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WM 2023: Eine Wundertüte voller Sorgen! Das DFB-Team im Formcheck vor der Weltmeisterschaft

Von Justin Kraft
Gewinnen die DFB-Frauen das heutige Spiel gegen Kolumbien, wäre ihnen der Achtelfinaleinzug kaum noch zu nehmen.
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Das DFB-Team will bei der WM 2023 in Australien und Neuseeland den Titel holen. Es wäre der erste Triumph bei einer Weltmeisterschaft seit 2007. Doch wie gut ist Deutschland drauf? Die DFB-Frauen im großen Formcheck.

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Am Montag startet für die DFB-Frauen die Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland mit dem Spiel gegen Marokko (10.30 Uhr im LIVETICKER). Durch die 2:3-Niederlage gegen Sambia im finalen Testspiel hat die Stimmung etwas gelitten und die Zweifel daran wachsen, dass Deutschland ein gutes Turnier spielen kann.

Doch wie steht es wirklich um das DFB-Team? Reicht es diesmal zum ganz großen Wurf oder muss die Truppe von Martina Voss-Tecklenburg früher abreisen als gedacht?

SPOX macht den großen Formcheck und blickt auf die Titelchancen der Deutschen.

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DFB-Team: Merle Frohms ist ein großer Schlüssel zum Erfolg

Wer weiß, wie die Europameisterschaft im vergangenen Jahr gelaufen wäre, hätte Merle Frohms damals nicht schon in der Gruppenphase mehrere gute Chancen vereitelt. Vor allem gegen Spanien (2:0) flog sie mehrfach spektakulär durch ihren Strafraum.

Bei der Weltmeisterschaft wird Deutschland sie in Top-Form brauchen. Sorge, dass es anders sein wird, gibt es jedoch nicht. Frohms blickt auf ein starkes Jahr beim VfL Wolfsburg zurück, erreichte unter anderem das Champions-League-Finale. Beim DFB ist sie die unumstrittene Stammtorhüterin.

Vielleicht ist sie aktuell sogar die beste Torhüterin der Welt. Mit ihren Reflexen und ihrer Ruhe am Ball im Spielaufbau wird sie entscheidend sein für ein deutsches Team, das vor allem in der Abwehr nach seiner Bestform sucht.

Formcheck: Im Tor sind die Deutschen jetzt schon weltmeisterlich aufgestellt.

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DFB-Team: Wird die Defensive zum großen Problem?

In vier von sechs EM-Spielen blieb Deutschland ohne Gegentor. Nur gegen Frankreich (2:1) und England (1:2) musste Frohms hinter sich greifen. Die Defensive war damals der große Trumpf für die Bundestrainerin - etwas überraschend.

Denn vor dem Turnier gab es große Sorgen. Marina Hegering wurde erst kurzfristig fit, die restlichen Spielerinnen präsentierten im Klub durchwachsene Leistungen. Und diesmal? Ein ähnliches Szenario. Wieder hatte Hegering mit Fitnessproblemen zu kämpfen. Für den VfL Wolfsburg absolvierte sie nur elf der 22 Bundesliga-Spiele.

Sie ist, das zeigte sie bei der Europameisterschaft eindrucksvoll, das Herz der deutschen Abwehr. Weil sie defensiv die beste Antizipation und das beste Stellungsspiel hat. Und weil sie mit ihren kurzen Dribblings und messerscharfen Pässen das Spiel so gut initiiert wie keine andere. Die 33-Jährige hat schon mal bewiesen, dass sie auf den Punkt da sein kann. Für Deutschland wäre das von unschätzbarem Wert.

Doch gerade weil ihre Leistungsfähigkeit nur schwer abzuschätzen ist, müssen auch andere Verantwortung übernehmen. VfL-Kollegin Kathrin Hendrich beispielsweise, die zuletzt ebenfalls fehleranfällig wirkte. Nicht zu vergessen sind die Außenverteidigerinnen - insofern man sie als solche bezeichnen kann.

Giulia Gwinn? Nach einer Kreuzbandverletzung nicht dabei. Maximiliane Rall? Nicht nominiert. Carolin Simon? Kurz vor der WM ebenfalls mit einer Kreuzbandverletzung ausgefallen. Deutschland gehen die Offensivoptionen auf den wichtigen Flügelpositionen aus. Felicitas Rauch ist die letzte Spielerin im Kader, die ihre Stärken hauptsächlich auf der Außenbahn hat. Alle anderen Abwehrspielerinnen sind eigentlich im Zentrum am stärksten, können aber auf dem Flügel aushelfen. Das führte hin und wieder zu Experimenten. Beispielsweise wurde Svenja Huth bereits als Rechtsverteidigerin getestet - mit mittelmäßigem Erfolg.

