"Der DHB geht ein großes Wagnis ein"

Christian Prokop löst Dagur Sigurdsson als Bundestrainer ab
© imago

Der Weg der Entscheidungsfindung war nervenaufreibend, doch seit vergangenem Freitag ist es offiziell: Christian Prokop ist neuer Bundestrainer und tritt die Nachfolge von Dagur Sigurdsson an. Der DHB hat gute Gründe für seine Wahl, gleiches gilt für die Kritiker. SPOX sprach mit Welthandballer Daniel Stephan, Stefan Kretzschmar und Leipzigs Geschäftsführer Karsten Günther.

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Als Dagur Sigurdsson nach dem Allstar Game in Leipzig am vergangenen Freitag zum Abschied frenetisch gefeiert wurde, gab er den Staffelstab symbolisch an Christian Prokop weiter. "Komm", rief der Isländer seinem Nachfolger zu, Alt- und Neu-Bundestrainer posierten gemeinsam für ein Foto.

Es war das Ende eines monatelangen Hin und Her. Seit Sigurdsson verkündet hatte, seine Zukunft als Nationaltrainer in Japan zu sehen, war der DHB um Boss Andreas Michelmann und Vizepräsident Bob Hanning um eine zukunftsfähige Lösung bemüht. Prokop oder Markus Baur - das war hier die Frage.

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Die DHB-Granden machten dabei nach Ansicht einiger Experten nicht immer eine glückliche Figur. Die öffentlichen Diskussionen und die daraus entstandene Unruhe hätten beiden Kandidaten sowie deren Klubs geschadet.

"Unsägliche Suche vorbei"

Wer sich mit Leipzigs Geschäftsführer Karsten Günther unterhält, ahnt, wie genervt die Funktionäre der betroffenen Klubs davon waren. "Die monatelangen, teilweise auch unschönen Debatten sind vorbei. Die Entscheidung ist gefallen und nun ist es okay. Ich will jetzt nicht mehr über die Nationalmannschaft sprechen, sondern möchte mich ausschließlich auf unseren Verein konzentrieren", sagte Günther gegenüber SPOX.

Und der 183-malige Nationalspieler Daniel Stephan, der bereits mehrfach das Prozedere kritisiert hatte und dafür von Hanning scharf attackiert worden war, ergänzte: "Ich bin froh, dass die unsägliche Suche nach einem neuen Bundestrainer, die aus meiner Sicht nicht professionell verlaufen ist und auf Kosten des SC DHfK Leipzig und des TVB Stuttgart sowie Markus Baur ging, vorbei ist."

Ist Prokop der richtige Mann?

Nun also Prokop. Der DHB lässt sich den 38-Jährigen, der in Leipzig noch bis 2021 unter Vertrag stand und für fünf Jahre ohne Ausstiegsklausel als Bundestrainer unterschrieben hat, übereinstimmenden Medienberichten zufolge eine Ablöse von rund 500.000 Euro kosten. Eine stolze Summe, die im Handball nicht alltäglich ist.

Doch bringt Prokop auch das nötige Rüstzeug mit, um in die nicht nur wegen dem EM-Titel und Olympia-Bronze riesigen Fußstapfen von Sigurdsson zu treten? Ist er der richtige Mann, um die Nationalmannschaft 2019 zur gemeinsam mit Dänemark ausgerichteten WM und zum von Verbandsseite hochgesteckten Ziel Olympiasieg 2020 in Tokio zu führen?

Die DHB-Funktionäre sind davon überzeugt. Michelmann spricht vom "Wunschkandidaten", Hanning lobt Prokop als "jungen und modernen Trainer, der den Willen zur Entwicklung lebt" und damit zum Potenzial des deutschen Handballs passt.

Prokops Spielerkarriere und die Anfänge als Trainer

Dabei blieb Prokop als Spieler die große Karriere verwehrt. Nach zwei Jahren beim damaligen Zweitligisten Dessauer HV zog es den linken Rückraumspieler in die Bundesliga. Das Abenteuer war allerdings nach einem Jahr beim HC Wuppertal und zwei Jahren bei der GWD Minden schon wieder vorbei.

Der Hauptgrund waren schwere Knieverletzungen. Eine davon zwang den Familienmenschen sogar dazu, von Rechtshänder auf Linkshänder umzusatteln, um das lädierte Knie zu schonen. Fortan konzentrierte sich Prokop deshalb auf seine Trainerlaufbahn, die 2003 mit dem Erwerb der A-Lizenz begann.

Der sechsmalige B-Nationalspieler coachte anschließend Jugendmannschaften bei Eintracht Hildesheim, den MTV Braunschweig in der Regionalliga, die erste Herren-Mannschaft des TSV Hannover-Anderten sowie die zweiten Mannschaften des SC Magdeburg und des SV Post Schwerin.

