Verrückter Transfermarkt: Die Deals von Moisés Caicedo bis Harry Kane belegen den Irrsinn

Von Mark Doyle / Patrik Eisenacher
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Im Jahr 2023 werden unerfahrene Talente für wahnwitzige Summen transferiert. Der Markt ist völlig aus dem Ruder gelaufen.

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Jürgen Klopp sagte 2016 über Transfers in Höhe von 100 Millionen Euro: "An dem Tag, an dem das Fußball ist, bin ich raus" Paul Pogba war da gerade für 105 Millionen Euro zu Manchester United gewechselt - ein halbwegs junger Weltklasse-Spieler.

Vor wenigen Tagen wurde dann bekannt, dass der FC Liverpool rund 130 Millionen Euro für Moisés Caicedo von Brighton bot - kein Weltklasse-Spieler. Der frühere BVB-Trainer gab zu: "Alles hat sich verändert. Gefällt mir das? Nein. Habe ich verstanden, dass ich falsch lag? Ja, absolut."

Diese irren Summen gehen nicht mehr für die besten Spieler der Welt über die Ladentheke, wie von 2009 bis 2016, als für Cristiano Ronaldo, Gareth Bale und Paul Pogba Weltrekord-Summen um die 100 Millionen Euro flossen. Und auch nicht mehr nur für gestandene Top-Akteure wie Coutinho, Antoine Griezmann, Ousmane Dembélé oder Romelu Lukaku - sondern für Spieler, die vor diesem Sommer einen Bruchteil davon wert gewesen wären. Doch der FC Chelsea und seine neuen US-Besitzer sowie Saudi-Arabien bringen den europäischen Markt völlig außer Kontrolle.

Natürlich könnte man argumentieren, dass der Transfermarkt aufgrund des "Neymar-Effekts", der 2017 für 222 Millionen vom FC Barcelona zu PSG ging, schon seit einiger Zeit völlig aus den Fugen geraten ist. Doch durch die leichte Ruhe während der Corona-Pandemie hatten wir alle die Hoffnung, dass dieser Wahnsinn endlich zumindest abflacht.

Aber nichts da: Gerade in diesem Jahr 2023 hat der Transfermarkt eine neue, noch irrere Wendung genommen: Auch für nicht gestandene Spieler, die nicht Weltklasse, nicht einmal sehr gut sind, fließen jetzt die Mega-Summen. Der Unruhestifter heißt FC Chelsea, die UEFA lässt die Londoner damit davonkommen.

Und auch der FC Bayern München hat die legendäre 100-Millionen-Euro-Schallmauer nun durchbrochen.

Wie SPOX anhand der folgenden zehn Deals zeigt, ist der Markt völlig überhitzt. Davon lässt sich sogar Klopp anstecken.

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Harry Kane (Von Tottenham Hotspur zu Bayern München, 100 Millionen Euro)

Selbst die Bayern machen bei dem Transfer-Wahnsinn mit - deshalb steht diese Verpflichtung auf unserer Liste. Die Münchener hatten sich immer damit gerühmt, nicht so viel Geld für neue Spieler auszugeben.

Und bis 2019 lag ihr teuerster Transfer auch bei 41,5 Millionen Euro - Corentin Tolisso, der zwei Jahre zuvor von Olympique Lyon gekommen war. Doch dann kam Lucas Hernández für verrückte 80 Millionen von Atlético Madrid, die er letztlich nicht wert war. Auch für Min-jae Kim und Matthijs de Ligt gaben die Bayern zuletzt sehr hohe Summen aus.

Harry Kane toppt das Ganze - im negativen Sinne. 100 Millionen Euro, diesen Wahnsinn wollten die Münchner eigentlich nicht mitmachen - und dann auch noch für einen 30-Jährigen mit nur noch einem Jahr Vertrag! So weit ist es nun also gekommen - auch wenn Kane das natürlich wert zu sein scheint.

Zur Erinnerung: Karl-Heinz Rummenigge behauptete, dass Bayern niemals 100 Millionen Euro für einen 33-jährigen Cristiano Ronaldo bezahlt hätte - wie es Juventus im Sommer 2018 tat. Auch Lothar Matthäus behauptete noch vor wenigen Monaten, Kane sei "zu teuer und zu alt" für seinen ehemaligen Verein. Doch Spurs-Boss Daniel Levy zeigte sich stur und bekam am Ende die dreistellige Millionensumme, die er wollte.

Trotzdem ist zu betonen: Im Gegensatz zu den meisten anderen Namen auf dieser Liste handelt es sich um einen gestandenen Weltklasse-Spieler. An Kanes Qualität gibt es keinen Zweifel.

