Motorsport - Walter Röhrl im Interview: "Scheiß, auf den ich keinen Wert lege"

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Der Lange! Walter Röhrl ist das Gesicht von Porsche und hat bei Audi Kultstatus. Einst traf SPOX den zweimaligen Rallye-Weltmeister im Bayrischen Wald und sprach mit ihm über die Unprofessionalität von Audi, salzstreuende LKW auf der Monte Carlo Rally, den Rückspiegeltick von Michelle Mouton und die Weißglut von Michael Schumacher, nachdem er auf der Nordschleife im baugleichen Auto überholt wurde.

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Bereits 2015 hat SPOX eine Legenden-Serie abseits von König Fußball veröffentlicht. Zu diesem Anlass wurden ausführliche Interviews mit Andreas Thiel (Handball), Michael Groß (Schwimmen), Frank Busemann (Leichtathletik), Walter Röhrl (Motorsport) und Henry Maske (Boxen) geführt. Wir blicken zurück.

Herr Röhrl, Niki Lauda nannte Sie einst ein "Genie auf Rädern". Bedeutet Ihnen ein solches Lob etwas?

Walter Röhrl: Als mich Sebastian Vettel bei der Formel 1 kennen lernen wollte, da fragte Florian König ihn: "Warum hat der Vettel so ein Tamtam mit diesem Röhrl gemacht?" Niki sagte: "Weißt du wer Ayrton Senna war? Walter Röhrl ist der Ayrton Senna des Rallyesports. Er ist der Beste, den es je gegeben hat." Ich war Fahrer des Milleniums, bester Fahrer aller Zeiten - das ist ein Scheiß, auf den ich keinen Wert lege. Aber Niki hatte eine Ausnahmestellung: Er war der Inbegriff des Undiplomatischen und sagte, was er dachte. Solche Menschen liebe ich.

Ihr Ruf bildete sich schon 1980 heraus, bevor Sie Ihren ersten WM-Titel holten. In Portugal haben Sie auf der Königsprüfung um Arganil die gesamte Konkurrenz im Blindflug abgehängt. Die Sichtweite betrug durch Nebel weniger als fünf Meter.

Röhrl: Arganil ist der Grund, dass ich mit Auszeichnungen überhäuft wurde. Es konnte sich keiner vorstellen, dass einer 4:59 Minuten schneller fährt als der Zweite und dann die gesamte Weltelite innerhalb von 30 Sekunden folgt. Das konnte ich aus zwei Gründen: Ich habe ein unheimlich tolles fotografisches Gedächtnis. Und: Kondition ist Konzentration. Über Motorsport hat man damals gedacht: 'Da gibt man Gas, da braucht man nichts tun.' Durch Skisport und Rudern war ich weit besser beieinander. Die Skandinavier haben sich abends kräftig einen weggeschüttet.

Arganil war allerdings aufgrund der Vorgeschichte speziell.

Röhrl: Die Stimmung war angeheizt, weil mein Teamkollege Markku Alen alle durcheinandergebracht hat und ich auf dem Weg zum Service einen Unfall mit einem Mechaniker hatte. Dann stand ich am Start und habe zu meinem Beifahrer gesagt: "Geistdörfer, schnoi di o! Jetza fahr i eana oan hi, dass sie d'Lizenz obgebn." Wenn ich verärgert war, dann war Feuer unterm Dach. Von da an haben mich die anderen nicht mehr ernst genommen. Sie haben gesagt: "Der gehört nicht zu uns, der kommt von einem anderen Planeten."

Wie sind Sie damit umgegangen?

Röhrl: Wenn die Anderen sich unterhielten und rauchten, habe ich mir im Auto das Gebetbuch angeguckt. Die haben alle eine Minute von mir gekriegt, weil sie Blabla gemacht haben. Ich wurde zum Sonderling gestempelt. Ich hatte nichts gegen sie, ich habe mich profihaft vorbereitet. Ich wollte in der Nacht durch den Wald fahren und wissen, ob ich ein Träumer oder der Beste bin.

