Auch der FC Bayern München ist nicht nur stiller Beobachter: Warum Multi-Club Ownership gefährlich ist

Von Justin Kraft
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Multi-Club Ownership ist seit einigen Jahren auf dem Vormarsch im Weltfußball. Das Geschäftsmodell bedroht den Sport aber gleich auf mehreren Ebenen.

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Mindestens 256 Klubs. Das ist laut den Recherchen des britischen Journalisten Steve Menary im März 2023 die Antwort auf die Frage gewesen, wie viele Klubs sich weltweit in Mehrfachbeteiligungen befinden.

"Die UEFA schlafwandelt in ein riesiges Problem", sagte er damals der Sportschau. Gemeint ist das Phänomen "Multi-Club Ownership". Also der gleichzeitige Mehrfachbesitz von Fußballklubs durch einen Investor oder eine Gruppe von Investoren. Prominente Beispiele sind neben Red Bull, die Klubs in Leipzig, Salzburg, New York und São Paulo besitzen, unter anderem die City Football Group oder 777 Partners. Die City Football Group besitzt neben Manchester City noch zwölf weitere Klubs. Darunter der FC Girona, New York City FC oder ES Troyes AC. 777 Partners hat Anteile bei Hertha BSC und mit dem FC Sevilla, dem CFC Genua oder etwa Vasco da Gama einige weitere Klubs in seinem Portfolio.

Die Zahl 256 dürfte schon wieder überholt sein. Allein im Jahr 2023 zählte die UEFA 31 neue MCO-Investitionen, davon elf mit Minderheits- und 20 mit Mehrheitsbeteiligungen. Laut dem europäischen Fußballverband sind mehr als 180 Klubs allein in Europa in Mehrfachbesitzstrukturen eingebunden.

Für die UEFA, die FIFA und den Weltfußball insgesamt entstehen durch dieses Geschäftsmodell Probleme, die aktuell nicht bekämpft werden. Kapitalistische Strukturen werden zum Negativen verstärkt, die Integrität von Wettbewerben muss infrage gestellt werden.

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Multi-Club Ownership läuft bisher weitgehend unreguliert

Die großen Verbände nehmen diese Problematik allerdings nicht in diesem Ausmaß wahr. Denn Multi-Club Ownership ist sowohl bei der UEFA als auch bei der FIFA ein größtenteils unreguliertes Feld. Das wird allein dadurch unterstrichen, dass es beinahe jährlich Verhandlungen darüber gibt, ob Klubs an der Champions League teilnehmen dürfen - meist mit nahezu selbem Ausgang und Wortlaut.

Denn die UEFA hat in ihren Regularien stehen, dass jemand, der einen Klub besitzt, im Europapokal keine weiteren Klubs kontrollieren darf. Nun gab es 2023 beispielsweise gleich mehrere Klubs, bei denen diese Regel ein Problem darstellte: Die AC Mailand war für die Champions League qualifiziert, der FC Toulouse für die Europa League. Beide gehören mehrheitlich RedBird Capital aus den USA. Auch Brighton & Hove und Royale Union Saint-Gilloise (beide Europa League) gehörten zuletzt mehrheitlich dem englischen Pokerspieler Tony Bloom.

Das sind nur zwei von vielen Beispielen. Nach etwas Aufruhr teilte die UEFA allerdings mit, dass es "bedeutende Änderungen" durch die Klubs und ihre Investoren gegeben habe. Die Regeln wurden dadurch eingehalten. So hätten die Besitzer teilweise ihre Anteile reduziert oder seien weniger an der Finanzierung der Klubs beteiligt.

Auch 2017 gab es in Bezug auf Red Bull ein solches Urteil, als die UEFA entschied, dass Salzburg und Leipzig an europäischen Wettbewerben teilnehmen dürfen. Die Begründung: "Bedeutende Änderungen" im Management und der Struktur. In diesem Jahr gab es weitere Fälle. Ein Beispiel: Manchester City und der FC Girona treten beide in der Champions League an. Beide gehören zur City Football Group, dem größten Netzwerk mit derzeit 13 Klubs. Kontrolliert von einer Investmentfirma aus den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Die UEFA entschied in allen diesjährigen Fällen: Es habe "wesentliche Änderungen" im Management und der Struktur gegeben. Durch derartige Verschiebungen sind die Probleme allerdings längst nicht gelöst.

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Wie Multi-Club Ownership den Transfermarkt verändert

Denn davon gibt es zahlreiche. Wer früher den Fußball Manager von "EA" gespielt hat, wird sicher auch mal innerhalb eines Spielstands zwei Klubs gleichzeitig gemanagt haben - um sich den einen oder anderen Vorteil zu verschaffen. Hier ein Spieler unter Marktwert verschoben, dort einer für viel zu viel Geld gekauft - man hat sich das Leben auf dem virtuellen Transfermarkt doch deutlich erleichtert.

