Sicherheit und ihre Grenzen

Von Dietmar Lüer
Jules Bianchi starb am 14. Juli 2015 an den Folgen eines Formel-1-Unfalls
© getty

Seit dem Tod von Jules Bianchi und dem ehemaligen F1-Fahrer Justin Wilson ist das Thema Sicherheit in der Formel 1 wieder einmal in aller Munde. Schnell ist der Ruf nach neuen Vorschriften und härteren Regeln da, doch gibt es überhaupt 100 Prozent Sicherheit?

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Die Fahrer schießen mit teilweise mehr als 300 km/h über die Strecke und sitzen auf einem Haufen hochexplosivem Benzin, was jedes normale Auto zum explodieren bringen würde. Ihre Hintern schweben Zentimeter über den Boden, abgeschirmt nur durch eine Schicht Kunststoff. Sie können sich so gut wie gar nicht bewegen, eingepfercht in ihrer Sicherheitszelle aus Werkstoffen, die einem Raumschiff alle Ehre machen würde.

Der erste Tote in der Formel 1 war 1954 Onofre Marimon, der im Training verunglückte.

Nach mehreren Todesfällen und wenig Unterstützung durch den Weltverband, begannen die Fahrer sich 1967 zu organisieren, was jedoch in keiner Weise mit den heutigen Verhältnissen zu vergleichen ist. Ihr Einfluss war eher gering und die Unglücke nahmen trotzdem weiter zu.

Die unrühmlichsten Zeiten sind hier sicher die 70er Jahre gewesen. In dieser Zeit experimentierten die Konstrukteure in jede Richtung, was die Geschwindigkeit immer weiter erhöhte, ohne jedoch den Fokus auf der Sicherheit zu legen.

11 von aktuell 33 Fahrern starben alleine von 1970 bis 1980. Bis 1982 war der Tod noch ein ständiger Begleiter in der Königsklasse. Gefühlt starb jährlich ein Fahrer an den direkten oder indirekten Folgen von Unfällen. Dabei darf man auch nicht die viele unbeteiligte Zuschauer vergessen, die entweder direkt oder von umherfliegenden Trümmerteilen getötet und/oder schwer verletzt wurden.

Wie unsicher die Fahrzeuge und die Strecken- bzw. Rettungstechnik zu dieser Zeit waren, sieht man daran, dass die Fahrer damals am meisten Angst hatten zu verbrennen. Dies ging soweit, das es Fahrer gab die sich nicht anschnallten, nur um schneller aus dem Auto zu kommen. Lieber setzten sie sich der Gefahr aus, herausgeschleudert zu werden, als in dem Fahrzeug zu ersticken oder gar dem Feuertod zum Opfer zu fallen.

War es in den 70er Jahren noch das Wichtigste die Boliden möglichst schnell zu machen und die Performance zu verbessern, ohne dabei die wachsende Anzahl an Todesfällen ernst zu nehmen, so setzten am Anfang der 80er Jahre die Teams, der Weltverband und auch die Konstrukteure das Thema Sicherheit ganz oben auf die Prioritätenliste.

Hier einige Verbesserungen der Sicherheit aus den 80/90er Jahren:

1982: Der zentrale Punkt der Sicherheit eines Formel 1-Boliden ist das Monocoque. War das Monocoque noch bis Anfang der 80er aus Aluminium, so baute McLaren 1984 das erste Mal ein Modell aus Kohlefaser ein, was zu dem Zeitpunkt eine technische Revolution darstellte. Trotz eines leichten Gewichtes von 30-40 kg ist es seither die primäre Lebensversicherung der Fahrers.

Die individuelle Form des Monocoques ergibt sich aus einer Reihe von Faktoren wie der Länge des Radstandes, der Tankgröße, dem Körperbau des Piloten, sowie aerodynamischen Anforderungen. Sie unterliegen Crash-Tests, die einen sehr viel höheren Standard haben als bei Serienfahrzeuge und kostet zwischen 25.000 und 50.000 €.

Auf Grund der enormen Festigkeit bieten sie den Piloten auch bei schwersten Unfällen ein sehr hohes Maß an Sicherheit. In diesem Zusammenhang ist ganz sicher der Unfall von Robert Kubica zu nennen, der 2007 in Montreal mit 280 km/h in die Mauer knallte und nur eine leichte Knöchelprellung davon trug. Ein Unfall der noch Anfang der 80er Jahre mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Tode geführt hätte.

1984: Das Nachtanken während des Rennen wird verboten.

1986: Sid Watkins, von 1984 bis 2004 legendärer Streckenarzt und Retter vieler Fahrerleben, war einer der größten Verfechter hoher Sicherheitsstandards und umfangreicher Erstversorgung an den Rennstrecken. So setzte er sich z.B. für bestens ausgestattete Streckenhospitäler und ständig bereit stehenden Hubschrauber ein, letzteres wurde 1986 sogar zur Pflicht.