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Enzo Fernández (Von Benfica zum FC Chelsea, 121 Millionen Euro)

Enzo Fernández war nach der Weltmeisterschaft 2022 in Katar ein heißes Eisen - und das zu Recht. Der Mittelfeldspieler war beim Triumph des von Lionel Messi inspirierten Argentiniens in Katar großartig in der Startelf und wurde zum besten Nachwuchsspieler gekürt.

Sein Ex-Klub Benfica ist auf Verkäufe angewiesen und macht das seit Jahren in unglaublicher Manier. Den Argentinier wollten sie aber eigentlich nicht angeben, er sollte in der K.o.-Phase der Champions League mitwirken.

Auch Klubpräsident Rui Costa war aus zwei Gründen zuversichtlich, Fernández halten zu können. Erstens war der Verein nicht knapp bei Kasse, nachdem er im Sommer zuvor Darwin Nuñez für satte 80 Millionen Euro an Liverpool verkauft hatte. Zweitens lag Fernandez' Ausstiegsklausel bei 121 Millionen Euro. Benfica rechnete verständlicherweise nicht damit, dass kein Verein der Welt auch nur annähernd diese Summe bieten würde. Dann kam Chelsea.

Todd Boehly & Co. machten dem Spieler und seinen Vertretern klar, dass sie tatsächlich bereit waren, die Ausstiegsklausel zu zahlen.

Costa erklärte später, dass er von Fernández' Verhalten während der Verhandlungen angewidert war - aber die damalige britische Rekordablöse war es wert - zumal sie den Argentinier nur wenige Monate zuvor für zehn Millionen Euro gekauft hatten.

Mittlerweile weiß ohne jeder, dass Chelsea keine Grenzen mehr kennt und für nicht gestandene Spieler sein Geld aus dem Fenster wirft - Fernández war das erste Beispiel dafür. Er steht nicht weiter unten in dieser Liste, weil er diesen Preis zumindest fast gerecht werden könnte.

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Mason Mount (Vom FC Chelsea zu Manchester United, 64,2 Millionen Euro)

Nichts an dem Deal mit Mason Mount passt zusammen.

United ist auf jeder offensiven Position außer im Mittelsturm gut besetzt. 64 Millionen Euro für einen Spieler, den der Klub nicht unbedingt braucht, sind Wahnsinn - vor allem wenn man bedenkt, dass es bessere offensive Mittelfeldspieler für weit weniger Geld gab. Weltmeister Alexis Mac Allister beispielsweise hatte in seinem Vertrag bei Brighton eine Ausstiegsklausel von 42 Millionen Euro und James Maddison von Leicester City war für 46 Millionen Euro zu haben.

Warum also wollte United noch mehr Geld in Mount investieren, der in einer miserablen Saison 2022/23, in der er in wettbewerbsübergreifend 35 Einsätzen nur drei Tore erzielte, seinen Stammplatz bei Chelsea und in England verlor?

United hat viel Geld darauf gesetzt, dass Mount die Form wiederfindet, die ihn vor zwei Jahren zu einem guten Premier-League-Spieler machte.

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Kai Havertz (Vom FC Chelsea zum FC Arsenal, 75 Millionen Euro)

Kai Havertz schoss zwar eines der wichtigsten Tore in der Geschichte des FC Chelsea, im CL-Finale 2021 gegen Manchester City (0:1), erwies sich aber dennoch als kolossale Geldverschwendung. Die 80 Millionen Euro, welche die Londoner an Bayer Leverkusen überwiesen hatten, war er bei Weitem nicht wert.

Nun konnten sie ihn mit nur fünf Millionen Euro Verlust an den Stadtrivalen weitergeben - ein gutes Geschäft.

Dass Arsenal ihn will, ist wirklich bizarr. Trainer Mikel Arteta ist offensichtlich der Meinung, dass Havertz in einer tieferen Rolle, im Mittelfeld, auftrumpfen kann. Für Chelsea schoss er in offensiveren Positionen nur 19 Tore in 91 Spielen.

Havertz hat viele offensive Qualitäten. Nur für eine angemessene Ablösesumme hätte es Sinn gemacht, ihm eine Chance zu geben. Nicht einmal Hansi Flick weiß, wo er Havertz einsetzen soll.

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Roméo Lavia (Vom FC Southampton zum FC Chelsea, 62,1 Millionen Euro)

29 Einsätze in der Premier League - mehr brauchte es nicht, um den FC Liverpool und den FC Chelsea davon zu überzeugen, sich auf einen Wettpoker um Roméo Lavia einzulassen.

