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WM 2022 - US-Stürmer Terrence Boyd im Interview: "Ich gurke in der vierten Liga rum und bin gar kein Profi"

14-mal stand Stürmer Boyd bisher für das US-Nationalteam auf dem Platz - letztmals 2016.
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Terrence Boyd bestritt für die US-Nationalmannschaft bisher 14 Länderspiele, trotz starker Leistungen für den 1. FC Kaiserslautern in der 2. Liga machte er sich keine realistische Hoffnungen auf eine WM-Nominierung. Im Interview mit SPOX und GOAL berichtet der Stürmer von seinen Erlebnissen beim Team USA.

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Boyd spricht über sein kurioses Debüt gegen italienische Weltstars als Regionalligaspieler, seine positiven Erfahrungen mit Trainer Jürgen Klinsmann und seinen schwierigen Stand bei dessen Nachfolgern.

Außerdem erklärt der 31-Jährige, wie er die Entwicklung des Fußballers in den Vereinigten Staaten im Generellen sieht, welche Probleme es noch immer gibt - und er freut sich über die Rückkehr eines fast ausgestorbenen Stürmertyps.

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Herr Boyd, Sie waren im WM-Spiel der USA gegen Wales erstmals als Co-Kommentator im Einsatz bei MagentaTV und haben gleichzeitig mit Ihrem Team mitgefiebert. Wie war es?

Terrence Boyd: Super! Ich war echt aufgeregt, weil ich nicht wusste, was mich erwartet. Es ist immer einfach, sich das auf der Couch vorzustellen. Hinter den Kulissen war alles hektisch und crazy, weil es live war. Als Experte war ich vorher schon einmal im Studio, aber dieses Kommentator-Dasein - wann sagst du etwas, wann hältst du besser die Schnauze - das ist schon eine andere Nummer. Du willst ja auch nicht dem Zuschauer zuhause das Spiel vermiesen. Du willst Infos geben, die nützlich sind, gleichzeitig unsichtbar und sichtbar sein. Ich hatte ein paar Versprecher drin, Sätze, die ich angefangen, aber nicht zu Ende gebracht habe. Ich denke aber, dass es im Großen und Ganzen okay war und hoffe, dass mir die Zuschauer die Fehler verzeihen.

Und die Trennung zwischen Spielbeobachter und Fan war kein Problem?

Boyd: Nein, ich kann da schon neutral bleiben. Und wenn man ehrlich ist und sich das Spiel nüchtern anschaut, hatte es keinen Sieger verdient. Die USA waren klar dominant in der ersten Halbzeit, hatten aber auch keine riesigen Chancen auf das zweite oder dritte Tor. Da hätten sie den Sack zumachen müssen. Wales war nach der Pause nicht unbedingt besser, aber hat ein bisschen mehr Alarm gemacht, sich nach vorne getraut und war nach Standards brutal gefährlich. Ein dummer Fehler hat zum Elfmeter geführt, aber damit können beide leben und es hält die Spannung hoch. Beide sollten den Iran schlagen, von daher war es eine Art Endspiel um Platz zwei.

WM 2022 - Gruppe B: Der Spielplan

DatumUhrzeitTeam ATeam BErgebnis
21. November14 UhrEnglandIran6:2
21. November20 UhrUSAWales1:1
25. November11 UhrWalesIran-:-
25. November20 UhrEnglandUSA-:-
29. November20 UhrIranUSA-:-
29. November20 UhrWalesEngland-:-

Kann an einem guten Tag auch gegen England etwas drin sein oder ist das eher unrealistisch?

Boyd: Ich gehe von einer Niederlage aus. England ist für mich allerdings nicht das Maß aller Dinge. Sie gehören zu den Großmächten, die auch in der Lage sind zu patzen und wichtige Spiele zu verballern. Das traue ich auch den USA zu. England ist kein Schwergewicht, das dich 5:0 überrollt, trotz dem 6:2 gegen den Iran, das nur schwer einzuschätzen ist.

Um zu Ihrer Person überzuleiten: Wäre das Wales-Spiel nicht für einen Strafraumspieler wie Sie prädestiniert gewesen, um einen positiven Einfluss zu nehmen?