Leider konnte er einem seiner besten Freunde nicht das Leben retten: Ayrton Senna, der 1994 in Imola bei einem Rennunfall starb.

1988: Formel 1 Boliden ohne umfangreiche Crashtests für Monocoque und Tank wurden nicht mehr zugelassen. Beides wurde zur Pflicht und nahm mit der Zeit Ausmaße an, die in der Automobilwelt einzigartig sind.

1990: Ab sofort mussten die Lenkräder mit einem Griff abnehmbar sein, um den Piloten im Falle eines Unfalls schneller aus dem Auto ziehen zu können, gerade dann wenn die Ur-Angst der Fahrers, ein Autobrand, wahr wurde.

Im gleichen Jahr wurden Rettungsübungen für die Fahrer Pflicht und auch die Rückspiegel wurden größer, um einen bessere Sicht zu haben.

1992: Das Geburtsjahr des Safety Car. Dieses sollte Folgeunfälle verhindern, sowie Fahrern und den Streckenposten mehr Sicherheit beim bergen von liegengebliebenen oder verunglückten Fahrezeugen geben. Ebenfalls wurden die vorgeschriebenen Crash-Test noch einmal verschärft.

1993: Es darf nur noch Standardbenzin getankt werden. Vorher stellten die Kraftstofffirmen hoch angereichertes Benzin zur Verfügung, was hoch entflammbar und äußerst explosiv war.

Die Höhe der Kopfstütze wird um mehr als 400% erhöht um den Nacken und Kopf der Fahrer besser zu schützen.

1994: Ein Jahr mit umfangreichen Reformationen. So wurden u.a. feuerfeste Anzüge für die Boxencrew zur Pflicht und das nachtanken wurde wieder erlaubt.

Die Mindestanforderungen an die Helme der Fahrer wurden massiv erhöht. Auf Anweisung der FIA wurden mehr als 20 extrem gefährliche Kurven aus den verschiedensten Rennstrecken entschärft. Reifenstapel müssen einheitlich gestapelt und mit Gummibändern gesichert werden.

1997: In diesem Jahr verbaute der Weltverband erstmalig so genannte Unfalldatenschreiber in die Fahrzeuge, um Unfälle besser auswerten zu können. Dies auch als eine Folge der Tode von Senna und Ratzenberger im Jahre 1994.

In den nächsten Jahren wurden u.a. die Reifen mit Fangbändern am Auto befestigt, um bei Unfällen umher fliegende Räder zu vermeiden. Ebenfalls ein wichtiger Meilenstein sind die multifunktionalen Lenkräder und der ständige Boxenfunk, die dem Fahrer und dem Team die Möglichkeit geben, wichtige Informationen zu sehen und auszutauschen.

Diese und viele andere Maßnahmen sorgten dafür, dass sich die Zahl der Toten in der Formel 1 ab 1995 auf Null reduzierten, obwohl die Fahrzeuge von der Geschwindigkeit her immer schneller wurden. Dies alles trotzte den Unfällen, die noch Jahre zuvor mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem oder mehreren Toten geführt hätte, wie z.B.

  • Der schon oben erwähnte Unfall von Robert Kubica, als er mit Tempo 280 in die Mauer knallte.
  • Ralf Schumacher der 2002 beim Start ÜBER den Wagen von Barichello fuhr.
  • Barichellos schwerer Unfall 1994, als er fast ungebremst in die Mauer knallte (gleiches Wochenende an dem Senna/Ratzinger starben).
  • 2002 in Ungarn als Massa eine fast eine Kilogramm schwere Feder am Helm traf und er bewusstlos mit fast 200 km/h ungebremst in einen Reifenstapel fuhr.

Die Formel 1 hat sehr erfolgreich die Sicherheit für Fahrer, Zuschauer und Mitarbeiter immer weiter verbessert und ist ständig bemüht die Formel 1 noch sicherer zu machen.

Doch der tödliche Unfall von Jules Bianchi zeigt, dass es Konstellationen gibt, die man einfach nicht berechnen oder vorraussehen kann.

Solange es Menschen sind die am Steuer sitzen und/oder sich an der Strecke aufhalten/arbeiten, wird es keine hundertprozentige Sicherheit vor tödlichen Unfällen geben. Vielleicht ist es auch gerade das, was einen Teil des Reizes der Königsklasse ausmacht, ähnlich wie moderne Gladiatorenkämpfe.

So sollte man denken und hoffen, dass die über 20 Jahre ohne Todesfälle in der Formel 1, die zwischen dem Tod Sennas und dem von Bianchi liegen, nicht nur viel Glück waren, sondern ausschließlich auf die immer weiter verbesserte Sicherheit zurückzuführen sind.

Wenn es nach mir geht, darf der nächste Zeitraum unendlich sein.

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