Die Liverpooler wollten für den 19-Jährigen, den sie als langfristige Lösung für ihr Problem im defensiven Mittelfeld ansahen, nicht mehr als 50 Millionen Euro ausgeben. Southampton forderte jedoch 64 Millionen Euro - eigentlich ein Irrsinn.

Also wollte der LFC Moisés Caicedo von Brighton, bot 129 Millionen Euro - doch der FC Chelsea kam, überbot ihn und sicherte sich den Ecuadorianer.

So kam Liverpool wieder auf Lavia zurück und bot panisch 62 Millionen Euro. Doch auch der Belgier wollte lieber zum FC Chelsea.

Aber Liverpool lag ursprünglich richtig: Dieser 19-Jährige ist nicht im Ansatz mehr als 50 Millionen Euro wert. Mit Southampton kassierte er 73 Gegentore und stieg ab.

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Rasmus Höjlund (Von Atalanta Bergamo zu Manchester United, 75 Millionen Euro)

Viele dänische Trainer und Experten, die die Karriere von Rasmus Höjlund seit seinem Profidebüt im Alter von 17 Jahren genau verfolgt haben, waren erstaunt über die Entscheidung von Manchester United: Die Engländer zahlten 75 Millionen Euro für den Stürmer, zehn Millionen Euro an Boni könnten noch dazukommen. Erst vor 18 Monaten war der Däne noch zwei Millionen Euro wert gewesen, als er von Kopenhagen zu Sturm Graz nach Österreich ging.

Höjlund hat sich seither natürlich enorm verbessert. Fans der Serie A werden bestätigen, dass der 20-Jährige in der vergangenen Saison bei Atalanta vielversprechend gut war - und trotzdem "nur" neun Ligatore erzielte. Für einen so jungen Spieler ist das zwar eine ordentliche Leistung, aber keineswegs ein Hinweis darauf, dass Höjlund der neue Erling Haaland ist. Seinen zum Verwechseln ähnlich klingenden, skandinavischen Stürmer-Kollegen von Stadt-Rivale Manchester City soll er aber eigentlich Konkurrenz machen, wenn es um die Premier-League-Torkrone geht.

Erschwerend kommt hinzu, dass es bereits Gerüchte über eine ernstere Verletzung gibt, als zunächst berichtet wurde. Auch wegen der unfassbar hohen Ablöse steht er nun unter Beobachtung.

Er hat eindeutig das Zeug zu einer erstklassigen Nummer 9. Er glänzt bereits für Dänemark auf internationalem Parkett. Aber die Ablösesumme ist unverschämt hoch und derzeit nicht gerechtfertigt.

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Declan Rice (Von West Ham United zum FC Arsenal, 116,6 Millionen Euro)

Das bestmögliche Beispiel für die "England-Steuer", also überteuerte Engländer. Declan Rice ist ein sehr guter und vielseitiger defensiver Mittelfeldspieler. Das hat er bereits bei der EURO 2021 und in der Premier League bewiesen.

Dass Arsenal ihn wollte, ergibt viel Sinn: Rice ist genau die Art von Spieler, die Mikel Artetas Mittelfeld in der letzten Saison im Titelkampf fehlte.

Allerdings sind die Vergleiche mit Premier-League-Legende Roy Keane, der 1993 für eine britische Rekordsumme zu Manchester United kam, völlig abwegig. Rice, den auch die Bayern unbedingt verpflichten wollten, ist nicht einmal so gut wie Newcastles Sandro Tonali, der für 70 Millionen von AC Milan geholt wurde.

Dass Arsenal eine neunstellige Summe für den 24-Jährigen zahlen musste, sagt alles aus, was man über den verzerrten Wert von englischen Spielern innerhalb der englischen Premier League wissen muss - man kann etwa 25 Prozent ihres wahren Wertes aufschlagen.

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Malcom (Zenit zu Al-Hilal, 60 Millionen Euro)

Eigentlich hätten wir auch einen Artikel mit dem Titel schreiben können: "Überteuerte Transfers nach Saudi-Arabien" und jede einzelne Verpflichtung der Klubs aus der Saudi Pro League hineinpacken können. Der Wechsel von Malcom zu Al-Hilal soll also stellvertretend für die wahnsinnigen Preise hier aufgeführt werden.

Kein europäischer Verein hat auch nur in Erwägung gezogen, solche Ablösesummen und Gehälter für Neymar, Fabinho, Riyad Mahrez und Rúben Neves auszugeben, die nun alle in der Wüste kicken.