Rauch ist zudem in der Offensive etwas limitiert. Zwar schlägt die 27-Jährige gute Flanken, doch anders als beispielsweise Gwinn spielt sie recht vorhersehbar. Das beschränkt die taktischen Möglichkeiten von Voss-Tecklenburg. Sie muss in diesem Jahr noch mal mehr puzzeln als im vergangenen, um eine ähnlich starke Defensive aufstellen zu können.

Formcheck: Viele Fragezeichen, schwankende Formkurven - zuletzt gab es sogar reichlich Gegentore gegen Sambia (3) und Vietnam (1). In der Abwehr ist ein großer Leistungssprung notwendig, um eine Chance auf den Titel zu haben.

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DFB-Team: Luxus im Mittelfeld - harte Entscheidungen für die Bundestrainerin

Deutschlands Mittelfeld ist so luxuriös besetzt, dass die Zusammensetzung sich gar nicht so leicht gestaltet. Sara Däbritz, Lena Lattwein, Melanie Leupolz, Sydney Lohmann, Lina Magull, Lena Oberdorf - das sind die Optionen, die sich vermutlich um drei Plätze im zentralen Mittelfeld streiten werden.

Oberdorf dürfte dabei die Spielerin sein, die in jedem Fall gesetzt ist. Die 21-Jährige ist auf der Sechs in allen Bereichen des Spiels elementar wichtig. Gegen den Ball räumt sie auf wie kaum eine andere Spielerin auf der Welt. Mit dem Ball ist sie in der Lage, dem Spiel einen Rhythmus zu geben. Beim VfL war sie in den letzten Wochen der Saison nicht immer in Top-Form, hatte hier und da mit kleineren Verletzungen zu tun. Doch die Pause sollte ihr gut getan haben.

Auch Magull scheint einen Platz in der Startelf sicher zu haben. Die Kapitänin des FC Bayern kommt mit deutlich mehr Selbstvertrauen als noch im Jahr 2022, hat mit den Münchnerinnen zuletzt die Deutsche Meisterschaft gewinnen können. Beim DFB soll sie jetzt ebenfalls mehr Verantwortung übernehmen.

Bliebe noch ein weiterer Platz: Zuletzt schien Däbritz gute Karten zu haben. Doch das Trio wirkte unrund und fehleranfällig. Däbritz blickt weder auf eine schlechte noch auf eine überragende Saison zurück. Ihre jüngsten Auftritte legen aber nahe, dass Voss-Tecklenburg hier anderen die Chance geben könnte, um die Abläufe im Zentrum zu glätten.

Lohmann wäre die offensivste Variante. Mit ihren Dribblings und der unnachahmlichen Power im Spiel nach vorn könnte sie eine ernsthafte Option gegen die drei Gruppengegnerinnen sein, die jeweils sehr tief verteidigen werden. Lattwein zeigte bei Wolfsburg wiederum, dass sie sich mit Oberdorf sehr gut ergänzt. Sie ist vermutlich die erste Wahl, sollte sich die Bundestrainerin doch noch gegen Däbritz entscheiden. Leupolz dürfte nach ihrer Schwangerschaft nur Außenseiterin sein. Die vielen Optionen führen dazu, dass das Trainerteam in der Zusammensetzung auch einige Fehler machen kann. Zumal nicht alle Kombinationen beweisen konnten, dass sie funktionieren.

Formcheck: Das Mittelfeld ist üppig besetzt und sollte eine Stärke des deutschen Teams sein. Gerade Oberdorf und Magull müssen vorangehen, um mit den Besten der Besten mithalten zu können. Das war zuletzt nicht immer der Fall, doch beide haben mehrfach bewiesen, dass sie dazu in der Lage sind.

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DFB-Team: Wer unterstützt Alexandra Popp?

Was wäre gewesen, hätte Alexandra Popp das EM-Finale spielen können? Diese Frage stellte sich Deutschland nach der Niederlage gegen England. Dabei sollte diese Ausrede nicht zählen dürfen. Mit Lea Schüller steht schließlich eine weitere Weltklassetürmerin im Kader.

Das DFB-Team muss sich damals wie heute vor allem die Frage gefallen lassen, warum die Offensive immer etwas gehemmt auftritt. Gerade gegen tiefstehende Teams tun sich die Deutschen schwer damit, den Abwehrriegel zu knacken. Bei der Euro hatte man die Popp-Brechstange: Flanke auf die routinierte Wolfsburgerin und sie wird schon irgendwann treffen.

Bei der WM könnte das zu wenig sein. Deutschland geht diesmal mit einem anderen Status in dieses Turnier. Als Vize-Europameisterinnen wird es kaum noch Gegnerinnen geben, die es den Deutschen erlauben werden, auf ihr starkes Umschaltspiel zu setzen. Bei der 1:2-Testspielniederlage gegen Brasilien im April zeigte sich das eindrucksvoll. Die Brasilianerinnen standen tief und konterten zweimal effizient.

