Das Schicksal schlägt am härtesten

Darren Barker (r.) verteidigt seinen IBF-Weltmeistertitel am Samstag gegen Felix Sturm
© getty

Der Tod seines Bruders veränderte sein Leben. Vom Verletzungspech verfolgt bewies er großes Herz. Vor der Titelverteidigung seines IBF-Titels im Mittelgewicht gegen Felix Sturm wirft SPOX einen Blick auf das von Höhen und Tiefen geprägte Leben des Darren Barker.

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Drei... Vier... Fünf... Darren Barker befindet sich nach einem harten Leberhaken am Boden. Das Schicksal scheint ihm erneut einen Strich durch die Rechnung zu machen. Es deutet nichts darauf hin, dass er sich von diesem Treffer erholen kann. Bis vor ihm, im Moment unmittelbar vor der Niederlage, sein jüngerer Bruder Gary im Ring erscheint.

Gary war ein äußerst talentierter Leichtgewichtsboxer, der im renommierten "Repton Boxing Club" im Osten Londons trainierte. Darren und er galten als seelenverwandt, als beste Freunde. Kein Zufall also, dass das Boxen die gemeinsame Leidenschaft war.

Der erste Schlag

Als Darren am 10. Dezember 2006 vom schweren Autounfall seines Bruders erfuhr, lag seine Welt in Trümmern. Nur Stunden nachdem die Brüder zusammen eine Wohltätigkeitsveranstaltung besuchten, verunglückte Gary auf dem Weg zu seiner Freundin tödlich.

Vom Schicksalsschlag hart getroffen wollte er die Boxhandschuhe an den Nagel zu hängen. "Ich konnte nicht ins Gym gehen. Das war einfach zu viel für mich", erinnerte er sich.

Letztlich überwogen die Gründe zum Weitermachen. Für Gary und den gemeinsamen Traum. "Durch meine Erfolge im Boxen wird über Gary gesprochen und so erinnert man sich an ihn. Das hilft mir mich zu motivieren", begründete Barker seine Entscheidung.

Ein Rückschlag kommt selten allein

Trotz des Schicksalsschlags knüpfte er im Ring direkt dort an, wo er aufgehört hatte, und gewann seine nächsten sieben Kämpfe, fünf davon vorzeitig. Unter anderem um den Commonwealth-Titel gegen den ungeschlagenen Australier Ben Crampton.

Es dauerte aber nicht lange, bis ihn die nächsten Rückschläge trafen - sportlich, aber auch körperlich. Nachdem er bereits über zwei Jahre mit Problemen an der Hüfte zu kämpfen hatte, war eine Operation unausweichlich. Diese verlief allerdings nicht wie geplant und so verlängerte sich die Zeit außerhalb des Rings stetig. Auch der heiß erwartete Kampf gegen Matthew Macklin musste ausfallen.

Kurz vor der möglichen Rückkehr bemerkte er eine Gruppe von Jugendlichen, die eine einzelne Person attackierte. Sein couragiertes Eingreifen hätte ihn dabei fast das Leben gekostet. Nachdem er mit einem Schlag auf den Hinterkopf zu Boden gestreckt wurde, schlug und trat die Gruppe so lange auf ihn ein, bis er bewusstlos zurückblieb.

Eine Belobigung und 250 Pfund

Die Entschädigung: 250 Pfund und eine Auszeichnung für sein soziales Engagement. Kein Ersatz für Barker, der in tiefe Depressionen verfiel. Als er für die Firma seines Schwiegervaters arbeitete, dachte er erneut an ein Karriereende.

Es dauerte ein Jahr, bis Barker, gestützt durch seinen Glauben, zurückkehrte. Auch finanzielle Aspekte spielten dabei eine Rolle. Der Grund war der 17. Dezember 2010.Genau eine Woche nach dem vierten Jahrestag des Todes seines Bruders kam seine Tochter Scarlett zur Welt.

Voller Elan ging er gegen Domenico Spada in den ersten Kampf unter seinem neuen Promoter Eddie Hearn. Erneut ging es um vakanten EBU-Titel. Ein Sieg und eine Empfehlung für höhere Aufgaben waren das Resultat.

(K)eine Chance auf den Titel

Mit einer Bilanz von 23 Siegen bei null Niederlagen folgte das Aufeinandertreffen mit Weltmeister Sergio Martinez. Austragungsort war Atlantic City, New Jersey. Auf dem Spiel stand der WBC-Titel im Mittelgewicht. Der Argentinier, zu dieser Zeit die Nummer drei im Pound-for-Pound-Ranking des "Ring Magazine", startete als klarer Favorit.

"Alles klar, lasst uns einen Blick auf Barker werfen. Nichts was er bis zu diesem Moment getan hat, lässt Kritiker und Experten vermuten, dass er gegen Sergio Martinez etwas ausrichten kann", blickte der amerikanische Kommentator kritisch auf den Herausforderer. Auch der Ringsprecher, der ihn kurzerhand als Baker statt Barker ankündigte, hätte wohl keinen Cent auf den Engländer gesetzt.

Der Brite zeigte sich unbeeindruckt und angriffslustig. Auf jeden Schlag seines Gegenübers folgte eine Antwort. Es entwickelte sich ein enger und spannender Kampf.

"Tu es für deinen Bruder"

Auch die Anhänger von Martinez, die zu Beginn des Kampfes lautstark in Erscheinung traten, verstummten mehr und mehr. Nach sechs Runden führte der Außenseiter in einer inoffiziellen Expertenwertung nach Punkten. Sein Ziel, der große Titel, schien zum Greifen nah.