Boyd: Natürlich wäre ich sehr gerne dabei gewesen, aber machen wir uns mal nichts vor: Es gibt so viele talentierte Stürmer, die gerade in Europa gut performen und zurecht dabei sind - außer Jordan Siebatcheu von Union, der am ehesten den klassischen Mittelstürmer verkörpert. Die waren bis vor kurzem Tabellenführer in der Bundesliga und er Stammspieler. Also von was reden wir da im Vergleich zu mir? Haji Wright hat schon ein paar Tore geschossen in der Türkei, Josh Sargent ist dabei und kann diese Rolle auch spielen. Klar: Du brauchst auch mal jemanden, der die Dreckstore macht, Wales hat die Einwechslung von Kieffer Moore extrem gut getan. Viele Teams wünschen sich mittlerweile einen solchen Spielertypen zurück, um auch mal einen Plan B zu haben, egal ob in einer niedrigen Liga oder auf Weltklasseniveau. Irgendwann musst du über Flanken agieren und brauchst mal einen, der keinen guten Fußball spielen muss, sondern einen eingebauten Torriecher hat. Ich finde es gut, dass diese ausgestorbene Art so langsam wieder mehr Akzeptanz findet.

Sein erstes Länderspiel bestritt Boyd 2012 gegen Italien. Auch mit dabei: Andrea Pirlo.
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Terrence Boyd: USA? "Mein Name war ein wenig verbrannt"

Sie haben im Oktober 2016 Ihr letztes von 14 Länderspielen für die USA gemacht. Wie war seit dieser Zeit der Kontakt zum Nationalteam und den Trainern?

Boyd: Seit dem Ende der Amtszeit von Jürgen Klinsmann war der Kontakt komplett abgebrochen, Nachfolger Bruce Arena hatte noch kurz angefragt, mich aber dann trotzdem nicht eingeladen, obwohl ich in der Bundesliga getroffen hatte. Das habe ich bis heute nicht verstanden. Aber seit Gregg Berhalter Trainer ist, gibt es gar keinen Kontakt mehr. Ich weiß gar nicht, ob er mich überhaupt kennt. Mein Problem war auch, dass ich in dem halben Jahr in der MLS (Toronto von Januar bis Juli 2019) - so ehrlich muss man sein - scheiße gespielt habe. Mein Name war dann ein wenig verbrannt. Dann heißt es: 'Der hat noch nicht einmal hier Tore geschossen.' Es ist schade, aber ich habe mich damit abgefunden. Ich habe meine Chancen bekommen und kann trotzdem stolz auf mich sein. Das, was ich erreicht habe, kann mir keiner nehmen.

Es gab keine Pläne, länger in den USA zu spielen, um für die Nationalmannschaft mehr auf dem Radar zu sein?

Boyd: Nein, das hatte aber vor allem familiäre Gründe. Mein zweites Kind war auf dem Weg, die Frau war noch in Deutschland, konnte nicht mit nach Toronto kommen. Ich wusste schon vor dem Wechsel, dass es schwer wird, viel zu spielen. Jozy Altidore war gesetzt. Ich war alleine dort, das macht dich auch fertig als Vater und Ehemann, wenn du nur über Facetime Kontakt haben kannst. Und ich habe einfach nicht gut performt, wenn ich mal die Chance gekriegt habe. Danach habe ich mein Glück in Halle wiedergefunden, Selbstvertrauen getankt und in Kaiserslautern läuft es gerade auch wunderbar. Wir haben gerade viel Grund zu feiern, das ist sehr schön.

Im Februar 2012 haben Sie auf recht kuriose Weise Ihr Länderspieldebüt gegeben, damals waren Sie noch bei Borussia Dortmund II aktiv. Wie lief das ab?

Boyd: Das war sehr wild. Ich war schon Jugendnationalspieler, Jürgen Klinsmann hatte im Vorjahr das A-Team übernommen. Ich besaß beim BVB noch nicht einmal einen Profivertrag, spielte in der Regionalliga West. Matthias Hamann, Bruder von Didi und beim US-Verband als Scout tätig, hat sich bei mir und meinem Berater gemeldet und gesagt: 'Lern am besten schon einmal Italienisch, du wirst wahrscheinlich beim Freundschaftsspiel in Italien dabei sein.' Ich dachte mir nur: 'Was willst du mir erzählen, ich gurke in der vierten Liga rum und bin gar kein Profi.' Aber dann kam es echt so: Ich hatte mit den BVB-Amateuren ein Spiel in Idar-Oberstein, habe noch nicht einmal ein Tor gemacht und wurde danach von Hamann abgeholt. Direkt zum Flughafen und nach Mailand, dort von einem Chauffeur abgeholt, Anzug an, Security auf dem Hotelflur - das war für mich eine völlig andere Welt und ich wusste gar nicht, was los ist. Wir hatten dort ein paar Tage Training und alleine das war für mich schon krass: Klinsmann und die damaligen Starspieler wie Clint Dempsey, Jermaine Jones, Tim Howard - da waren schon geile Zocker dabei. Und dann wurde ich für Dempsey nach 80 Minuten eingewechselt - und dann stehst du da mit Buffon, Chiellini und Pirlo ...

