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MLB - Wie aus dem "Moneyball"-Phänomen die schlechteste Franchise im US-Sport wurde: Der tiefe Fall der Oakland Athletics

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Die Oakland Athletics waren einst ein Lichtblick im US-Sport, eine Franchise mit Vorbild-Charakter und der Startpunkt einer Revolution, die alles von Grund auf verändern sollte. Mittlerweile jedoch sind sie zur Lachnummer verkommen und auf dem Weg raus aus der Stadt.

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Man muss kein langjähriger Baseballfan sein, um etwas mit dem Namen Oakland Athletics - oder kurz: Oakland A's - anfangen zu können. Dieses Team, das im Mittelpunkt des Buchs "Moneyball" von Michael Lewis stand - und natürlich noch bekannter wurde durch den gleichnamigen Film mit Hollywood-Superstar Brad Pitt -, war um die Jahrtausendwende das Sinnbild dafür, dass man auch ohne große Kohle im US-Sport erfolgreich sein kann.

Mehr noch: Der Erfolg des Teams machte "Sabermetrics" und "Analytics" im Baseball und in anderen Sportarten erst so richtig salonfähig: Die Idee, mit feinsäuberlich gefilterten Daten Spieler zu finden, die sonst nicht dem klassischen "Eye Test" standgehalten hätten, und die klassischen Statistiken auf ihre Aussagekraft zu überprüfen, revolutionierte den Sport. Erst im Baseball, anschließend nach und nach auf der ganzen Welt: Teure Verträge für Running Backs, nur weil sie viele Touchdowns erzielen? Oder für eindimensionale Guards, nur weil sie vergleichsweise gut punkten? Mittlerweile sind wir schlauer.

Die A's gewannen zwar in ihrer "Moneyball"-Hochphase keinen Titel, erreichten aber seit 2001 elfmal die Playoffs, was nicht allzu viele Teams von sich behaupten können. Und dennoch scheint das Ende einer Ära in Oakland nun gekommen. Spätestens seit Dienstag erscheint es als sicher, dass die A's Oakland bald verlassen und nach Las Vegas weiterziehen werden: Der Senat von Nevada bewilligte mehrere hundert Millionen Dollar für einen Stadionbau, der Umzug ist wohl nur noch eine Frage der Zeit.

Seit 1968 nennt das Team die Bay Area sein Zuhause, 55 Jahre Baseball-Geschichte stehen vor einem unrühmlichen Ende. Der anstehende Abschied war allerdings unvermeidlich, ist er doch von langer Hand geplant - und orientiert sich dabei erstaunlich nah an einem beliebten Hollywood-Klassiker.

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Oakland Athletics: Die neuen Indianer von Cleveland

Es ist die alte Geschichte: Ein wohlhabender Teameigner, in diesem Fall der Mode-Milliardär John Fisher - ein Erbe des Gap-Imperiums - versucht wie schon seine Vorgänger von der Stadt und der Region ein neues, modernes Stadion herauszupressen. Was in diesem Fall aber auf taube Ohren stößt. Wo andernorts Sportstadien durch Steuerzahler mit- oder gar komplett finanziert werden, bleibt Oakland standhaft und erfüllt diesen Wunsch nicht.

Also fährt Fisher das Team vorsätzlich vor die Wand: Er spart an allen Ecken und Enden, weidet den Kader aus wie eine frisch in der Bay Area gefangene Forelle und lässt die marode Spielstätte weiter verkommen. Resultat: Das Team spielt miserabel, die Zuschauer bleiben weg und die A's werden zum Schandfleck der gesamten Major League Baseball. Nur ein Umzug kann diese Situation noch retten - und rund 700 Kilometer östlich klimpert Las Vegas bereits verführerisch mit den Wimpern.

Das erinnert fatal an "Die Indianer von Cleveland" (im Original: "Major League"), den Baseball-Kultfilm von 1989 mit Charlie Sheen. In der Hollywood-Version will ein Vegas-Showgirl die Cleveland Indians nach Miami übersiedeln und bietet deshalb das vermeintlich schlechtmöglichste Team auf, um den Zuschauerschnitt zu drücken und so eine Umzugsklausel ziehen zu können.

Natürlich geht auf der Leinwand am Ende alles gut aus. Im echten Leben ist die Situation dagegen eine andere - selbst sportlicher Erfolg dürfte die A's kaum noch retten. Kurioserweise gehen sie damit den gleichen Weg, den ein paar Jahre zuvor schon die Raiders in der NFL angetreten waren, mit denen sich die A's das Coliseum jahrzehntelang als Stadion geteilt hatten.