In einer Gruppe mit Marokko, Kolumbien und Südkorea wird das DFB-Team dreimal das Spiel machen müssen. Bisher lag ihm das nicht. Voss-Tecklenburg muss Lösungen entwickeln, um das Tempo von Spielerinnen wie Jule Brand, Klara Bühl oder Svenja Huth einzusetzen. Die letzten Testspiele dienen immerhin als Beispiele dafür, wie es nicht funktioniert.

Formcheck: Das Potenzial der deutschen Offensivreihe ist unbestritten. Doch das allein wird nicht reichen. In den letzten Wochen wirkten einige Spielerinnen neben der Spur. Es wird darum gehen, die individuellen Qualitäten gut ins Team einzubinden.

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DFB-Team: Martina Voss-Tecklenburg vor ihrer größten Herausforderung?

Gewinnen ist einfacher, als oben zu bleiben, heißt es immer mal wieder. Vor dieser Herausforderung steht jetzt auch Voss-Tecklenburg. Die Bundestrainerin kennt die Situation, hatte sie doch vor der Europameisterschaft ähnliche Probleme.

Und doch ist die Situation etwas anders gelagert. Diesmal wird Deutschland gezwungen sein, einen anderen Fußball zu spielen als bei der EM. Damals lebten sie auch davon, dass sie kaum jemand so richtig auf dem Schirm hatte. Als Mitfavoritinnen ist die Erwartungshaltung nun eine andere. Die verschiedenen Probleme in nahezu allen Teamteilen tun ihr Übriges.

Voss-Tecklenburg ist insgesamt ruhiger geworden als noch zu Beginn ihrer Amtszeit. Ihre Persönlichkeitsentwicklung während und direkt vor der Europameisterschaft war bemerkenswert. Die 55-Jährige weiß genau, wie sie die Spielerinnen auf emotionaler Ebene anpacken muss und welche Hebel sie in Bewegung setzen kann, um den aktuell negativen Trend umzukehren.

Bei der WM wird sie darüber hinaus auch taktisch nochmal mehr gefordert sein. Sie hat alle Puzzleteile, um ein titelfähiges Team ins Turnier zu schicken. Die große Frage ist, ob sie es rechtzeitig geschafft hat, diese entsprechend zusammenzusetzen.

Formcheck: Die Bundestrainerin und ihr Trainerteam stehen im Mittelpunkt. Das Vertrauen, dass sie die skeptische Stimmung rund um das DFB-Team abermals in Euphorie verwandeln kann, ist groß. Doch die Probleme sind größer als vor einem Jahr und es ist bisher nicht gelungen, das Team nach der erfolgreichen EM weiterzuentwickeln. Die WM wird eine riesige Herausforderung für Voss-Tecklenburg.

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DFB-Team: Deutschland ist eine Wundertüte

Deutschlands Anspruch für diese Weltmeisterschaft ist klar: Möglichst weit kommen, im Idealfall auch den Titel gewinnen. Die Konkurrenz ist groß. Nicht nur die USA als Rekordweltmeisterinnen, sondern auch viele europäische Länder wie die Europameisterinnen aus England, dazu Schweden, Frankreich, Spanien oder die Niederlande hoffen auf den großen Coup.

Hinzu kommen die Gastgeberinnen aus Australien, die sich in den letzten Monaten in Top-Form präsentierten. Und auch Brasilien hat zuletzt gezeigt, dass mit ihnen zu rechnen ist. Die Spitze ist so eng beieinander wie noch nie.

Sollte Deutschland die Gruppenphase erwartungsgemäß überstehen, droht im Achtelfinale schon das erste Top-Spiel. Brasilien oder Frankreich könnten dann auf das DFB-Team warten. Schaut man sich die aktuelle Form der DFB-Frauen an, zählen sie wohl nicht zu den ganz großen Favoritinnen.

Doch obwohl sie deutlich mehr Leute auf dem Zettel haben dürften als im vergangenen Jahr, gelingt es vielleicht trotzdem wieder, aus der schwierigen Vorbereitung die richtigen Schlüsse zu ziehen. Deutschland ist mal wieder eine große Wundertüte.

Deutschland bei der Frauen-WM 2023: Spielplan und Termine

DatumMannschaft 1Mannschaft 2Ort
Mo., 24. Juli 2023DeutschlandMarokkoMelbourne
Di., 25. Juli 2023KolumbienSüdkoreaSydney
So., 30. Juli 2023SüdkoreaMarokkoAdelaide
So., 30. Juli 2023DeutschlandKolumbienSydney
Do., 3. August 2023MarokkoKolumbienPerth
Do., 3. August 2023SüdkoreaDeutschlandBrisbane
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