Die Vollendung des irren Jahres eines Irren

Im Moment des Erfolges brachen die Emotionen aus Michael van Gerwen heraus
© getty

Michael van Gerwen hat sein Rekordjahr 2016 mit dem WM-Titel im Londoner Alexandra Palace gekrönt. Der Niederländer war besonders in den großen Matches nicht aufzuhalten und bekommt auch von Gegner Gary Anderson nur Anerkennung. Die schlechte Nachricht für die Konkurrenz: Mighty Mike sieht seine Entwicklung noch nicht am Ende.

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Die Doppel 12 ist ein magisches Feld für Gary Anderson. Seine WM-Titel 2015 und 2016 gewann der Schotte beide über den schmalen Streifen links oben auf dem Dartboard.

Mit einem so unspektakulären Checkout gibt sich ein Michael van Gerwen nicht zufrieden. Montag, 2. Januar 2017, Alexandra Palace, London, kurz nach 21.30 Uhr Ortszeit. MvG führt in seinem dritten WM-Finale 6:3 gegen eben jenen Anderson. Es ist der Decider im zehnten Satz. Mit 85 Rest geht der Niederländer ans Oche.

Er zielt auf die Triple 15 für Tops, trifft aber die einfache. Es folgt die 20. Also muss das höchste aller Doppelfelder für den ersten Matchdart her. Standesgemäß für den Ausnahmekönner - denn der Dart rauscht ins Bullseye. Funkenflug, ein emotionaler Jubel, noch emotionaler als sowieso schon immer. Es ist nicht irgendein Sieg, sondern ein ganz besonderer. Zum zweiten Mal nach 2014 ist Michael van Gerwen Darts-Weltmeister.

Kontrahent Gary Anderson zeigt im Moment der Niederlage Größe. Er grinst über das ganze Gesicht und gratuliert seinem Nachfolger herzlich.

Ganz gut, oder?

"Er war ganz gut, oder? Ich rechne damit, dass er in ein paar Jahren ganz oben sein wird", sagte der entthronte Champion nach dem Match mit einem schelmischen Lächeln. "Nein, im Ernst. Er hat dieses Niveau nicht nur heute gezeigt, sondern das ganze Jahr über. Ich habe schon vor dem Turnier gesagt: Wenn es irgendwer verdient hat, dann ist es Michael. Es wäre kein guter Jahresabschluss für ihn gewesen, wenn er diese Trophäe nicht auch noch gewonnen hätte. Natürlich habe ich versucht, ihn zu stoppen, aber es war unmöglich."

Wahre Worte eines fairen Verlierers. Doch was hätte er anderes sagen sollen? In den letzten zwölf Monaten war van Gerwen der ultimative Darts-Dominator. Die Sid Waddell Trophy ist sein 26. Titel seit der vergangenen WM, im Schnitt gewann er beinahe alle zwei Wochen ein Turnier.

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Durch seinen Triumph im Ally Pally hält der Niederländer mit Ausnahme der Champions League nun alle (!) Major-Titel auf einmal.

Beachtliche Niveau-Steigerung

25 Titel im Jahr 2016 waren natürlich Rekord. Kein Wunder, schraubte The Green Machine doch das eigene Niveau in den vergangenen Monaten noch einmal beachtlich in die Höhe. Beim Premier-League-Spiel gegen Michael Smith stellte er den Rekord für den höchsten Average, der je bei einem TV-Turnier gespielte wurde, auf (123,40). Machtdemonstrationen wie die im Premier-League-Finale, als er Phil Taylor mit 11:3 demütigte, blieben nachhaltig in Erinnerung. Er ist ein Irrer mit einer irren Begabung, der ein irres Jahr spielte.

All das hätte Mighty Mike jedoch für den Sieg im Ally Pally eingetauscht. Er setzte sich selbst unter Druck, alles außer dem zweiten WM-Titel wäre eine Enttäuschung gewesen. Umso erleichterter wirkte der Niederländer nach dem Sieg: "Ich denke, ich habe über das ganze Turnier absolut phänomenal gespielt. Besonders aber im Halbfinale und im Finale habe ich herausragende Darts gespielt."

Speziell angestachelt war MvG von der öffentlichen Wahrnehmung seiner Erfolge: "Hier zu gewinnen, bedeutet mir sehr viel. Jeder hat gesagt, ich muss einen zweiten WM-Titel zu gewinnen, um einer von den großen Jungs zu sein. Jetzt habe ich es geschafft."

Eine Kirsche auf der Sahne waren für van Gerwen die letzten beiden Matches im Turnierverlauf. Bis zur Vorschlussrunde hatte die Nummer eins der Welt keine großen Kaliber vor der Brust, wenngleich sich The Spartan Cristo Reyes teuer verkaufte.