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Oakland Athletics: Coliseum als Stein des Anstoßes

Fishers Kritik am Stadion seiner A's ist dabei nicht einmal von der Hand zu weisen. Das Coliseum ist seit jeher der Stein des Anstoßes, da es einfach nicht mehr zeitgemäß ist. Mehr noch: Es gleicht einer Ruine. Und das nicht nur, weil es einer der ältesten Ballparks der MLB ist. Bereits vor zehn Jahren sorgten überflutete Kabinen aufgrund von verstopften Toiletten für Entsetzen.

Verbessert hat sich seitdem nur wenig. Immer noch ist der üble Geruch ein Thema, die Toiletten für die Zuschauer gehören laut Fan-Umfragen zu den schlechtesten aller 30 Stadien der Liga. Die Essensstände sind teilweise so marode, dass sie durch Food Trucks außerhalb des Stadions ersetzt wurden. Und dabei reden wir noch gar nicht von der Tierwelt, die Einzug erhalten hat.

Seit Jahren treiben sich in der Gegend nämlich streunende Katzen herum, deren Fäkalien vielerorts im Stadion zu finden sind. Und dann wären da noch die Opossums, die offenbar nicht nur die Pressetribüne des Stadions besiedeln. Eines fand vor ein paar Jahren sogar den Weg aufs Feld. Ansonsten lebt diese Familie aber im Innenleben des Stadions, in Löchern in den Decken und Fußböden. Garniert wird das Coliseum überdies durch Spinnweben und kaputte Sitze auf den Tribünen.

Die bittere Wahrheit ist, dass die Stadionbetreibergesellschaft diese Mängelliste schon länger nicht mehr interessiert. Man lässt es laufen. Die Stadt hat aufgegeben, nachdem es die A's ohnehin schon getan haben.

Die Fans der Oakland A's hätten gerne einen Verkauf der Franchise.
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Oakland Athletics: Niedrigste Payroll, niedrigster Zuschauerschnitt

Nun könnte man selbst in dieser Bruchbude noch erfolgreichen Baseball spielen. Die A's haben es vorgemacht, als sie 2019 und 2020 die Postseason erreichten. Doch dann wurde es Fisher zu bunt: Jahr für Jahr gibt er die besten Spieler des Teams ab, senkte seine Payroll auf zwischenzeitlich unter 30 Millionen Dollar und zahlt bis heute die niedrigsten Gehälter (einen "Salary Floor", also ein Mindestmaß an Gehaltsausgaben, gibt es in der MLB nicht). Gleichzeitig wurden die Eintrittspreise erhöht. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Seine offizielle Version für diese Entwicklung: Die A's hätten mit dem Coliseum einen signifikanten wirtschaftlichen Nachteil gegenüber der Konkurrenz. Das zeige der Zuschauerschnitt, der sich seit Jahren im niedrigen Zehntausenderbereich bewegt, weit unter der Kapazität des Stadions (46.847 Zuschauer). Und seit 2022 erhalten die A's sogar wieder Geld aus dem Revenue Sharing der Liga, obwohl sie in einem der größten Märkte beheimatet sind.

Der Zuschauerschnitt der aktuellen Saison liegt bei erbärmlichen 8.555, mit Abstand Schlusslicht in der Liga. Spiele der A's sind so schlecht besucht, dass es 2022 für ein Pärchen problemlos möglich war, im Oberrang ungestört Sex zu haben - während eines Spiels. Die beiden wurden von der Polizei nie identifiziert.

Viel Klasse gibt es unten auf dem Diamond ja auch nicht zu sehen: Im derzeitigen Kader verdienen gerade mal zwei Spieler mehr als das MLB-Durchschnittsgehalt, das aktuell bei 4,9 Millionen Dollar liegt. Pitcher Trevor May (7 Millionen Dollar) und Shortstop Aledmys Diaz (6,5 Millionen Dollar). Nicht unwahrscheinlich, dass dieses Duo bis zur Trade Deadline Ende Juli noch weiterverscherbelt wird ...

Allzu viele Zuschauer finden dieser Tage nich den Weg ins Coliseum in Oakland.
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Oakland Athletics: Das Grundproblem im US-Sport

Das Ganze ist eine einzige Scharade. Eine Trotzreaktion, um der Öffentlichkeit zu zeigen, wie schlecht es den A's in der aktuellen Lage geht.

