Harting fehlt die Idee: "Verbände ersticken in ihrer Trägheit"

SID
Robert Harting sieht den Leistungssport in Deutschland in einer großen Krise.
© getty

Diskus-Olympiasieger Robert Harting sieht den Leistungssport in Deutschland in einer "großen Krise" und befürchtet anhaltende Erfolglosigkeit bei den Sommerspielen. "Ich prognostiziere die Talfahrt, eine Sohle bei den Olympiamedaillen 2024, spätestens 2028", sagte Harting der Berliner Zeitung.

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Der 35-Jährige kritisierte sowohl die Politik als auch den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) für fehlende Konzepte. "Schön, dass öffentliche Mittel da sind, aber so richtig spürt man das nicht. Es gibt keine Idee dahinter", sagte Harting: "Meine Kritik lautet, dass Verbände in ihrer Trägheit ersticken."

Auch die Spitzensportreform, die der DOSB mit dem Bundesinnenministerium auf den Weg gebracht hat, werde keine Lösung bringen, meint Harting: "Man kann das Wort Sportreform gar nicht anwenden, weil es gar kein Sportsystem gibt."

Harting habe dem DOSB seine "Idee" geschrieben, die dem Leistungssport zu mehr Anerkennung in Deutschland verhelfen soll. "Ihr müsst Mehrwerte bilden, damit Leistungssport für die Bevölkerung wieder eine Relevanz hat. Damit meine ich den Mehrwert der Gesundheit", sagte er.

Harting fragt: "Was soll Leistungssport übermitteln?" Diese Aufgabe müsse der DOSB mit der Politik gemeinsam lösen. "Das tut er aber leider nicht", sagte er und hofft für das Jahr 2029, "dass wir im Leistungssport aus der großen Krise gelernt haben, ich im Bundesministerium des Inneren arbeite und ein wirkliches Sportsystem auf die Beine stellen kann."

Harting: "Nachwuchssystem wurde vergessen"

Harting machte außerdem die fehlende Nachwuchsarbeit in der deutschen Leichtathletik für den Medaillen-Rückgang bei Groß-Events in den Jahren nach dem Mauerfall verantwortlich. In den 1990er Jahren hätten die deutschen Athleten immer weniger Erfolge vorweisen können.

"1992 hatten wir eine ziemlich erfolgreiche Olympiamannschaft. Das ist immer weiter abgeebbt", sagte der ehemalige Welt- und Europameister der Berliner Zeitung 30 Jahre nach dem Mauerfall. "1996 und 2000 fing es an, komisch zu werden, als die körperlichen Helden aufgrund des Alters ausgemustert waren. Es gab so viele starke Athleten, dass ein richtiges Nachwuchssystem vergessen wurde", führte Harting aus.

Er selbst habe sich an Diskus-Helden wie Lars Riedel oder Jürgen Schult orientiert. "Alle wollten ein Autogramm von Lars Riedel. Der kam an in seinem Z3 Cabrio, parkte nicht auf dem Parkplatz, sondern vor der Halle. Alle sind hingerannt", erinnerte sich Harting. Auch der siebenmalige Formel-1-Weltmeister Michael Schumacher sei ein Idol gewesen. "Da habe ich mit meinem Papa vor dem Fernseher gesessen, es war Lagerfeuerstimmung", sagte Harting, der 2018 seine Karriere beendet hatte.

Generell aber habe der Mauerfall vor 30 Jahren insbesondere bei den ostdeutschen Athleten neue Perspektiven aufgezeigt. "Für viele Ostsportler war die Vereinigung ein Katapult, die Chance, sich mit Leistung darzustellen", sagte Harting, der im brandenburgischen Cottbus aufgewachsen ist und heute im Ostteil Berlins lebt.

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