Olympia - Nächste Stufe der Eskalation: Ukraine beschließt Boykott

SID
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Ukrainische Athletinnen und Athleten dürfen auf staatliche Anweisung in der Olympia-Qualifikation nicht gegen Russen antreten. Der Boykott ist die nächste Stufe der sportpolitischen Eskalation.

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Für seine Botschaft an all die bösen Kritiker wählte Thomas Bach ein Wort, das nicht nur in der englischsprachigen Welt aufhorchen ließ. "Deplorable" seien sie gewesen, die Reaktionen der europäischen Politiker zum IOC-Beschluss in der Russland-Frage. Also "bedauerlich".

In diesem speziellen Kontext aber durchaus auch als "jämmerlich" oder "schändlich" zu übersetzen. Mit seiner Replik schien Bach zufrieden zu sein - und wurde wenig später von den Schlagzeilen des ukrainischen Boykotts prompt wieder in die Defensive gedrängt.

Auf staatliche Anweisung dürfen ukrainische Athletinnen und Athleten nicht an Wettkämpfen mit russischer und belarussischer Beteiligung, die das IOC mit seinen "Empfehlungen" ermöglicht, teilnehmen. Eine entsprechende Kabinettsentscheidung verkündete Minister Oleh Nemtschinow und schuf damit neue Fakten.

Die Olympischen Spiele mit Russen und Belarussen, dafür ohne Ukrainer: Welch ein verheerendes Bild wäre das auf der größtmöglichen Bühne des Sports? In den Qualifikationen für Paris wird dieses Szenario jedenfalls Realität.

Bach schiebt Verantwortung weiter

Diese nächste Stufe der Eskalation sei keine leichte Entscheidung gewesen, wie Nemtschinow, Mitglied des Nationalen Olympischen Komitees der Ukraine, klarstellte.

Immerhin bedeute sie, dass einige Athletinnen und Athleten in Paris sicher nicht am Start sein werden. Das wünsche er niemandem, sagte Nemtschinow. Und doch: Hier gehe es nicht um die Fortsetzung von Sportkarrieren. Es geht um ein Zeichen in Russlands menschenverachtendem Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Ein Zeichen, das Thomas Bach mit dem IOC in den Augen seiner Kritiker scheut. Die Verantwortung hat er weitergeschoben, die endgültige Entscheidung über den Start neutraler Sportler aus Russland und Belarus in Paris soll zu einem "geeigneten" Zeitpunkt fallen.

Weltverbände müssen eine Linie finden

Nun ist es an den Weltverbänden, eine Linie zu finden. Wie schwer das manchen fällt, beschrieb Schwimm-Bundestrainer Bernd Berkhahn, Betreuer von Olympiasieger Florian Wellbrock und dem Ukrainer Misha Romantschuk.

"Sicherlich ist es für die Spitzenfachverbände immer abhängig davon, woher das Geld kommt", sagte Berkhahn: "So werden sie sich wahrscheinlich politisch daran orientieren, wer in den Verbänden die politische Leitung und die Macht hat. Das sieht im Schwimmverband nicht besonders gut aus."

World Aquatics äußerte sich auf mehrfache Anfrage bislang nicht. Berkhahn hofft, dass die Schwimmfunktionäre auf die "Stimmen der Athleten" hören und den Leichtathleten folgen.

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Findet die Ukraine Mitstreiter für ihren Boykott?

Die zweite olympische Kernsportart hat sich bislang so deutlich für den weiteren Ausschluss der Russen und Belarussen positioniert wie kein anderer Verband.

Fechter (FEI) und Boxer (IBA) hatten dagegen den Bann vor dem IOC-Beschluss aufgehoben, auch im Tischtennis deutet sich die Öffnung an. Der Sport, so heißt es in der ITTF-Mitteilung, habe "eine lange Geschichte darin, Menschen zusammenzubringen, selbst wenn die politischen Beziehungen schwach waren." Ping-Pong-Diplomatie, nur fehlt diesmal eine entscheidende Partei für einen Dialog.

Ob die Ukraine Mitstreiter für ihren Boykott findet, ist indes trotz der scharfen Regierungskritik etwa aus Deutschland, Polen oder Großbritannien fraglich. Das IOC hat dafür längst eine Drohkulisse aufgebaut. Jeder Boykott der Olympischen Spiele ist ein Verstoß gegen die Charta des Internationalen Olympischen Komitees und daher mit Sanktionen zu ahnden.

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