Tausendsassa Willi Holdorf: Der König ist tot, sein Vermächtnis bleibt

SID
EIn ikonischer Moment für die deutschen Leichtathleten: Willi Holdorf wird bei den Olympischen Spielen 1964 zum König der Athleten, dem Zehnkampf-Olympiasieger, gekürt.
© imago images / ZUMA Press/Keystone

Der deutsche Sport trauert um Zehnkampf-Olympiasieger Willi Holdorf. Der König der Athleten war ein Tausendsassa - sein sportliches Vermächtnis beeinflusste Generationen von Leichtathleten.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Die letzten Meter auf dem Weg zur Krönung gehören zu den größten Momenten der deutschen Sportgeschichte. Willi Holdorf taumelt nach 1500 Metern ins Ziel, dort bricht er völlig erschöpft zusammen, erst langsam begreift der Zehnkämpfer, dass er sich nun König der Athleten nennen darf. Die Bilder der Olympischen Spiele 1964 in Tokio und Holdorfs Kampf auf der Zielgeraden sind unvergessen - und werden es auch über seinen Tod hinaus bleiben.

Am Sonntagabend starb Holdorf in seiner schleswig-holsteinischen Heimat Achterwehr bei Kiel. Das bestätigte der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) dem SID. Im Februar hatte Holdorf seinen 80. Geburtstag gefeiert, er blickte auf ein Leben zurück, das geprägt war von harter Arbeit und sportlicher Neugier. Ein Leben, das inspiriert, auch Jahrzehnte später.

"Wenn man mit dem Zehnkampf beginnt, dann schwebte der Name Willi Holdorf über allen, die danach kamen", sagte Weltmeister Niklas Kaul Focus online. Holdorf sei stets "präsent" gewesen. "Er war nicht nur sportlich sehr erfolgreich, dahinter steckte auch eine starke Persönlichkeit, die sich auch für andere Sportarten interessiert hat. Mit ihm konnte man über viele Dinge sprechen. Sein Tod macht mich betroffen", sagte Kaul.

Willi Holdorf: Vielseitiger Tausendsassa

Zum sportlichen Nachlass Holdorfs zählt mehr als nur die überraschende Goldmedaille in Tokio, als er seinen favorisierten Rivalen Rein Aun aus der Sowjetunion mit letzter Kraft hinter sich ließ. Als Knirps fiel er als pfeilschneller Torjäger von Fortuna Glückstadt auf. Als er mit 19 Jahren deutscher Juniorenmeister im Zehnkampf wurde, stand er außerdem noch im Handballtor des MTV Herzhorn.

Vielseitigkeit bewies der Tausendsassa und Diplom-Sportlehrer auch nach seinem Gold-Coup: Holdorf führte Stabhochspringer Claus Schiprowski 1968 als Trainer zu Olympia-Silber, kümmerte sich um die Kondition des deutschen Davis-Cup-Teams, machte den Fußballlehrer-Schein und arbeitete 1974 kurzzeitig als Trainer des damaligen Bundesligisten Fortuna Köln. Zwischendurch setzte er sich als Anschieber in den Zweierbob von Horst Floth und wurde 1973 EM-Zweiter. "Beim ersten Trainingslauf hatte ich mordsmäßig Schiss", erzählte Holdorf einmal.

Schon früh war er durch seinen Fleiß und Willen aufgefallen. Das harte Brot der frühen Jahre machte Holdorf zäh. Sein Geburtsort: das 500-Seelen-Dorf Blomesche Wildnis - so einsam, wie der Name es vermuten lässt. Der Vater fiel im Krieg, Holdorf musste auf dem heimischen Bauernhof früh zupacken. Ablenkung gab es nicht, bis auf ein bisschen Fußball.

Holdorf 2011 in die Hall of Fame der Deutschen Sporthilfe

Auf der Aschebahn in Tokio war die entbehrungsreiche Jugend für einen Moment vergessen, Holdorfs größter Sieg im Alter von nur 24 Jahren war auch sein letzter - zumindest im Zehnkampf. "Ich war schon verheiratet, musste eine Familie ernähren und mich um mein Studium kümmern", sagte Holdorf, der durch Olympia-Gold nicht reich wurde. Tauschen wollte er dennoch nie - auch nicht mit seinem sportlichen Erben Kaul. "Wir hatten damals weniger Geld, aber mehr Spaß", sagte Holdorf.

Zum Spaß und zum Erfolg kamen Auszeichnungen hinzu. 1964 wurde Holdorf zum Sportler des Jahres gewählt und bekam das Silberne Lorbeerblatt, die höchste Auszeichnung im deutschen Sport. Zudem ist er seit 2011 Mitglied der Hall of Fame der Deutschen Sporthilfe.

Zwei Schlaganfälle überstand Holdorf, sein letzter Traum, eine weitere Reise zu den Olympischen Spielen nach Tokio, ging jedoch nicht mehr in Erfüllung. Dennoch lebt sein Vermächtnis weiter. Nicht nur in Weltmeister Niklas Kaul.