Andreas Goldberger im Interview: "Skispringen braucht mehr Typen wie Cristiano Ronaldo"

Andreas Goldberger spricht über Erinnerungen an Olympia und Ausflüge in den Extremsport.
© GEPA

Weltmeister, Gesamtweltcupsieger und Tourneetriumphator: Andreas Goldberger hat in seiner Karriere alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt - ausgenommen von Olympia-Gold. Der 45-Jährige trauert dem Traum aber nicht nach, sondern erinnert sich an kuriose Erlebnisse wie Trainingseinheiten im Olympiadorf mit Prinz Albert.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Außerdem analysiert Goldberger die aktuelle Formkrise der österreichischen Skisprungmannschaft und erzählt von seinen Ausflügen in den Extremsport, bei denen er unter anderem zu einem dreitägigen Langlaufmarathon nach Grönland reiste. Der 20-fache Weltcupsieger sorgt sich zudem um den Erhalt des Skispringens und wünscht sich mehr Typen der Kategorie Cristiano Ronaldo.

SPOX: Herr Goldberger, Ihre größten Erfolge haben Sie bei der Tournee oder im Weltcup gefeiert. Bei Olympia lief es nie so richtig rund. Verspüren Sie deshalb Wehmut?

Andreas Goldberger: Als Kind habe ich immer gesagt, dass ich Olympiasieger und Weltrekordler werden will. Diese Zielsetzung ist immens wichtig: Wenn ich sage, ich will ein Weltcupspringen gewinnen, kann das schnell erreicht sein. Aber ein Olympiasieg ist meist ein Ziel für die gesamte Karriere. Im Endeffekt ist keine Enttäuschung spürbar, weil ein Olympiasieg von der sportlichen Leistung her geringer einzuschätzen ist als ein Tourneesieg oder ein Triumph im Gesamtweltcup. Das wissen die Athleten aus sportlicher Sicht - aber auf der Visitenkarte hat natürlich jeder gerne einen Olympiasieg stehen.

SPOX: Was ist Ihre schönste Erinnerung an Olympia?

Goldberger: Die Olympischen Spiele 1994 in Lillehammer. Ich war in einer tollen Form, die Norweger haben damals alles perfekt organisiert, die Stimmung war unglaublich - so stellt man sich Olympia vor. Das habe ich nachher auch nie wieder so erlebt.

SPOX: Aus sportlicher Sicht ist es dort aber auch nicht unbedingt nach Wunsch verlaufen.

Goldberger: Ich bereue nichts, denn ich habe immer mein Bestes gegeben. Aber es stimmt, in Lillehammer hätte ich eigentlich mehr drauf gehabt. Vielleicht war ein wenig Wind-Pech dabei, aber ich finde, das Glück kommt zu einem anderen Zeitpunkt im Leben wieder zurück. Ein paar Monate später bin ich als erster Mensch über 200 Meter geflogen, allerdings war die Schanze so schlecht präpariert, dass ich den Sprung nicht stehen konnte. Sechs Jahre später, als ich am wenigsten damit gerechnet habe, sprang ich plötzlich zum Weltrekord (19. März 2000, 225 Meter in Planica, Anm. d. Red.).

SPOX: Wie kann man sich das Leben im Olympischen Dorf vorstellen?

Goldberger: Den Athleten steht alles zur Verfügung: Von Vergnügungsanlagen über Restaurants bis hin zu Spielpuppenkino gab es damals alles. In Salt Lake City waren wir sportlich nicht so erfolgreich, aber es war trotzdem der Hammer, die ganzen Eishockeystars wie Wayne Gretzky (2002 General Manager des kanadischen Nationalteams, Anm. d. Red.) zu sehen. Ich kann mich erinnern, dass während einer Trainingseinheit im Fitnessstudio Prinz Albert ein paar Gewichte neben mir gestemmt hat, weil er sich auf seinen Einsatz im Bob vorbereitete. Das sind einfach coole Erlebnisse, die merkst du dir für immer.

SPOX: Stimmen die Gerüchte, dass es im Olympischen Dorf vor allem zu später Stunde immer rund geht?

Goldberger: Das habe ich so nicht erlebt - leider. (lacht) Jedes Mal, wenn ich im Olympischen Dorf war, haben wir gar nichts gerissen, da war uns nicht zum Feiern zumute. Natürlich gibt es immer wieder große Partys, aber ich denke auch, dass jeder so ein bisschen etwas dazu dichtet.

SPOX: Bei Olympia steigt das Interesse am Skisprungsport naturgemäß an. Freuen Sie sich schon auf die Wettbewerbe in Pyeongchang?

Goldberger: Definitiv! Die Südkoreaner haben eine spektakuläre Schanze aufgestellt. Der Anlaufturm schaut toll aus und ist jetzt schon ein richtiges Wahrzeichen. Im vergangenen Jahr waren die Bedingungen im Weltcup perfekt, die Anlage war toll präpariert, doch es gibt ein Problem.

SPOX: Welches?

Goldberger: Die Anlage ist extrem windanfällig. Sie haben rundherum ein gutes Windnetz installiert, aber wenn es frontal auf die Schanze bläst, könnte es kritisch werden, da helfen auch keine Netze. Im letzten Jahr sind die Wettbewerbe aber sehr gut über die Bühne gegangen.