Terrence Boyd - Andrea Pirlo umgehauen? "I'm so sorry, I'm a big fan"

Und mit jenem Pirlo kam es auch direkt zu einer Begegnung ...

Boyd: Ich habe ihn direkt umgehauen. Ich habe mich dann sofort entschuldigt, weil er mich genervt angeschaut hat und von den USA wahrscheinlich sowieso keinen kannte - vor allem nicht mich. Ich sagte nur zu ihm: 'I'm so sorry, I'm a big fan.' Und habe ihm aufgeholfen.

Sie haben alle ihre Länderspiele unter Klinsmann gemacht. Vor allem nach den Episoden beim FC Bayern und zuletzt bei Hertha BSC ist er in Deutschland durchaus umstritten. Wie haben Sie ihn erlebt?

Boyd: Ich stand ihm sehr positiv gegenüber. Er wollte in allen Bereichen sehr viel optimieren, Spieler auf das höchstmögliche Niveau bringen und formen, war sehr innovativ. Er war sehr sympathisch, ein toller Typ. Egal wo wir waren, er musste immer mehr Autogramme geben als die Spieler, weil er als Spieler eine absolute Legende war. Was da in Berlin los war, kann ich mir auch nicht erklären. Er war ja auch in Bayern derjenige, der die Athletiktrainer mehr oder weniger in die Bundesliga gebracht hat. Am Ende bleibt nur die Story mit den Buddha-Statuen hängen und dass er gleich wieder gekickt wurde, aber in dem Geschäft kann es manchmal ganz schnell gehen. Ich kann nichts Negatives sagen.

Bevor Sie unter anderem eine Kreuzbandverletzung außer Gefecht setzte, waren Sie 2012 und 2013 regelmäßig beim Team und kamen zu Einsätzen. Wie nahe haben Sie sich da an der ersten Mannschaft gefühlt und gedacht: 'Das kann auf Dauer eine Erfolgsgeschichte werden?'

Boyd: In der ersten Elf habe ich mich nicht wirklich gesehen, aber ich stand immerhin im Vorkader für die WM 2014 in Brasilien. Und ich bin wirklich jemand, der sich eher schlecht redet und sehr demütig ist, aber: Ich kam aus einer Saison, in der ich in Österreich bei Rapid Wien zweistellig und auch in der Europa League getroffen hatte und statt mir wurde dann ein 35-jähriger Stürmer aus der MLS nominiert, der dort nicht performt hatte. Da hätte er mich echt mitnehmen können! (lacht)

Im Oktober 2016 kam es nach zweieinhalbjähriger Abstinenz zu Ihrem letzten Länderspiel, einen Monat später wurde Klinsmann entlassen. Wie sah es danach mit Ihren Chancen aus?

Boyd: Ich habe in Darmstadt Bundesliga gespielt, auch wenn ich die Liga nicht zerlegt habe, habe ich meine Tore gemacht. Unter Klinsmann wäre ich weiter eingeladen worden, ich war ja im Pool. Bei Arena war das Problem, dass er Halb-Amerikaner, die nicht in den USA aufgewachsen sind, als Ausländer ansieht. Da hätte er wohl höchstens für absolute Stars eine Ausnahme gemacht. In dieser Zeit haben nicht viele US-Stürmer in einer Liga wie der Bundesliga gespielt. Aber es hat nicht gereicht. Da war mir schon klar: 'Jetzt ist wahrscheinlich Feierabend in der Nationalmannschaft.'

Nach dem Aus von Klinsmann als US-Coach hatte Boyd bei den Nachfolgern keinen allzu guten Stand mehr.
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Fußball in den USA: "So viele aufregende Talente gab es noch nie"

Wie sehen Sie übergeordnet die Entwicklung im US-Fußball? Es hat sich vieles professionalisiert. Blickt man aber alleine auf die WM-Ergebnisse im aktuellen Jahrtausend (2002 Viertelfinale, 2010 und 2014 Achtelfinale, 2018 nicht qualifiziert), zeigt sich das nicht. Wertet man dies im Land als Enttäuschung?

Boyd: Es geht gefühlt schon nach vorne, auch wenn ich nicht der größte Fan vom aktuellen Trainer und den Strukturen bin. Ich habe es sehr begrüßt, dass es nach der verpassten WM 2018 einen rigorosen Umbruch gab. Die Mannschaft zählt zu den jüngsten der WM. So viele aufregende Talente, die es auch in Europa geschafft haben, gab es noch nie. Die sind nicht festgefahren und mussten in der MLS bleiben, sondern haben in den Topligen den letzten Schliff bekommen und sind dort teilweise Stammspieler bei Spitzenklubs. Das ist geil und so muss es weitergehen.