Ein Vorgehen, das in einem Videospiel selbstredend etwas weniger komplex ist als in der Realität. Und doch erleben wir vereinfacht erklärt genau das seit einiger Zeit. Red Bull ist ein in Deutschland häufig diskutiertes Beispiel. 20 Spieler wechselten seit Januar 2012 von Salzburg nach Leipzig. Der Vorwurf: Die Österreicher wären nur ein Farmteam für den Red-Bull-Ableger in Deutschland.

Die UEFA registrierte allein im Jahr 2022 114 Transfers zwischen Klubs mit dem gleichen Investor. Innerhalb von zehn Jahren entspricht das einer Steigerung um fast 200 Prozent. Ein Extrembeispiel sind der FC Watford und Udinese Calcio. Die Engländer sind 2011 von Gino Pozzo übernommen worden. Dessen Vater Giampaolo Pozzo besitzt die Italiener indes seit 1986. Seit 2011 gab es zwischen den beiden Klubs weit über 50 Spielertransfers.

Allein in der Saison 2012/13 verpflichtete Watford elf Spieler von Udinese - zehn davon per Leihe. Die Vorteile dieser Netzwerke sind selbsterklärend. Natürlich will die City Football Group den Talentemarkt in den Griff bekommen und so frühzeitig Spieler sichern, die irgendwann das Potenzial haben könnten, beim Flaggschiff Manchester City zu landen.

Dass diese nun auf Multi-Club Ownership zurückgreifen hat mehrere Ebenen. Eine davon ist, dass die FIFA den "Loan Armys" einen Strich durch die Rechnung machen wollte und deshalb die Anzahl an erlaubten Leihen pro Klub reduziert hat. Aktuell sind es nur noch sechs. Mit einem Netzwerk aus mehreren Klubs kann diese Regel umgangen werden.

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Multi-Club Ownership: Topklubs suchen Zugang zum Talentemarkt

Eine weitere Ebene ist allerdings, dass Klubs wie Borussia Dortmund oder Bayer Leverkusen ein deutlich angenehmeres Umfeld für Talente bieten als beispielsweise der FC Bayern München. Topklubs können Talenten aufgrund ihrer hohen Ansprüche oft nur die Perspektive bieten, dass sie verliehen werden, während sie woanders auf gutem internationalem Niveau sofort Wertschätzung erfahren und Einsatzzeit sammeln können.

Partnerschaften mit anderen Klubs sind nicht neu. Besitzt man allerdings mehrere Klubs auf unterschiedlichen Niveaus, kann man jungen Toptalenten nicht nur viel Geld, sondern auch eine gute sportliche Perspektive mit Aufstiegschancen bieten. So verpflichtete Manchester City in diesem Sommer Savinho für 25 Millionen Euro von Troyes - einem Klub der City Football Group. Die wiederum hatten das Talent 2022 für 6,5 Millionen Euro aus Brasilien geholt. Für ein Jahr ging es dann zur PSV Eindhoven, anschließend für ein weiteres Jahr zum FC Girona.

Der Marktwert des brasilianischen Rechtsaußen wird von transfermarkt.de auf 50 Millionen Euro geschätzt. Das dürfte mindestens der Betrag sein, der für einen Spieler seiner Qualität fällig geworden wäre - unter normalen Umständen. City konnte also nicht nur sparen, sondern ihm zuvor auch noch Spielzeit auf einem sehr guten europäischen Niveau gewährleisten, bevor es nach England ging. Man hatte frühzeitig die Hand über einem großen Talent.

Pep Guardiola.
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Wettbewerbsverzerrung durch unfaire Vorteile?

Der Wettbewerb wird dadurch gleich mehrfach verzerrt. Dabei geht es gar nicht so sehr um die sportliche Komponente. Zwar hat es mindestens ein Geschmäckle, sollte Manchester City irgendwann in der Champions League auf den FC Girona treffen, doch besorgniserregender sind die Transfermachenschaften.

Denn einerseits gelingt es den Topklubs damit, die Auflagen durch das Financial Fairplay zu umgehen - braucht ein Klub Geld, wird ein Spieler überteuert innerhalb des Netzwerks verkauft, braucht man dringend einen Neuzugang, kann aber nicht mehr so viel ausgeben, kauft man eben unter Marktwert ein.

Andererseits wird die Chancenungleichheit der Klubs weiter verstärkt. Zwar ist Multi-Club Ownership hier längst nicht der erste Schritt, der dazu führt, dass die Schere zwischen der Elite und den restlichen Klubs immer größer wird, aber es ist dennoch ein weiterer Schritt in diese Richtung.

