French Open - Aura der Unbesiegbarkeit: Was Novak Djokovic und Tom Brady vereint

Von Stefan Petri
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Novak Djokovic hat bei den French Open seinen 23. Grand-Slam-Titel gewonnen und damit Rafael Nadal hinter sich gelassen. Im GOAT-Rennen liegt er nun klar vorn - aber warum ist der Serbe mit nun 36 Jahren immer noch unschlagbar? Die Antwort auf diese Frage hat mit seinen einzigartigen Fähigkeiten zu tun. Und irgendwo auch mit NFL-Legende Tom Brady.

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Fangen wir doch zur Abwechslung mal mit der GOAT-Frage an.

"Ich will nicht sagen, dass ich der Größte bin. Das empfinde ich als respektlos gegenüber den großen Champions früherer Tage, als noch ganz anders gespielt wurde", wehrte Novak Djokovic diese Ehrung auf der Pressekonferenz am Sonntagabend ab. "Diese Diskussionen über den GOAT überlasse ich anderen."

Prominent rechts vor ihm platziert war bei dieser Antwort freilich der Coupe des Mousquetaires. Sein 23. Grand-Slam-Titel, womit er Rafael Nadal (22) überflügelte. Erstmals steht er in dieser, im Tennis wichtigsten, Statistik allein an der Spitze.

Andy Roddick drückte es im Anschluss an das Finale wohl am besten aus: "Schwierig, ein auf Zahlen basierendes Argument gegen Djokovic als den Besten anzuführen. Jegliches Argument gegen ihn beruht wohl eher auf Gefühlen und nicht auf Bestmarken."

Und was das für Rekorde sind! Ein Blick auf diese unfassbare Liste lässt nur ungläubig mit dem Kopf schütteln. Bei den French Open kamen noch einige dazu: Der Djoker hat jetzt jeden Slam mindestens dreimal gewonnen. Bei allen vier Major-Turnieren hat er mindestens zehnmal das Halbfinale und mindestens siebenmal (!) das Endspiel erreicht. 34 sind das mittlerweile übrigens, bei 70 Teilnahmen. Und von seinen letzten 18 Finals hat er schlappe 15 für sich entschieden.

Spannender ist deshalb nicht länger die Frage, ob Djokovic im GOAT-Rennen aktuell die Nase vorn hat. Sondern warum er mit mittlerweile 36 auf den größten Bühnen immer noch unschlagbar ist.

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Novak Djokovic: Was er mit NFL-Legende Tom Brady gemeinsam hat

Da passte es wunderbar, dass der Serbe beim Endspiel mit Tom Brady einen Gast in seiner Box begrüßen durfte, dessen GOAT-Referenzen noch unangreifbarer sind als die seines "Gastgebers". Die beiden sind seit Jahren befreundet, sie vereint neben den vielen Titeln und Bestmarken die fast schon manische Suche nach jedem noch so kleinen Vorteil - mag er messbar sein oder nicht.

Training, Ernährung, Mentalität: NFL-Quarterback Brady spielte bis 45 auf höchstem Niveau und definierte dabei bis zu seinem Rücktritt im vergangenen Februar den Bereich des Möglichen ganz neu. Djokovic ist auf dem besten Weg, es ihm in seinem eigenen Sport gleichzutun: 11 Grand Slams hat er nach seinem 30. Geburtstag gewonnen. Natürlich Rekord.

Brady und Djokovic eint aber nicht nur der ultimative Erfolg im hohen Alter, sondern auch die ... "Fähigkeit"? ..., nicht nur die klaren Dinger zu gewinnen, sondern in einer unglaublichen und zermürbenden Regelmäßigkeit auch die 50/50-Duelle. Die, bei denen sich die Gegner im Anschluss den Kopf zermartern: "Da war doch viel mehr drin! Wir waren mindestens gleichwertig - warum hat es wieder nicht gereicht?" Man denke nur an die Super Bowls gegen Seattle und Atlanta.

Novak Djokovic: Seine wichtigsten Rekorde

Grand-Slam-Titel23
Wochen als Nummer 1388
Masters-Titel38
ATP-Finals-Titel6
Nummer 1 am Jahresende7
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Novak Djokovic und die Aura der Unbesiegbarkeit

Und wie Brady zu seinen besten Zeiten bringt Djokovic längst nicht mehr nur seine Schläger und Getränkeflaschen mit auf den Center Court, sondern auch eine Aura der Unbesiegbarkeit. Es gilt nicht mehr nur den Spieler Djokovic zu bezwingen, sondern auch dessen Mythos, über fünf Sätze. Und dieser Mythos wächst mit jedem Slam.

So konnte er trotz einer sehr durchwachsenen Sandplatzsaison voller Selbstvertrauen nach Paris reisen. "Über fünf Sätze habe ich gegen jeden Spieler eine sehr gute Chance. Ich weiß, dass die meisten gegen mich über diese Distanz sehr viel Druck verspüren - und genau das sollen sie auch", erklärte er nach dem Endspiel.