Der Deal, der die irrsinnigen Ausgaben des Landes wohl am besten zusammenfasst, ist die Verpflichtung von Malcom durch Al-Hilal für 60 Millionen Euro. Denn der 26-Jährige ist definitiv nicht Weltklasse.

Malcom hat eine gute Saison bei Zenit hinter sich, wo er mit 23 Toren in 27 Spielen ablieferte. In der Vorsaison wurde er zudem in Brasiliens Nationalmannschaft berufen. Doch kein europäisches Top-Team wollte den einstigen Flop des FC Barcelona.

Malcom hat sich bei Al-Hilal gut eingelebt und bei seinem Debüt direkt einen Dreierpack geschnürt. Aber das sagt mehr über das Spielniveau in der saudischen Profiliga und weniger über seinen Marktwert aus.

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Mykhailo Mudryk (Von Schachtjor Donezk zum FC Chelsea, 70 Millionen Euro)

Der FC Arsenal war wütend, als der FC Chelsea den Deal mit Mykhailo Mudryk im Januar-Transferfenster 2023 zunichte machte. Letztlich hat der Nachbar den Gunners damit aber vielleicht sogar einen Gefallen getan.

Mudryk war bei Schachtjor Donezk ein vielversprechender Spieler. Der 'ukrainische Neymar' ist schnell und äußerst geschickt, aber völlig überteuert. Chelsea zahlte tatsächlich eine Ablösesumme von 70 Millionen Euro - 30 weitere können durch Boni noch hinzukommen.

Schließlich war Mudryk keineswegs ein sicherer Stammspieler für die Nationalmannschaft der Ukraine. Für Schachtjor hatte er gerade erst ein paar gute Leistungen in der Champions League gezeigt. Angesichts seiner 65 bisherigen Profi-Einsätze gab es immer noch ernsthafte Zweifel an seinem Abschluss. Diese Befürchtungen haben sich nun an der Stamford Bridge bewahrheitet, Mudryk wartet immer noch auf sein erstes Tor für Chelsea und sitzt die meiste Zeit auf der Bank.

Mit seinen 22 Jahren könnte Mudryk im Westen Londons in Zukunft noch viel erreichen. Aber im Moment zeigt er nur, dass die Einkaufspolitik der Blues mit jungen, nicht gestandenen Spielern inklusive Mega-Langzeitvertrag keinerlei Sinn ergibt.

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Moisés Caicedo (Von Brighton & Hove Albion zum FC Chelsea, 116 Millionen Euro)

Caicedo ist ein enorm vielversprechendes Talent. Der Ecuadorianer ist 21 Jahre alt, hat bereits bei einer Weltmeisterschaft gespielt, dabei ein Tor geschossen und war in der vergangenen PL-Saison maßgeblich dafür verantwortlich, dass sich Brighton zum ersten Mal in seiner Vereinsgeschichte für Europa qualifizierte.

Es war also keine Überraschung, dass Arsenal schon im Januar versuchte, ihn zu verpflichten, und dass Liverpool und Chelsea in diesem Sommer um seine Unterschrift buhlten. Doch die endgültige Ablösesumme ist einfach lächerlich.

Der FC Chelsea kauft die vielversprechendsten und unbekanntesten Spieler der Welt und bindet sie mit langfristigen Verträgen. Die Londoner haben beschlossen, eine Rekordablösesumme für einen Spieler zu zahlen, der gerade einmal 45 Spiele in der höchsten englischen Spielklasse absolviert hat. Und vergessen wir nicht, dass Klopps Liverpool bereit war, das Gleiche zu tun - so verzweifelt ist man dort mittlerweile.

Niemand bestreitet, dass Caicedo ein Weltklassespieler werden könnte, aber er hat noch nicht annähernd bewiesen, dass er konstant ein Top-Spieler ist.

Und das Argument, dass der Markt den Preis diktiert, trifft hier nicht wirklich zu, denn Newcastle hat gerade Tonali, einen italienischen Nationalspieler, der den AC Mailand in der letzten Saison bis ins Halbfinale der Champions League geführt hat, für deutlich weniger geholt.

Letzten Endes ist Chelsea jedoch selbst schuld, weil man den Markt mit dem Kauf von Fernández im Januar aufgebläht haben. Brighton hat sich sicherlich an diesem Preis orientiert.

Boehly & Co. scheint das natürlich nicht zu interessieren. Chelseas Besitzer scheinen bereit zu sein, Transfers um jeden Preis zu tätigen - und mit einer derart wilden Herangehensweise bei der Spielersuche scheint es wenig Chancen zu geben, dass der Transfermarkt wieder zur Ruhe kommt.

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