Wie sind Sie nach der Amputation überhaupt zur Leichtathletik gekommen?
Schäfer: Das ist eine ganz witzige Geschichte. Ich habe noch im Krankenhaus von einem Psychologen einen Flyer von Bayer Leverkusen in die Hand gedrückt bekommen. Anfangs hat mich der Flyer aber gar nicht interessiert, weil ich noch mit der Chemo beschäftigt war. Als ich zurück in Bremen war, hatte jedes Kind auf der Krebsstation einen Wunsch frei, ganz egal was. Ich habe mir den Kopf zermartert, aber mir ist nichts eingefallen. Bis ich mich an den Flyer erinnerte und mir ein Treffen mit einem Sportler mit Prothese gewünscht habe. Das Krankenhaus hat dann den Kontakt zu Bayer Leverkusen hergestellt und mir ermöglicht, dass ich mich mit Markus Rehm treffen durfte. Ich habe Markus beim Training zugeschaut und war direkt begeistert. An diesem Tag ist das Feuer für die Leichtathletik entstanden. Es hat sofort Klick gemacht und plötzlich wusste ich, was ich machen will.
Gab es in der Folge dennoch noch Tiefpunkte, an denen Sie mit Ihrem Schicksal gehadert haben?
Schäfer: Eigentlich nur dann, wenn ich den Jungs beim Fußball zugeschaut und realisiert habe, dass ich da nicht mehr dabei sein kann. Nie mehr. Aber als ich mit der Leichtathletik eine neue Leidenschaft entdeckt hatte, fiel es mir nicht mehr so schwer, das Kapitel Fußball abzuhaken. Schlimmer war da für mich der Kreuzbandriss im vergangenen Jahr, das war ein herber Rückschlag für mich. Ich bin in ein richtiges Loch gefallen, ich bin außer Form gekommen und war richtig schlecht drauf, zuweilen auch launisch. Aber diese Zeit war auch extrem wichtig für mich, weil sie mir gezeigt hat, wie viel mir der Sport bedeutet. Der Sport gibt mir so viel, ohne ihn gibt es mich nicht.
Leon Schäfer: "Es ist wichtig, groß zu träumen"
Heinrich Popow ist ein Mentor von Ihnen geworden. Was macht Ihre Beziehung aus?
Schäfer: Heinrich ist wie ein großer Bruder für mich geworden. Uns verbindet zum einen eine ähnliche Leidensgeschichte und zum anderen ticken wir sehr ähnlich. Ich lerne extrem viel von ihm, sowohl was den Sport angeht als auch insgesamt im Leben. Wenn du jemanden hast, zu dem du aufschauen und von dem du dir viel abschauen kannst, ist das für jeden Menschen nur von Vorteil.
Popow sagt über Sie, dass Sie dem Sport mehr Sex-Appeal verleihen können und dass Sie auch auf dem Laufsteg eine gute Figur abgeben würden.
Schäfer: (lacht) Also ich will in erster Linie schon durch meine Leistungen beeindrucken, aber wenn sich Frauen von meinem Äußeren angesprochen fühlen... Mit dem Thema Modeln habe ich mich in der Tat sogar schon beschäftigt, mal schauen, was die Zukunft bringt. Ich bin auf jeden Fall ein sehr modebewusster Typ.
Sie haben Popow als Vorbild, viele Kids schauen aber auch schon auf Sie. Was würden Sie jungen Athleten denn raten und mit auf den Weg geben?
Schäfer: Mir bedeutet es viel, wenn ich mit meinem Sport andere Menschen beeinflussen und inspirieren kann. Es ehrt mich, dass ich für manche schon so eine Rolle habe. Ich würde jungen Athleten in erster Linie raten, dass sie sich ihre Ziele nicht zu niedrig stecken. Es ist wichtig, groß zu träumen. Und es ist wichtig, sich bewusst zu machen und sich immer wieder daran zu erinnern, wofür man etwas macht. Jeder Mensch hat einen anderen Hintergrund, jeder Mensch wird durch andere Dinge inspiriert. Wenn ich mal einen schlechten Tag und keine Lust auf Training habe, besinne ich mich darauf. Bei mir ist es so, dass ich meine Familie und vor allem meine Mutter stolz machen und ihnen etwas zurückgeben will. Das treibt mich an.
Leon Schäfer: "Ich bin nicht zwingend benachteiligt, nur weil mir ein halbes Bein fehlt"
Sie haben zum Beispiel auch mit der bestandenen Aufnahmeprüfung an der Deutschen Sporthochschule gezeigt, was trotz Behinderung möglich ist. Wie wichtig war Ihnen das?
Schäfer: Es war eine extrem coole Erfahrung. Ich wollte allen zeigen, dass ich keine Sonderregelung brauche. Ich bin nicht zwingend benachteiligt, nur weil mir ein halbes Bein fehlt. Dass mir die anderen Bewerber einen solchen Respekt entgegengebracht und mich für meine Leistungen gefeiert haben, war sehr speziell. Ich erinnere mich noch, wie sie nach meiner gestandenen Kür im Turnen applaudiert haben, oder auch beim abschließenden Lauf, auch wenn ich den nicht ganz zu Ende bringen konnte. Das war schön.
Bei der Para-WM in Dubai haben Sie Gold und Silber abgeräumt, das große Ziel heißt jetzt Paralympics in Tokio 2020. Was muss da passieren, damit Sie zufrieden sind?
Schäfer: Die 7-Meter-Marke muss gefallen sein und ich muss die eine oder andere Goldmedaille in der Tasche haben. Das wäre ganz gut. (lacht) Ich will einfach verletzungsfrei bleiben und die Leistungen abrufen, die ich draufhabe. Dann bin ich auch zufrieden. Die Medaillen kommen dann hoffentlich auch in Tokio von ganz alleine.
Letzte Frage: Sie hatten damals auf der Krebsstation einen Wunsch frei. Wenn Sie heute wieder einen Wunsch frei hätten, welcher wäre das?
Schäfer: Was den Sport betrifft, würde ich mir mehr Anerkennung für die Leichtathletik wünschen. Wir bringen alle viele Opfer, um unsere bestmöglichen Leistungen zu bringen und in der Weltspitze mitzumischen. Da fehlt mir manchmal etwas die Aufmerksamkeit, die Anerkennung und auch der Respekt. Ansonsten würde ich mir wünschen, dass es weniger Armut auf der Welt gibt und der Wohlstand gerechter verteilt wird. Ich weiß, dass es ein unrealistischer Wunsch ist, aber in meinen Augen gibt es einfach viel zu viel Armut auf der Welt. Das dürfte nicht sein.