Doch dann wendete sich das Blatt. Martinez gelang es, das Aufeinandertreffen von Runde zu Runde besser unter Kontrolle zu bekommen. Als Barkers linkes Trommelfell in der zehnten Runde riss, schien das Ende besiegelt.

Am Rande einer Niederlage blieb ihm nichts anderes übrig, als alles auf eine Karte zu setzen. "Tu es für deinen Bruder", heizte ihn Trainer Tony Sims zusätzlich an.

Alles oder nichts

Den nachfolgenden Offensivdrang nutzte sein Gegner konsequent aus und so endete das Duell in der elften Runde vorzeitig. Zum ersten Mal in seiner Profi-Karriere war Barker geschlagen, sein Traum vom Titel abrupt beendet.

Unter dem Strich verlor er zwar die Weltmeisterschaft, gewann jedoch an Respekt. Wie sich später herausstellte, brach er Martinez, neben einem Cut an der Stirn, auch das Nasenbein.

Die Chance auf den großen Triumph, den er seinem verstorbenen Bruder widmen wollte, war trotzdem vorerst vorbei und das Ende seiner Karriere stand wieder im Raum.

Eine zweite Chance

Er entschied sich allerdings erneut dagegen. Nach einigen Aufbaukämpfen ging es - wie sollte es auch anders ein - erneut nach Atlantic City. Der Ort seiner einzigen Niederlage. Es war seine zweite Chance, ein Kampf um die IBF-Weltmeisterschaft im Mittelgewicht gegen Titelträger Daniel Geale.

Zwischen den beiden Kontrahenten entwickelte sich ein enges Duell. Bis zur sechsten Runde. Ein krachender Leberhaken streckte Barker zu Boden, für viele Experten das sichere Kampfende. Vergangenheit und Gegenwart verschmolzen.

"Gary, das ist für dich, Kumpel."

Seinen Bruder vor Augen kam er zurück auf die Beine, überstand die Runde und gewann die Folgenden. Er siegte nach zwölf hart umkämpften Runden. Der IBF-Titel lag um seine Hüften. Die Hüften eines 60-jährigen, wie er einst selbst scherzte.

Im Moment seines wohl größten Triumphs waren die Gedanken bei nur einer Person. "Nicht gerade viele Menschen kennen meine Lebensgeschichte." Barker, der mit den Tränen kämpfte, hatte sein Ziel erreicht: "Ich widme diesen Moment meinem kleinen Bruder. Alles, was ich geschafft habe, ist für ihn. Gary, das ist für dich, Kumpel."

Nach dem Erfolg über Geale erfüllte sich der Traum, der nicht nur sein eigener war, sondern auch der seines kleinen Bruders.

Wie in einem Drehbuch

Bei den meisten Filmen würde wahrscheinlich an exakt dieser Stelle der Abspann laufen. Nicht so für Darren Barker. Vielmehr ist er sich sicher, nach all seinen Rückschlägen endlich das Glück auf seiner Seite zu haben.

Gegen Felix Sturm steht nun die erste Titelverteidigung an. Nein, nicht in Atlantic City. Das wäre dem Guten wohl zu viel gewesen. Sondern in Stuttgart. Ein 1,2-Millionen-Euro-Angebot schlägt man nun mal nicht so schnell aus. "Wenn ich nicht von meiner Titelverteidigung überzeugt wäre, hätte ich mich auf den Trip nicht eingelassen. Für wie dumm hält man mich denn?"

Auch Sims erwartet einen klaren Sieg seines Schützlings: "Ich denke, Darren wird ihn schlagen. Es spielt keine Rolle, ob es in Deutschland ist oder irgendwo anders." Sturm sieht er über seinem Zenit: "Sturm ist nicht mehr der Kämpfer, der er einst war. Er ist ein großer Kämpfer, aber er ist definitiv nichtmehr der von früher."

Überlebenskampf für Sturm

Ziel für Barker muss es sein, den taktisch variabler agierenden Linksausleger Sturm, der zudem über mehr Erfahrung verfügt, durch seine Angriffslust und seine hohe Schlagfrequenz unter Druck zu setzen. Auf diese Weise könnte der drei Zentimeter größere Brite zudem versuchen, Schwächen in der eigenen Deckung zu kaschieren.

Trotz der Tatsache, dass Sturm in einer sehr guten körperlichen Verfassung ist, spricht der Konditionsfaktor eher für den Titelverteidiger. Sturms Erfahrungsvorteil sowie seine Schnelligkeit sind ihm ebenso bekannt wie die Fähigkeit, innerhalb eines Kampfes die Taktik anzupassen.

Er hat gelernt aus dem, was hinter ihm liegt. Sein unbändiger Wille kann schließlich auf Dauer nicht sein zentraler Erfolgsfaktor sein.

Ohne die große Last der Vergangenheit geht Barker in den Kampf. "Für Sturm ist es ein echter Überlebenskampf. Verliert er, kann er seine Sachen packen", erklärt Barker den Druck auf Sturms Schultern. Er selbst hat dank Promoter Hearn eine Art doppelten Boden: eine Rückkampfgarantie für das Frühjahr 2014. Dann allerdings in London. Trotzdem ist ein erneuter Rückschlag außerhalb seiner Vorstellungskraft. Nicht erneut.

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