Eine Trotzreaktion auf die Hürden, die ihnen Oakland aus ihrer Sicht entgegengestellt hat. Dabei wurde in den vergangenen zwei Jahrzehnten so einiges versucht, um das Stadionproblem zu lösen. Ein Umzug ins südlich gelegene Fremont war angedacht, oder gar nach San José, doch das verhinderten die San Francisco Giants, die die Vermarktungsrechte in der Region halten. Diverse Neubauten wurden gehandelt, darunter ein Areal im Hafen Oaklands am sogenannten Howard Terminal. Hier ging es gar um ein zwölf Milliarden schweres Bauprojekt mit einem begrünten Stadion als Mittelpunkt.

Die Abstimmung des Stadtrates darüber kam aber nie zustande, der Umzugsdeal nach Vegas dazwischen. "Ich bin fest überzeugt davon, dass die Stadt Oakland als Mittel zum Zweck missbraucht wurde, um den Umzug nach Las Vegas möglich zu machen. Deshalb habe ich die Notbremse gezogen. Bis hierher und nicht weiter", erklärte Bürgermeisterin Sheng Thao gegenüber ESPN.

Das Grundproblem ist in der Organisation der großen US-Sportarten begründet. Die Teams der NFL, MLB, NBA oder NHL mögen noch so tief in ihren Regionen verwurzelt sein: Sie haben eben Besitzer. Und diese Besitzer können sich dazu entscheiden, ihre Sachen zusammenzupacken und das Team woanders anzusiedeln. Dort, wo das Gras grüner ist, also das Stadion neuer, die TV-Rechte lukrativer, die wirtschaftlichen Umstände vielversprechender.

Verhindern können das nur die übrigen Teameigner - aber warum sollten sie einschreiten? Wenn der Umzug dazu führt, dass besagte Franchise finanziell besser dasteht, bekommen am Ende alle ein Stück vom Kuchen ab. Und vielleicht sind es ja bald sie selbst, die eine "Relocation" anstreben. Irgendwo winkt immer eine boomende Gegend mit einer neuen Arena oder zumindest finanziellen Zusagen.

Deshalb kann dem eigenen Markt in schöner Regelmäßigkeit die Pistole auf die Brust gesetzt werden: "Baut mir ein neues Stadion! Zahlt mir umfangreiche Renovierungen! Oder ich muss mich umsehen ..." Natürlich gibt es auch andere Besitzer, die in dieser Hinsicht ihr eigenes Geld in die Hand nehmen. Aber es gibt auch die Fishers.

Und warum sollte der Vegas nicht vorziehen? Laut Forbes belegen die A's in der Liste der wertvollsten Franchises mit 1,18 Milliarden Dollar Platz 29 von 30. In der Sin City dürfte sich diese Zahl locker verdoppeln, vielleicht sogar vervielfachen. Und deshalb hat auch Commissioner Rob Manfred nichts gegen den Umzug. Er ist gut fürs Geschäft.

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Oakland Athletics: "Reverse Boycott" der Fans sorgt für Stimmung

Thao hat politisch reagiert: Der "Moneyball Act" soll dafür sorgen, dass zurückgelassene Städte beim Umzug ihres Teams finanziell entschädigt werden. Aber das kommt wohl zu spät: Wenn die A's in ein paar Jahren nach Vegas ziehen, wird ihre Stadt innerhalb von wenigen Jahren ihr drittes großes Team verloren haben. Neben den Raiders wanderten 2019 schon die Golden State Warriors auf die andere Seite der Bay ab, ins besser betuchte San Francisco.

Den Fans bleibt nur der Protest. Wobei leere Plätze im Coliseum ja keine große Story mehr sind. Also zettelten sie am Dienstag einen "Reverse Boycott" an, als Botschaft an John Fisher und die Liga: "Seht her, wir sind auch noch da. An uns liegt es nicht!" Fast 28.000 Zuschauer sahen so das Spiel gegen die favorisierten Tampa Bay Rays, die ersten 7.000 bekamen am Eingang kostenlose T-Shirts mit der Aufschrift "SELL". Sprechchöre, Schweigeminuten - plötzlich war mal wieder Playoff-Stimmung in Oakland. Am Ende reichte es sogar zum Sieg (2:1).

Wirklich gefeiert werden konnte aufgrund der Nachricht aus Nevada allerdings nicht. "Las Vegas verdient ein Team - ein Expansion Team", erklärte Thao. "Aber die A's müssen in Oakland bleiben."

2027 soll in Nevada der neuer Ballpark stehen, erster Spatenstich 2024. Spannend ist wohl nur noch, was in der Zwischenzeit passiert: Die Stadionpacht für das Coliseum läuft nur noch bis Ende 2024.

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