Gerade kleinere Klubs haben es sich zum Geschäftsmodell gemacht, junge Spieler zu scouten und die größte Schwäche der Topklubs auszunutzen: Keine schnelle Perspektive für Talente. Die Chancen, an sehr gute Spieler mit großem Entwicklungspotenzial zu kommen, werden aber geringer, wenn sich die Topklubs auch diesen Teil des Marktes sichern.

Zumal es ein großer Unterschied ist, ob man einem Spieler nur eine Leihe zu einem fremden Klub anbieten kann oder ob der entsprechende Klub denselben Besitzer hat. So lässt sich die Entwicklung viel besser steuern. Im letzten Sommer interessierte sich der SC Freiburg beispielsweise für das ghanaische Talent Ernest Nuamah. "Vielleicht war er etwas über unseren Möglichkeiten, aber bevor wir richtig loslegen konnten, nahmen die Dinge ihren Lauf", wird Jochen Saier bei 11Freunde zitiert.

Nuamah wechselte für 25 Millionen Euro vom FC Nordsjaelland zum belgischen Erstliga-Aufsteiger RWD Molenbeek - und wurde von dort anschließend an Olympique Lyon verliehen. Ein Wechsel, der zunächst für Verwirrung sorgte. Die Erklärung: Lyon hatte Probleme mit der heimischen Finanzkontrollbehörde und konnte kein Geld für neue Spieler ausgeben. Glücklicherweise gehört der Eagle Football Holding aber nicht nur Olympique Lyon, sondern auch Molenbeek.

FC Bayern München, Säbener Straße
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Multi-Club Ownership: "Folgen so groß wie das Bosman-Urteil"

"Die Folgen von Multi-Club Ownership sind mittelfristig so groß wie das Bosman-Urteil", kommentiert Andreas Bornemann vom FC St. Pauli die Entwicklungen bei 11Freunde: "Und die Frage, ob das gut für den Fußball ist, würde ich mit einem klaren Nein beantworten."

Es verwundert kaum, dass mit Max Eberl ausgerechnet ein Vertreter des deutschen Branchenführers FC Bayern andere Töne anstimmt: "Am langen Ende entscheidet immer noch der Spieler." Diesen könne man schließlich nicht zwingen. Auch die Münchner sind in der Entwicklung nicht nur stille Beobachter. Es gibt ein Joint Venture der Bayern mit dem Los Angeles Football Club, das wiederum Mehrheitsgesellschafter von Racing de Montevideo ist.

Unter dem Namen "Red&Gold Football" gab man im Dezember 2023 bekannt, dass man gemeinsam beim Fußballklub in Uruguay einsteige. Welche konkreten Ziele man verfolgt, bleibt abzuwarten. Bisher äußerten sich die Münchner nur spärlich dazu. Gegenwind gab es von den eigenen Fans, die das Vorhaben als "Heuschrecke" bezeichneten.

Klar ist: An Auswüchse wie bei der City Football Group reicht dieses Konstrukt noch nicht heran. Die Entwicklung hat Deutschland aber längst erreicht. Ob die Private Equity Gesellschaft 777, die unter anderem 78,8 Prozent der Anteile an der Hertha BSC GmbH & Co. KgaA, der ausgegliederten Profisparte erworben hat oder David Blitzer, der Anteile am FC Augsburg erworben hat und gleichzeitig mehrere Klubs in verschiedenen Sportarten besitzt - unter anderem Crystal Palace.

Auch der 1. FC Kaiserslautern ist Teil der Entwicklung. 2022 verkauften die "Roten Teufel" knapp zehn Prozent ihrer Anteile an die Pacific Media Group, der zahlreiche europäische Fußballklubs gehören - darunter der FC Thun aus der Schweiz oder die AS Nancy aus Frankreich.

Wenn sich die FIFA und die UEFA diesem Thema nicht bald annehmen, werden in Europa immer mehr Klubs zu Farmteams verkommen, deren Hauptzweck es ist, den Talentemarkt für die Eliteklubs wieder zugänglicher zu machen und die Kassen der Besitzer entsprechend zu füllen. Die kapitalistischen Fehlentwicklungen, die den Wettbewerb ohnehin schon seit vielen Jahrzehnten immer weiter verzerren, finden hier ihren vorläufigen Höhepunkt.

Die über 250 Klubs auf der Welt, die Teil dieser Netzwerke sind, sind jedoch nur der Anfang. An einer schärferen Reglementierung gibt es von den dafür Verantwortlichen derzeit eher kein Interesse.