NBA

Keiner polarisiert wie Harden

Von Philipp Dornhegge
Rockets-Star James Harden gehört auch in diesem Jahr zu den besten Scorern der NBA
© getty

Die Houston Rockets und die Oklahoma City Thunder kämpfen in der Nacht von Sonntag auf Montag im direkten Duell (1 Uhr im LIVE-STREAM bei SPOX) um eine Topplatzierung im Westen. Dabei kommt es auch zum Wiedersehen von Kevin Durant mit seinem alten Kollegen James Harden. Seit dessen Wechsel von OKC nach Texas ist der Lefty zum vielleicht besten Shooting Guard der Liga gereift. Und doch ist sein Kurs bei den Fans in der letzten Zeit gefallen.

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Schauplatz Toyota Center. Wir schreiben den 9. November 2013, die Rockets liegen auf heimischem Parkett mit 83:92 gegen die L.A. Clippers zurück. Vier Minuten vor dem Ende ist das noch kein unüberwindbarer Rückstand. Man muss nur Mittel und Wege finden, um an diesem Abend, an dem offensiv nicht viel klappen will, endlich konstant zu scoren.

James Harden ist beim Comeback-Versuch offenbar jedes Mittel recht. Nach einem Offensivrebound wird er von Blake Griffin touchiert, Harden nutzt diesen minimalen Körperkontakt, um sich ins Aus zu werfen und ein Foul zu ziehen. Die Schiedsrichter reagieren wie gewünscht, hängen dem gegnerischen Power Forward ein Foul an und schicken Harden an die Freiwurflinie.

Die Freiwürfe sitzen zwar, letztlich hat dieses fragwürdige Manöver aber keinen Einfluss auf den Ausgang des Spiels mehr. Schön für Griffin, dass er nach diesem wohl offensichtlichsten Flop der bisherigen Saison fast nur müde lächeln konnte. Bei einem engeren Spielstand wäre die Reaktion wohl anders ausgefallen.

Die NBA fand die Aktion von Houstons All-Star aber nicht so witzig, belegte ihn mit einer Flopping-Verwarnung und - weil es schon Hardens zweites Vergehen der aktuellen Spielzeit war - einer 5000-Dollar-Strafe. Vielen Fans und Experten - besonders denen, die Harden eh schon kritisch gegenüber standen - war dies Anlass genug, um über den Shooting Guard und seine Spielweise wild zu diskutieren.

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Probleme in der Defense

Ist Harden ein notorischer Flopper, dessen sonstige Talente beschränkt sind und der nichts anderes tut, als sich bei den Unparteiischen auszuweinen? Sind die Rockets mit der Verpflichtung von Dwight Howard nicht insgesamt ein Team, das viel zu viel jammert und angesichts des vorhandenen Talents viel zu wenig leistet?

Die Defense ist in einem Wort: schwach. Besonders am Perimeter tummeln sich mit Jeremy Lin, Omri Casspi und einigen anderen Spieler, die wahlweise Disziplin, taktisches Verständnis oder Geschwindigkeit vermissen lassen. Harden ist in punkto Unzulänglichkeiten in der Verteidigung zweifellos eins der größten Sorgenkinder der Liga.

Hat der Lefty Lust und ist die Bühne groß genug, kann er locker ein passabler Verteidiger sein. In den meisten Fällen aber reibt er sich so in der Offensive auf, dass ihm hinten Kraft, Kondition und Einsatzwille fehlen. Auch hier können wieder die Clippers zur Illustration dienen: Wie die Kalifornier im Heimspiel wenige Tage vor dem Gastauftritt in Houston J.J. Redick quer über das Feld sprinten ließen, oft zwei oder mehr Blocks für ihn stellten und auf der Strong Side für Ablenkung sorgten, war eine Augenweide. Sie demonstrierten, wie leicht Harden als Defensivspieler auszuschalten ist.

Immer wieder blieb er kampflos an den Blöcken hängen, empfand die Wege von rechts nach links und umgekehrt offenbar als zu weit oder schaute gespannt dem Treiben auf der Ballseite zu, während sich Redick in seinem Rücken davonschlich.

Als Superstar vermehrt in der Kritik

Schwache Defense und durch das Flopping eine Verletzung der Integrität des Sports: Für Puristen sind das Todsünden, die Harden in diesem Jahr zu einem der polarisierendsten Spieler der Liga werden ließen. Im letzten Jahr wurden die Schwächen des damaligen Thunder-Neuzugangs in Houston und von den NBA-Fans allgemein wohlwollend übersehen, alle erfreuten sich am Aufstieg eines Rollenspielers zu einem Superstar.

