Eine aussterbende Rasse?

Von Dietmar Lüer
Theofanis Gekas, Jens Lehmann und Claudio Pizarro bereicherten die Bundesliga
© getty

Sie machten das eigene Team und den Gegner verrückt, waren stets unberechenbar und sind genau deshalb heute noch jedem Fan ein Begriff. Frank Mill, Mario Basler und Co. schrieben Bundesliga-Geschichte, auch dank ihrer Schlitzohrigkeit.

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Fußball gehört in Deutschland zu den liebsten Dingen fast jeden Mannes und kaum etwas regt uns mehr auf, lässt uns mehr diskutieren als alles rund um das runde Leder, die Lieblingsvereine, die Schiedsrichter und vor allem die Spieler. Gerade die Diskussion, welcher Spieler wann und wie viel besser ist als irgendeiner seiner vermeintlichen Rivalen dreht sich im Kreis wie eine Windmühle und ist dabei nicht selten sehr von einem Blick durch die Vereinsbrille geprägt.

Trotz allem gibt es auch immer wieder Spieler, die die Zuschauer vereinsübergreifend mit der Zunge schnalzen lassen. Spieler wie Frank Mill, der für mich persönlich der Inbegriff eines Schlitzohrs ist und war. Den konntest du 88 Minuten nicht sehen und dann machte er wieder so ein oftmals verrücktes Tor.

Ewig hängen bleiben wird bei mir zum Beispiel das 2:1 im Spiel gegen Hannover aus der Saison 87/88. Ralf Raps hat den Ball eigentlich sicher, führt ihn am Fußund nimmt ihn auf. In dem Moment sprintet Frank Mill auf ihn zu und als der Keeper den Ball locker in der Hand hält um ihn nach vorne zu bringen, köpft ihm das Schlitzohr das runde Leder aus der Hand und schiebt ihn ins Tor. Ein Blick Mills zum Schiri - doch der gibt das Tor und beschert Raps und der restliche Fußballgemeinde damit sicher eines der unvergessenen Tore der Bundesligageschichte.

Selbiger Frank Mill sorgte allerdings auch für einen der größten Fail-Momente in der Geschichte der Bundesliga, als er in der Saison 86/87 das völlig leere Bayern-Tor nicht traf, obwohl der Schuss an den Pfosten in dieser Szene die schwerere Aufgabe war. Wer es also durch die rosa-rote Brille sehen will ... auch das ist ein Kunstschuß!

Ebenfalls in die Kategorie Schlitzohr gehört auch Stürmer Mike Hanke - zumindest in einer Situation. Nachdem sich Jörg Butt nach einem seiner Elfmetertore etwas zu sehr von seinen Kollegen feiern ließ, legten sich die Schalker den Ball schnell zurecht und Hanke schoß das Leder mit Ertönen des Anpfiffs über den verdutzten Butt ins Tor. Auch hier war es eine mehr als grenzwertige Entscheidung des Schiedsrichters, da Hankes Kollege Ebbe Sand den Ball beim Anstoß nicht berührt hatte. Das Tor zählte trotzdem.

Doch was ist überhaupt ein Schlitzohr? Waren das immer technisch überragende Spieler?

Wikipedia sagt über den Begriff des Schlitzohrs unter anderem folgendes: "Möglich sei hingegen, dass Schlitzohr ein bildlicher Ausdruck für eine Person sei, die mit dem Teufel im Bunde steht. Diesen stellte man sich nämlich schlitzohrig und schlitzfüßig vor"

Da ich nicht ganz so weit gehen möchte und Bundesligaspielern einen Pakt mit dem Teufel unterstellen möchte, frage ich einfach die Spox-User: Wer ist für euch ein echtes Schlitzohr?

Voegi:

"Schlitzohre in der Bundesliga - das klingt wie ein Anachronismus, ist die Zeit der pfiffigen Lausbuben doch irgendwie vorbei. Frank Mill, Manfred Burgsmüller, Ente Lippens, Buffy Ettmayer oder auch Mario Basler - ihren Namen stehen stellvertretend für eine Spielergatttung, wie es sie heute fast nicht mehr gibt. Wie allgemein beklagt, ist das Business in der Tat stromlinienförmiger geworden und lässt kaum mehr Raum für echte Typen mit Schalk im Nacken. Die heutige Generation bietet nur wenige solcher Exemplare. Vielleicht sogar nur noch einen einzigen: Thomas Müller - der letzte Lausbub der Bundesliga. Gerne mehr davon, der Liga täte es sicher gut."