2012 verpflichtete der Bundesligist TUSEM Essen den Emporkömmling. Nachdem er am Ende der Saison 2013 mit Essen abgestiegen war, wurde der Vertrag in gegenseitigem Einvernehmen aufgelöst.

Durchbruch in Leipzig

Es folgte das Engagement beim SC DHfK Leipzig, das dafür sorgte, dass die Gründe des DHB pro Prokop auf der Hand liegen. Das am 24. Dezember 1978 in Köthen geborene Christkind hat bei den Sachsen herausragende Erfolge vorzuweisen.

Im zweiten Jahr unter seiner Leitung gelang der Aufstieg in die HBL. Nach Platz elf im ersten Bundesliga-Jahr, das Prokop die Auszeichnung als Trainer der Saison bescherte, belegt der Verein in der laufenden Spielzeit Rang acht und steht im Final Four um den DHB-Pokal.

In Leipzig schätzen sie ihren Coach über die Maße, weil er zu den Übungsleitern gehört, die Spieler tatsächlich besser machen können. "Ich habe immer gedacht, dass ich mal ein halber Drittligaspieler werde. Und nun stehe ich im Final Four", sagte Leipzigs Kapitän Lukas Binder auf Prokops Fähigkeiten angesprochen.

"Vergleich mit Sigurdsson hinkt total"

Da Prokop als besessener Analytiker und Taktiker gilt, der für attraktiven Handball und eine detailverliebte Spielvorbereitung steht, wurden bereits mehrfach Gemeinsamkeiten mit seinem Vorgänger als Bundestrainer hervorgehoben. Doch das geht zu weit.

"Ich habe gelesen, dass man Prokop mit Sigurdsson vergleicht. Dieser Vergleich hinkt total. Sigurdsson war vor seiner Zeit als Bundestrainer bereits mehrere Jahre lang in der Bundesliga bei den Füchsen Berlin Coach, hatte zuvor die österreichische Nationalmannschaft unter anderem bei der EM im eigenen Land betreut. Da kann die Vita von Prokop nicht mithalten", findet Stephan.

"Ich wünsche ihm viel Glück und gratuliere ihm herzlich. Die Nationalmannschaft zu trainieren, ist etwas ganz Großes. Er hat in Leipzig sensationelle Arbeit geleistet. Und ich glaube auch, dass er ein Typ ist. Man muss ihm eine faire Chance geben", sagte der Welthandballer von 1998 weiter, fügte aber hinzu: "Trotzdem sehe ich in seiner Verpflichtung auch ein großes Risiko. Prokop hat keinerlei internationale Erfahrung - weder als Spieler noch als Trainer. Der DHB geht ein großes Wagnis ein, das man nicht unterschätzen darf."

Auch Stefan Kretzschmar räumte ein, dass man "das Argument der mangelnden Erfahrung auf internationalem Niveau" natürlich anbringen könne. Die Zweifler seien keine Überraschung, da es den perfekten Bundestrainer ohnehin nicht gebe: "Aber ich kenne ihn aus Leipzig. Er erledigt seine Arbeit tadellos, ist eines der größten Trainer-Talente überhaupt. Jetzt wird er ins kalte Wasser geworfen. Ich hoffe sehr, dass er es schafft und traue ihm das auch absolut zu."

Prokop selbstbewusst

Genau das macht auch Prokop selbst. "Ich bin immerhin schon im zwölften Jahr Trainer", entgegnet der Neu-Bundestrainer den Zweiflern: "Unsere Nationalmannschaft ist mit großen Zielen unterwegs. Ich freue mich darauf, diesen Weg mitgestalten zu können. Die WM 2019 und die Olympischen Spiele 2020 sind herausragende Ereignisse, die jeden Spieler und Trainer in ihren Bann ziehen. In den kommenden Monaten gehört jedoch meine gesamte Kraft dem SC DHfK Leipzig."

Offizieller Dienstbeginn beim DHB ist nämlich erst der 1. Juli. Prokop wird das Nationalteam allerdings bereits am 6. Mai erstmals trainieren, wenn das erste Qualifikationsspiel zur EM 2018 in Kroatien gegen Slowenien auf dem Programm steht.

Dann wird es für Prokop ernst. Handball-Deutschland wird genau hinschauen, im positiven Sinne. "Letztlich geht es um den deutschen Handball", sagte Stephan: "Und es ist im Interesse aller, dass Christian Prokop mit der Nationalmannschaft Erfolg hat. Natürlich kann die Sache gut gehen. Auch wenn ich skeptisch bin, drücke ich ihm ganz fest die Daumen."

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