Ein ums andere Mal war das in Roland Garros sichtbar, nie stärker als im Halbfinale gegen Carlos Alcaraz: Der junge Spanier hatte allen Grund, um voller Selbstvertrauen ins Match zu gehen: Nummer eins, ein bärenstarkes Turnier und eine sensationelle Sandplatzsaison im Rücken. Er hatte seinen ersten Slam schon gewonnen, Novak auf Sand bereits geschlagen, eigentlich perfekte Vorzeichen. Für viele war Alcaraz Favorit.

Doch nach zwei hochklassigen Sätzen waren die Akkus des 20-Jährigen leer, von Krämpfen geplagt schleppte er sich chancenlos dem Matchball entgegen. Djokovics Aura hatte ihm förmlich die Kraft aus den Muskeln gesaugt: "So nervös wie heute bin ich noch nie gewesen", verriet er im Anschluss: "Wer behauptet, dass er gegen Novak ohne Nervenflattern auf den Court gehen kann, der lügt."

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Novak Djokovic: Übermenschliche Leistungen im Tiebreak

Und dann ist da noch die geradezu übermenschliche Fähigkeit des Djokers, sich bei Tiebreaks auf den Punkt zu fokussieren. Ganz egal, wie gut oder schlecht das Match bis zu diesem Zeitpunkt gelaufen sein mag. Federer-Fans erinnern sich mit Grauen an das Wimbledon-Finale 2019, als Djokovic der schlechtere Spieler war, aber eben drei Tiebreaks gewinnen konnte, ohne auch nur einen Unforced Error.

In Paris setzte er diesmal noch einen drauf: Sechs Tiebreaks musste er spielen, alle sechs gewann er. 55 Punkte insgesamt - und wieder blieb er ohne einen einzigen Fehler (bei 17 Winnern). Wie zermürbend das für die Gegner sein muss, kann man nur erahnen. Der Spanier Alejandro Davidovich Fokina war in Runde drei über zwei Sätze mindestens gleichwertig und lag dann doch 0:2 Sätze zurück. Karen Khachanov war im Viertelfinale besser, es stand 6:4, 6:6 aus Sicht des Russen - und als er im anschließenden Tiebreak ohne Punktgewinn blieb, wusste auch er: Das Match ist verloren.

"Er legt einfach einen Zahn zu. Entweder mit wahnwitziger Defensive oder wunderschönen Gewinnschlägen. Und er macht keine Fehler", konstatierte Casper Ruud, dem im Finale das gleiche Schicksal widerfuhr. "Das ist richtig nervig, aber auch sehr beeindruckend."

Wenn Djokovic am Montag zum 388. Mal eine Woche an der Spitze der Weltrangliste beginnt, wird in den Top-10 kein Spieler außer ihm selbst älter als 27 sein. "Vor fünf bis 10 Jahren habe ich mich schneller erholt, die Strapazen besser weggesteckt", gab der jetzt älteste French-Open-Sieger der Geschichte zu. Aber mental steckt er die Konkurrenz eben immer noch in die Tasche.

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Novak Djokovic: Diese beiden Ziele bleiben noch

Bleibt die Frage: Wie lange kann das noch so weitergehen? "Wenn ich Slams gewinne, warum soll ich dann über ein Karriereende nachdenken? Ich freue mich schon auf Wimbledon", grinste Djokovic auf der Pressekonferenz. Am 3. Juli beginnt der dritte Slam des Jahres, die letzten vier Ausgaben auf dem Heiligen Rasen hat er allesamt gewonnen.

Die Chancen stehen also nicht schlecht, dass er den Slam-Vorsprung auf seinen langzeitverletzten Rivalen Nadal ausbauen kann. Deshalb wurden bereits am Sonntag die ersten Fragen nach dem "Calendar Slam" gestellt. An dem war er 2021 denkbar knapp gescheitert, verlor das Finale der US Open glatt gegen Daniil Medvedev und weinte ob der Huldigung des New Yorker Publikums hemmungslos.

Am damaligen Druck - es ging gleichzeitig um den 21. Slam und damit die Führung gegenüber Nadal - zerbrach sogar der mentale Gigant Djokovic. Man wird das Gefühl nicht los, dass es diesmal anders sein würde, mit dem Grand-Slam-Rekord bereits im Gepäck.

Wimbledon sei zunächst einmal ein Berg, den es zu erklimmen gelte, sagte Djokovic im Interview mit dem Tennis Channel. Aber wenn, und da konnte er sich das Lächeln nicht mehr verkneifen, "würde ich liebend gerne noch eine Chance in New York bekommen, um Geschichte zu schreiben. Ich kann es kaum erwarten, dort wieder zu spielen."

Es ist der eine Rekord, der ihm noch fehlt. Der zweite leere Platz im Trophäenschrank wäre übrigens die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen. Die finden 2024 statt - auf der Anlage Roland Garros in Paris.

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