Mit diesem Entwicklung kam in der laufenden Saison aber auch mehr Kritik auf. Die Rockets stehen zunehmend im Rampenlicht, wollen um die Meisterschaft mitspielen. Da ist es nur logisch, dass die Stars der Mannschaft wegen jeder Kleinigkeit kritisiert werden.

Howard etwa ist für Nörgler nur noch ein Schatten seiner selbst, konnte sowieso noch nie Freiwürfe werfen und ist offensiv einer der limitiertesten Spieler der NBA-Geschichte. Der Center erinnerte seine Kritiker allerdings mit Leistungen wie gegen Detroit (35 Punkte, 19 Rebounds, 5 Assists und 3 Block) daran, dass er trotz aller Limitationen immer noch der beste Center der Liga ist. Gegenspieler Andre Drummond, einer der kommenden Stars auf der Fünf, bedankte sich jedenfalls artig für die Lehrstunde und dafür, dass Howard ihm gezeigt habe, was ihm zum allerhöchsten Level noch fehlt.

Harden wiederum gilt vielen als Schauspieler, der seine Punkte nur dank der Schiedsrichter macht. Und verteidigen kann er sowieso nicht. Dabei vergessen die Kritiker aber, was für ein explosiver Offensivspieler Harden tatsächlich ist. Er ist ein überragender Ballhandler, in dessen Anwesenheit die Existenz eines klassischen Point Guards unnötig wird. Er hat einen explosiven ersten Schritt und einen sicheren Distanzwurf.

Wie man geschickt Fouls zieht

Darüber hinaus ist er unerwartet athletisch, hat immer wieder einen Highlight-Dunk in petto. Er hat einen der besten Euro-Steps der Welt und ist auch sonst ein gewiefter Spieler. Es gehört zwar zu Hardens Spiel, viele Freiwürfe zu nehmen. Nur Kevin Durant bekommt pro Partie mehr Versuche an der Linie zugesprochen (9,3 zu 9,2). Dass er sie aber vorwiegend mit Geschick zieht und eben nicht mit Flops, darf dabei nicht außer Acht gelassen werden.

Hardens Spezialität ist es, bei der Aufnahme des Balls die Arme ungewöhnlich weit vom Körper weg zu halten. Wenn Basketball-Profis nach einem Ball schlagen, dann visieren sie instinktiv einen bestimmten Bereich an. Hält man als Offensivspieler dort den Ball, ist er weg. Hält man ihn zu nah am Körper, kann man leicht aus der Balance geraten. Macht man es jedoch wie Harden, ist es - wohlgemerkt bei erhöhter Gefahr, den Ball im Getümmel zu verlieren - fast immer ein Foul des Verteidigers.

Die Rockets haben sich im Herbst 2012 nicht nur einen Rollenspieler aus Oklahoma City geholt, der sich blitzschnell zum Superstar mauserte. Sie haben sich auch einen intellgenten Spieler geholt, der die Spielweise und Philosophie der Franchise verkörpert wie kein zweiter: Lange Zweier sind unerwüscht, stattdessen will man neben Freiwürfen möglichst ausschließlich Layups und Dunks beziehungsweise Dreier sehen - die effektivsten Würfe im Basketball eben.

Das Farmteam aus der D-League, die Rio Grande Valley Vipers, führen diese Strategie nahezu ad absurdum, nehmen aberwitzig viele Dreier. Die Trainer wollen es so, auf diese Weise finden sich vielleicht Spieler, die das Zeug zum Rocket haben. Irgendwie soll jeder Flügelspieler ein Typ wie Harden sein.

Harden: Top-Shooting-Guard der NBA

Aber nur der echte Harden ist derjenige, der Houston (gemeinsam mit Center Dwight Howard) zu einem Titelanwärter macht. Denn er ist noch ein gutes Stück besser als alle anderen - die Teamkollegen, aber auch alle anderen Shooting Guards der Liga. Dwyane Wades Körper macht ihm zunehmend einen Strich durch die Rechnung, Kobe Bryant ist sowieso derzeit nicht abkömmlich. Und Youngster wie Klay Thompson oder Bradley Beal haben längst nicht das Niveau.

Arbeitet Harden an seinem Fokus in der Defense, ist ihm der Status des besten Zweiers der Liga auf absehbare Zeit sicher.

Jeder Flop ist unschön und muss bestraft werden. Man kann es dem einen oder anderen Fan nicht verdenken, dass er sich einen "saubereren" Spieler zum Vorbild nimmt. An Hardens Klasse ändert eine Schauspieleinlage von Zeit zu Zeit aber nichts. Und wenn sie noch so offensichtlich ist.

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