Valo7:

Für mich war das größte Schlitzohr eindeutig Jens Lehmann. Genau für diese Art wurde geliebt und gehasst. Seine Psychospielchen sind für mich heute noch unvergessen. Einmal schleuderte er den Schuh von Gegenspieler Salihovic übers Tor. Das andere Mal riss er Mitspieler Boulahrouz das Stirnband vom Kopf, als dieser bei einem Europapokalspiel in Petersburg nicht ganz nach Lehmanns Vorstellungen spielte. Und da gab es ja auch noch diesen Elfmeter von Ribery, gelupft in die Mitte. Doch nicht mit Jens, der einfach stehen blieb und den Ball festhielt. Ein grandioser Typ, der selbst kürzlich beim "Spiel des Jahres" von Sami Khedira noch vollen Einsatzwille zeigte und sicher der Bundesliga, als auch Vereinen wie dem VfB fehlt!

Schnumbi:

Manni Burgsmüller ist für mich das Schlitzohr schlechthin, gepaart mit einem enormen Torriecher. Ich mochte ihn nicht. Er spielte im falschen Verein. Im Herbst 86 holte Bremens Trainer Otto Rehhagel den fast 36-jährigen Burgsmüller an die Weser. Und er sollte seinen Trainer nicht enttäuschen. Der kurioseste seiner insgesamt 213 Ligatreffer war wohl das 1:0 gegen Kaiserslautern am 21.3.1986. Burgsmüller erinnerte sich wie folgt. "Der Ehrmann hält den Ball, ich lieg so neben dem Tor, rappel mich wieder auf und will wieder zur Mitte. Da seh' ich, wie der Gerri vor sich hinpennt, geh' zu ihm und schubs' dem mit der Hand die Pille aus dem Arm. Fällt der Ball auf den Boden, und ich schieb' ihn rein." Alle Lauterer Proteste waren vergebens, Schiedsrichter Markus Weber gab das Tor.

RoyRudolphusAnton

Das größte Schlitzohr der Liga? Da steht die Antwort für mich außer Frage: Es ist Claudio Pizarro, der sich in seinen vielen Deutschland-Jahren nicht nur zum ausländischen Rekordschützen, sondern auch zur Kultfigur gemausert hat mit seiner fast unnatürlich positiven Art und dem wie festgetackerten Lachen. Denn im Grunde ist Pizarro ein Spieler, der es einem schwer macht, ihn nicht zu mögen - auch ohne Bayern- und Bremen-Bezug. "Schlawiner" wurde er in München zuweilen genannt, ein Synonym zum Schlitzohr, das angesichts seiner Anlagen wahrscheinlich noch mehr hätte erreichen können/sollen//müssen. So aber wurde Piza, vor allem in seinen Dreißigern, zu einem dauerfröhlichen Sympathikus für einen Verein, der einigermaßen viele Gegner hat. Gleichermaßen wird er als Phänomen in Erinnerung bleiben: als weltweit einziger Spitzenfußballer ohne Feinde. Ich vermisse ihn jetzt schon.

robson2951989

Mein Schlitzohr ist Theofanis Gekas. Ich finde ihn als Typen nicht sonderlich interessant, da gibt es sicher Spieler mit den tollsten Geschichten wie Mario Basler, Walter Frosch und Konsorten und es gibt auch begnadete Spieler, die mit ihren Fähigkeiten und Ideen den Gegner lächerlich machen konnten. Gekas hat mich aber immer auf eine komische Art und Weise fasziniert: Seine Zweikampfwerte waren unterirdisch, er beteiligte sich kaum am Spiel, lief wenig und sah aus wie bestellt und nicht abgeholt, bis er den Ball dann irgendwann mal in Tornähe bekam und knipste. Nie spektakulär, immer hart an der Abseitslinie. Heute spielt er in der Türkei und trifft immer noch regelmäßig, weil er diese Gabe hat, mit minimalstem Aufwand den maximalen Ertrag zu erzielen.

Abschließend kann man wohl deutlich sehen, dass die Meinungen bei diesem Thema deutlich auseinandergehen. Ich denke, dass heute Alles so stromlinienförmig wie möglich gemacht wird, auch die Spieler, sodass nur ganz wenige Spieler sich individuell entwickeln können und sich auch mal verrückte Dinge trauen.

Was sagt ihr? Wer ist für euch das größte Schlitzohr in der Geschichte der Bundesliga und gehören sie wirklich zur aussterbenden Rasse?