Aber Sie sehen auch Probleme ...

Boyd: Der Tenor ist: 'Klar, wir sind stolz darauf, aber die Spieler sollen auch bei uns ausgebildet werden und am besten bleiben sie in der gesamten Karriere in der MLS.' Aber die dortige Ausbildung ist so gut wie hier in der Oberliga und für die Laufbahn kann ein ewiger Verbleib auch nicht förderlich sein. Die MLS ist schon eine coole Liga, bewegt sich irgendwo im Bereich der zweiten und dritten deutschen Liga - je nach Team. Es gibt immer mal wieder einen Push, wie zum Beispiel zuletzt mit dem Charlotte FC, der neu dabei ist und mal 70.000 Zuschauer hat. Oder in Atlanta und Seattle, wo die Massen angezogen werden. Fußball wird immer mehr akzeptiert, nachdem es lange eine reine Rentenliga war. Atlantas Ex-Spieler Miguel Almiron, der 2017 gekauft und zwei Jahre später für das Dreifache nach Newcastle verkauft wurde, ist ein gutes Beispiel. Endlich mal ein Talent, dessen Karriere noch nicht am Ende war, sondern das gewinnbringend weiterentwickelt werden konnte.

Und der generelle Vergleich zu anderen Nationen?

Boyd: Wenn man rein nach Talenten und Athleten gehen würde, müsste die MLS eine der besten Ligen und die USA eines der besten Länder der Welt sein. Aber es kommen eben auch das Ligensystem ohne Auf- und Abstieg, das finanzielle Gründe hat, die Ausbildung oder mentale Aspekte dazu. Wer hat die beste Football-, Basketball-, Eishockey- oder Baseball-Liga der Welt? Die dortigen Sieger werden World Champions genannt. Dem Fußball hat auch in den Schulen lange die Akzeptanz gefehlt, vergleichbar vielleicht mit Badminton in Deutschland. Es wäre schon ein erster Schritt, wenn der Fußball Baseball, was für mich persönlich eine eher langweilige Sportart ist, überholen würde. So könnten auch Potenziale in der Ausbildung oder bei den Gehältern freigesetzt werden.

Wie sehr spielt die WM gerade in den USA in der täglichen Berichterstattung eine Rolle?

Boyd: Der Amerikaner an sich ist immer heiß, wenn ein großes Event ansteht, egal ob Olympia oder WM. Wenn sie es mitkriegen, ist die Sportart egal, dann wird zu 100 Prozent mitgefiebert. Da geht es darum, dass das Land repräsentiert wird. Ein gutes Abschneiden in Katar würde natürlich dabei helfen, Werbung für den Sport innerhalb des Landes zu machen, damit sich Talente im High-School- und College-Alter für den Fußball entscheiden.

Ein großes Thema in Deutschland ist der Protest gegen die problematische Menschenrechtslage in Katar sowie der Wirbel um die Kapitänsbinde vor dem ersten Spiel. Inwiefern wird das in den USA überhaupt diskutiert?

Boyd: Im Detail kann ich das als in Deutschland Lebender nicht sagen. Wir müssen ja gar nicht darüber reden, dass es dabei nicht um ein politisches Statement geht, sondern um gesunden Menschenverstand. Worüber reden wir hier? Das Problem ist in erster Linie die FIFA. Was ich mich frage: Könnten sich nicht einige der fußballerischen Großmächte bei der nächsten WM-Quali zusammenschließen und sagen: 'Wir treten nicht an. Viel Spaß bei der nächsten WM mit Liechtenstein und Luxemburg.' Druck kann nur geschlossen gemacht werden, es darf keiner den Schwanz einziehen. Als Spieler und Team kann man es auch verstehen, dass da keiner Bock auf einen Punktabzug hat. Für viele ist es die erste WM, ein Lebenstraum geht in Erfüllung. Da kann keiner etwas dafür, dass das Turnier unbedingt in Katar stattfinden muss.

Terrence Boyd: Statistiken für Nationalmannschaft und Vereine

TeamZeitSpieleToreVorlagenMinuten
USA2012-201614/3244
1. FC Kaiserslauternseit 2022331632.626
Hallescher FC2019-20229040177.480
Toronto FC201913//423
Darmstadt 982017-201944521.424
RB Leipzig2014-201783/412
Rapid Wien2012-20148037115.863
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