Ein Grund, dass Sie blind durch Portugal fahren konnten, war die detaillierte Vorbereitung. Ihr Co-Pilot Christian Geistdörfer hat im Vergleich zu seinem Vorgänger Jochen Berger einiges geändert. In Arganil hatten Sie anhand von Bäumen und Steinen selbst die Geraden in kleine Abschnitte unterteilt, um sich trotz Nebel zu orientieren.

Röhrl: Ich bin ein eher depressiver Mensch, deswegen war er als Sunnyboy ein Glücksfall für mich. Er hat mich immer aufgefordert, noch mehr Informationen reinzuschreiben. Normalerweise sind wir jede Prüfung dreimal abgefahren und ich hatte nach dem zweiten Durchgang genug. In Portugal haben wir fünf gemacht, weil da immer Nebel war. Anschließend bin ich ins Hotel, habe im Liegen die Uhr gestartet und bin im Kopf die gleiche Zeit gefahren.

Walter Röhrl gewann mit seinem Beifahrer Christian Geistdörfer viermal die Monte Carlo Rally
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Walter Röhrl gewann mit seinem Beifahrer Christian Geistdörfer viermal die Monte Carlo Rally

Der genaue Aufschrieb hat Ihnen ein Jahr zuvor nicht geholfen. Bei der Rallye Sanremo 1979 gab es einen Ihrer wenigen Unfälle.

Röhrl: Der einzige, an dem ich selbst schuld war. Es hieß im Gebetbuch: 100 geradeaus links voll, 200 links voll, 100 Achtung! Links Eingang, 30 Kehre rechts. Die ersten zwei Kurven hab ich nicht registriert, weil ich nachdachte, wo wir das Getriebe wechseln können. Ich bin die Kehre im fünften Gang mit 8000 Umdrehungen voll angefahren und mit dem Dach von meinem Fiat auf einem Bauernhaus gelandet, das 40 Meter tiefer lag. Wir sind neben der Eingangstür zum Stehen gekommen. Ohne Schutzengel schaut man da alt aus. Die Bauernfamilie hat sich zum Glück die Rallye angeguckt.

Wie haben Sie auf den Unfall reagiert?

Röhrl: Ich bin aus dem Auto raus und wollte mich aufhängen. 7:30 Minuten Vorsprung im Regen - so viel hatte ich noch nie. Ich war das größte Arschloch auf der Welt. Ich habe die Flucht ergriffen, bin zu Fuß fünf Kilometer zum Ziel gelaufen. Ich dachte, ich drehe durch. Andererseits: Wenn ich mich in verschätzt hätte, dann hätte ich Selbstzweifel bekommen. Ich habe im Nachhinein jede Rallye analysiert, ob ich irgendwo Glück hatte. Darauf wollte ich mich nicht verlassen.

Resultierte Ihre Herangehensweise aus dem Tod Ihres Bruders? Er starb bei einem Autounfall, als Sie noch ein Teenager waren.

Röhrl: Ich wollte meiner Mutter nicht zumuten, dass noch ein Sohn tödlich verunglückt. Der Druck, dass nichts passieren darf, hat mein Leben geprägt. Meine Freunde lachen, aber mein Eindruck war, dass ich es im Griff hatte. Der Rettungsschirm war immer parat. Ich habe versucht, das Risiko so gering wie möglich zu halten.

Wie ist Ihre Familie damit umgegangen, dass Sie trotzdem Motorsportler wurden?

Röhrl: Für mich war die Zeit nach dem Unfall brutal. Er war zehn Jahre älter und in jeder Beziehung mein Vorbild. Zehn Minuten bevor er um 23:23 Uhr verunglückt ist, hat er mich gefragt, ob ich mitkomme. Ich bin mit meinem Heinkel-Roller zum Unfallort, seine Beine lagen auf dem Bauch. Es war abzusehen, dass kein Weg am Tod vorbeiführt. Meine Mutter hat das nie verwunden. Wenn ich zur Rallye gefahren bin, gab es eine Szene. Sie hat jedes Mal Tamtam gemacht, als würde sie mich nie wieder sehen. Deshalb habe ich meine Karriere eigentlich Ende 1971 beendet. Ich war aber so fasziniert, dass ich fahren musste. Ich brauchte den Sport, wollte ohne nicht leben.