SPOX: Was sind die Charakteristika der Schanze?

Goldberger: Sowohl auf der Normal- als auch auf der Großschanze benötigt man gewisse Flugqualitäten. Die Flugkurve ist nämlich nicht so hoch, sodass du nur kräftig abspringen musst. Die Normalschanze ist mit einer Hillsize von 109 Metern recht groß, daher braucht man dort auch eine gute Flugphase. Auch für die Damen wird das ein äußerst attraktiver Wettbewerb.

SPOX: Gibt es für Sie so etwas wie einen Favoriten?

Goldberger: Es ist trotzdem schwierig zu sagen, ob die Schanze einem spezifischen Springer zugutekommt. Die Athleten in Topform passen sich der Schanze stets gut an. Alles, was ich sagen kann, ist, dass durch die Wind- und Gate-Regeln die Chancen auf einen Außenseitersieg minimal sind.

SPOX: Im Interview mit SPOX haben Sie einmal erzählt, dass Sie zu Beginn Ihrer Karriere enorm unter Druck standen, weil Sie der einzige Springer aus Ihrem Team mit Siegchancen waren. Vor allem Medientermine hätten viel an Substanz gekostet. Ist dasselbe nun Stefan Kraft widerfahren?

Goldberger: Irgendwie ist es ja gut, wenn du gefragt bist und im Mittelpunkt stehst. Aber wenn immer nur du diese Termine wahrnehmen musst, ist das natürlich anstrengend. Ich fand die alte Regel, dass die besten Zehn im Weltcup von der Qualifikation für die Wettbewerbe ausgenommen sind, eine gute. Diese Springer haben rundherum einen viel größeren Aufwand, um die Veranstaltung insgesamt attraktiver zu gestalten. Die Medien wollen natürlich immer mit dem Besten reden, und irgendwann geht dir dann das Gas aus. Aber ich glaube nicht, dass das bei Stefan Kraft der Grund war.

SPOX: Sondern?

Goldberger: Kraft ist ein geselliger Typ, der sich nie alleine im Zimmer einsperren würde. Wenn die Mannschaft nicht gut springt, geht ihm das nahe, weil er seine Kollegen einfach sehr schätzt. Stefans Wettkämpfe sind zu Beginn der Saison ein wenig unglücklich verlaufen, zudem hat er den einen oder anderen Sprung selbst verhauen. Plötzlich wissen die Außenstehenden auch alles gleich besser und reden auf dich ein, was du besser machen kannst. Ich denke, ihm kommen die Spiele in Südkorea - fernab von zuhause - ganz recht. Die Verhältnisse sind für einen Österreicher ein wenig gemütlicher als bei einer Tournee, da kann das Kräfteverhältnis gleich wieder ganz anders aussehen.

SPOX: Trauen Sie dem österreichischen Team zu, die aktuellen Probleme in den Griff zu bekommen?

Goldberger: Absolut. Im Einzel zähle ich nur Stefan Kraft zum Favoritenkreis, aber wenn die anderen ihre Normalform abrufen können, dann hat Österreich Chancen auf eine Mannschaftsmedaille. Doch andere Teams wie Polen, Deutschland oder Norwegen lauern. Stefan Kraft hat in der vergangenen Saison sehr viel kaschiert. Klar, es war auch die eine oder andere Verletzung dabei, aber die muss man akzeptieren.

SPOX: Bei den internationalen Verbänden arbeiten sehr viele österreichische Cheftrainer. Wie ist dies zu erklären?

Goldberger: Wir haben in Österreich eine sehr gute Ausbildung. Unsere Trainer in den Leistungszentren in Eisenerz, Saalfelden oder Stams sind gut, aber vor allem sehr ehrgeizig und setzen sich hohe Ziele. Cheftrainer-Posten gibt es in Österreich eben nur einen, und wenn - so wie in den letzten Jahren - die Ergebnisse gut sind, gibt es da kein Vorbeikommen. Wenn es ein Angebot im Ausland gibt, nehmen das die Trainer natürlich gerne an, so wie das beispielsweise Werner Schuster in Deutschland, Stefan Horngacher in Polen oder Alexander Stöckl in Norwegen getan haben. Es ist auch klar, dass dir diese Trainer in Österreich irgendwann auch wieder abgehen werden.

SPOX: Wie schätzen Sie die Chancen der deutschen Springer ein?

Goldberger: Mir tut Severin Freund unheimlich leid. Ich kenne ihn gut und schätze ihn sehr. Sein zweiter Kreuzbandriss ist extrem bitter, aber trotzdem sind die Deutschen unglaublich erfolgreich. Während Andi Wellinger schon im vergangenen Jahr überzeugte, beeindruckt mich Richard Freitag sehr, weil er vor einem Jahr noch im Kontinentalcup zu finden war. Ich traue ihm zu, dass nach der unglücklichen Tournee bei Olympia seine große Stunde schlägt. Mannschaftlich sind die Deutschen sehr stark.

Inhalt:
Artikel und Videos zum Thema