schritt gemacht, den man ihm noch vor allzu langer Zeit nicht unbedingt zugetraut hätte.

"Die Erwartungen an die beiden sind jetzt deutlich höher. Gordons Verletzung ist eine Möglichkeit für Brown und Tatum, sich umso mehr aufzudrängen", hatte Kyrie Irving bereits nach dem Cavs-Spiel angekündigt. Gesagt, getan. Brown lieferte zum Saisonauftakt 25 Punkte und 6 Rebounds, kombiniert mit beeindruckend starker Defense auf dem Flügel.

Und auch wenn das Scoring nicht an jedem Tag so gut funktioniert, ist Brown als Starting Shooting Guard jetzt schon eine tragende Säule der Celtics. Der No.3-Pick von 2016 kommt momentan in 31,9 Minuten pro Spiel auf 14,7 Punkte und 6,7 Rebounds. Diese Zahlen sind für sich genommen schon stark, noch interessanter werden sie aber, wenn man sich vergewissert, wie viele offensichtliche Schwächen Brown noch immer im Spiel hat.

Brown: Non-Shooter am College

Wobei auffällt, wie viel Brown an ebenjenen arbeitet. Noch am College war Brown ein miserabler Shooter und kam auf gerade einmal 29 Prozent von der Dreierlinie, was auch der primäre Grund war, weshalb die Celtics mit der Entscheidung für ihn an 3. Stelle viele Experten überraschten. Mittlerweile hat er seinen Output auf 37,3 Prozent gesteigert, was die Celtics sehr freuen dürfte.

Im System von Brad Stevens hat eigentlich jeder Spieler die Erlaubnis, von draußen zu werfen, auch die Big Men wie Al Horford und Daniel Theis dürfen dies ja durchaus. Von Brown wird es erst recht verlangt und mit 4,5 Versuchen pro Spiel erfüllt er diese Voraussetzung auch. Je besser der Wurf wird, desto mehr Freiräume schafft es ihm (und anderen) natürlich auch beim Zug zum Korb.

Auch hier muss er sich aber noch in einigen Bereichen verbessern. Zum einen zeigt seine besorgniserregende Freiwurfquote (61,7 Prozent), dass sein Wurf noch alles andere als "automatisch" ist, zum anderen hat er auch noch beim Finishen Probleme. Nur 54 Prozent seiner Versuche in der Restricted Area finden ihr Ziel.

Brown: Probleme im Ballhandling

Brown ist zudem noch nicht wirklich in der Lage, sich eigene Würfe zu kreieren, da sein Ballhandling noch nicht auf Top-Niveau ist. Einen großen Teil seiner Punkte macht er im Fastbreak, nach Cuts oder als Spot-Up-Shooter, mit dem Ball in der Hand ist er selten in der Lage, seine massive Athletik gewinnbringend einzusetzen.

Auch als Ballhandler im Pick'n'Roll tut sich Brown dementsprechend schwer und verliert zu oft den Ball. Das ist einer der Hauptgründe dafür, warum regelmäßig Tatum und nicht er als erste Option der "zweiten Fünf" fungiert. Der Rookie ist zwar erst 19 Jahre alt, offensiv allerdings schon reifer in seinem Spiel als Brown. "Man merkt ihm nicht an, dass er gerade erst vom College kommt", sagte kürzlich auch Daniel Theis im SPOX-Interview über Tatum.

Starke Defense

Bei Brown ist offensiv hingegen vieles noch roh und verbesserungswürdig. Defensiv allerdings agiert er jetzt schon auf einem Niveau, das viele NBA-Spieler über die gesamte Karriere nicht erreichen. Bei den Celtics übernimmt er den besten Perimeter-Player des Gegners, wenn nicht gerade auch Marcus Smart auf dem Court steht.

Dass er hier eine größere Rolle einnehmen würde, hatte sich schon im Sommer angekündigt. "Besonders durch den Abgang von Avery Bradley ist es wichtig, dass Brown defensiv den nächsten Schritt macht", hatte Stevens schon vor der Saison gesagt. Zur Erinnerung: Bradley war über Jahre der beste Verteidiger in Boston, musste im Sommer aber per Trade "geopfert" werden, da Boston Geld für die Verpflichtung von Hayward brauchte.

So komplett wie sein Vorgänger ist Brown zwar noch nicht, aber seine Vielseitigkeit ist schon jetzt absolut beeindruckend. Er verteidigt zwischen Point Guard und Power Forward alles, was von ihm verlangt wird, und macht aufgrund seiner Athletik und Mega-Spannweite in den allermeisten Fällen eine gute Figur. Problematisch ist hier lediglich, dass er gerade gegen Superstars oft zu viel foult und bisweilen zu leicht auf Pump-Fakes hereinfällt. Zudem vernachlässigt er zeitweise die Help-Defense.

Kyrie Irving: "Das schätze ich sehr"

Das sind jedoch Schwächen, die sich mit der richtigen Einstellung und ein wenig Erfahrung ausmerzen lassen dürften. Zumal es ja jetzt schon beeindruckend gut funktioniert. Boston ist momentan das beste Defensiv-Team der NBA - auch dank Brown, der von Woche zu Woche besser und selbstbewusster wird.

"Er leistet im Training jeden Tag starke Arbeit und das zeigt er in den Spielen. Es ist noch früh in der Saison, aber der Junge fordert viel von sich selbst. Das schätze ich sehr", lobte Irving den 21-Jährigen kürzlich. Auch Stevens schwärmt immer wieder davon, wie professionell der Youngster seiner Arbeit nachgeht.

Gerald Green: "Er kann ein großer Spieler werden"

In dieser Hinsicht hat Brown sicherlich davon profitiert, von Anfang an bei einem ambitionierten Team zu spielen. Wo viele Lottery-Picks bei miesen Teams landen und von Anfang an Minuten und Würfe garantiert bekommen, musste Brown sich seinen Platz in der Rotation als Rookie hart erarbeiten. Ohne solide Defense würde er bis heute kaum spielen.

Von Spielern wie Smart, Bradley oder auch Jae Crowder und Gerald Green konnte er dabei erleben, was es heißt, ein NBA-Profi zu sein. Solange er sich das beibehält, scheinen Brown alle Türen offen zu stehen. Das attestierte ihm auch Green: "Wenn er bescheiden bleibt und sich seine Mentalität beibehält, kann er ein großer Spieler werden. Er hat das Talent."

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