Revanche gegen die Ally-Pally-Bezwinger

Doch ab dem neuen Jahr musste der Dominator in zwei Matches auf wahnsinnigem Niveau sein A-Game auspacken. Das tat er. Und zwar nicht gegen irgendwen, sondern gegen die beiden Spieler, die ihm seinen WM-Traum in den letzten beiden Jahren aus den Händen gerissen hatten.

Im Halbfinale am Sonntag gegen Raymond van Barneveld, der MvG im Achtelfinale des Vorjahres eliminiert hatte, zauberte er den höchsten Average in einem WM-Spiel (114,05) auf die Bühne.

Den Titel gewann er schließlich gegen Gary Anderson - denjenigen, an dem er bei der WM 2015 im Halbfinale deutlich mit 6:3 gescheitert war. Nach der Premier League hat der extrovertierte Glatzkopf den Flying Scotsman nun auch bei der WM auf eine beeindruckende Art und Weise entthront.

Zu Beginn war es noch eine Partie auf Augenhöhe. Der Wendepunkt war das erste Leg des fünften Satzes. Anderson vergab zwei Breakdarts auf Doppel 10 und Doppel 5. MvG bestrafte das, checkte über die Doppel 1 und legte seinerseits das Break nach. Von da an rollte der Express und van Gerwen schnappte sich insgesamt fünf Sätze in Serie. Nicht einmal die kurze Ablenkung durch einen Flitzer kurz vor Ende der Partie brachte ihn nachhaltig aus dem Konzept. Er zog es durch.

Der Verlauf erinnerte stark an das Semifinale, in dem Barney ebenfalls bis 2:2 auf Augenhöhe agierte, dann jedoch nur der Welle zuschauen konnte, die ihn überrollte.

"Van Gerwen wird einfach besser und besser - generell, aber auch im Verlaufe eines Spiels. Da kann man nicht wirklich etwas entgegensetzen. In den ersten vier Sätzen habe ich ihn noch eingefangen, danach ist er einfach durchspaziert", erkannte Anderson nach der Partie den Lauf seines Gegenübers an.

Match der Superlative

Wenngleich Gary nur noch einen Satz eintütete, zeigt ein Blick auf die Statistik, dass er es Michael keinesfalls leicht machte. Mit 22 Maximums stellte Anderson nämlich den neuen Rekord für 180er in einem Match auf, auch 71 im Turnierverlauf sind eine neue Bestmarke.

Generell war das erste WM-Finale zwischen der Nummer eins und der zwei der Setzliste seit Taylor gegen van Barneveld im Jahr 2009 ein Match der Superlative. Denn auch van Gerwen schraubte 20 Maximums ins Board. 42 hatte es zuvor noch nie gegeben.

Dass es Mighty Mike nicht unbedingt egal ist, welche Bestmarken er hält, zeigte eine Szene im Post-Match-Interview. So fragte der Reporter nach dem Niveau von Anderson, der einen neuen 180er-Rekord aufgestellt habe. Van Gerwen missverstand das, als habe er selbst diesen aufgestellt und frohlockte mit geballter Faust: "Oh, ein neuer Rekord!"

"Taylor hat das 15 Jahre lang geschafft"

Genau dieser Ehrgeiz, immer weitere Schallmauern zu durchbrechen, treibt MvG an. Und so verstand er die Frage danach, wie er sich denn nach diesem brutalen Jahr noch weiter motivieren könne, auch überhaupt nicht: "Phil Taylor hat das 15 Jahre lang geschafft. Wieso sollte ich das nicht für vier, fünf, sechs, acht oder sogar zehn Jahre schaffen? Ich weiß, wozu ich in der Lage bin und ich hoffe, ich kann das über die nächsten Jahre weiter umsetzen. Die beste Medizin, wenn etwas nicht so gut läuft, sind Turniersiege."

Auch im Moment des großen Erfolgs sieht der ehrgeizige Niederländer noch Steigerungsbedarf: "Ich glaube, ich kann noch konstanter werden, als ich es bislang bin. Ich kann immer auf diesem Niveau spielen, das weiß ich ganz genau."

Eine Ansage, die der Konkurrenz die eine oder andere Angstschweißperle auf die Stirn treiben dürfte. Schließlich war das Niveau der World Number One schon bei dieser Weltmeisterschaft alarmierend stark. Am Ende stand er bei einem Turnier-Average von 106,96 - und das über eine Distanz von 39 Sätzen. Unfassbar.

Nach einem überragenden Jahr 2016 hat Michael van Gerwen im Alexandra Palace nun also auch den ersten Titel 2017 eingefahren. Und er wird noch viele folgen lassen, da sind sich alle einig. Sicherlich geht er dabei nicht nur einmal über die größtmögliche aller Ziellinien: das Bullseye...

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