Kraus überraschend freigesprochen

SID
Michael Kraus ist von seiner Sperre freigesprochen worden
© getty

Eine stumme Türklingel hat den "liebenswerten Chaoten" Michael Kraus vor dem möglichen Ende seiner Handball-Karriere bewahrt. Der 30 Jahre alte Weltmeister von 2007 ist am Donnerstag nach seinem Verstoß gegen die Anti-Doping-Richtlinien überraschend freigesprochen worden.

Cookie-Einstellungen

"Beim Kontrollversäumnis am 20. November 2013 ist Michael Kraus kein Verschulden nachzuweisen. Damit gibt es keine Grundlage für eine Sperre", sagte Anja Matthies, DHB-Vizepräsidentin Recht und Vorsitzende der Anti-Doping-Kommission, die Kraus am Donnerstag freisprach.

Das Gremium folgte im Grundsatz der Argumentation des Nationalspielers von Frisch Auf Göppingen und dessen Freundin. Das Paar hatte bei einer Anhörung am Mittwoch in Hamburg angegeben, es habe bei einem der drei fraglichen Besuche eines Dopingkontrolleurs kein Schellen an der Eingangstür vernommen.

Die Entscheidung des fünfköpfigen Gremiums fiel einstimmig. Damit ist die am 21. Juli verhängte vorläufige Suspendierung des Nationalspielers aufgehoben. Kraus ist schon am Freitag im Spiel bei Aufsteiger TSG Friesenheim wieder spielberechtigt und könnte vom neuen Bundestrainer Dagur Sigurdsson auch für die Weltmeisterschaft in Katar (15. Januar bis 1. Februar) nominiert werden. Für eine Stellungnahme war Kraus zunächst nicht zu erreichen.

NADA kann Einspruch einlegen

Kraus hatte wegen seiner drei verpassten Tests im Extremfall eine Zweijahressperre fürchten müssen - ob der Routinier selbst nach einer kürzeren Auszeit noch einmal auf höchsten Niveau zurückgekehrt wäre, ist fraglich.

Die NADA kann Einspruch gegen das Urteil des DHB einlegen. In nächster Instanz müsste das deutsche Sport-Schiedsgericht über den Fall entscheiden, danach bliebe noch der Weg vor den Internationalen Sportgerichtshof CAS. Die NADA will nun die Urteilsbegründung abwarten, "um diese in Zusammenarbeit mit der WADA eingehend zu prüfen und dann entscheiden, ob weitere Schritte eingeleitet werden", sagte NADA-Vorstand Lars Mortsiefer dem "SID".

Klingel offenbar defekt

Am 20. November 2013 hatte ein NADA-Kontrolleur Kraus nicht an seiner im Meldesystem ADAMS angegebenen Adresse angetroffen. Drei dieser so genannten "Strikes" hatten zur vorläufigen Suspendierung des Spielmachers geführt. Allerdings habe auch der am Donnerstag als Zeuge gehörte Kontrolleur in der Verhandlung nicht ausschließen können, dass die Klingel defekt gewesen war, teilte der DHB mit. Der Kontrolleur habe ebenso wenig wie Kraus' Lebensgefährtin ein Klingelzeichen wahrgenommen. Zudem hätten die "Gesamtumstände wie der Reihenhaus-Neubau mit zahlreichen noch laufenden Installationsarbeiten" für Kraus gesprochen, hieß es. Angesichts dieser Sachlage könne man "Kraus kein Versäumnis vorwerfen".

Als entlastend wurde zudem gewertet, dass sämtliche 24 Dopingtests, denen sich Kraus seit 2008 unterzogen hatte, negativ ausgefallen waren.

Hanning fordert "Fingerspitzengefühl"

DHB-Vizepräsident Bob Hanning hatte im Vorfeld "Fingerspitzengefühl" bei der Entscheidung im Fall Kraus gefordert - weil es sich um eine Pflichtverletzung gehandelt habe, er aber nie positiv getestet worden sei. "Ich kann nur appellieren, mit Augenmaß zu entscheiden und Schusseligkeit nicht mit dem Ende einer Karriere in Verbindung zu bringen", hatte Hanning nach der Suspendierung gesagt: "Er weiß, dass er an sich arbeiten muss. Mimi ist ein liebenswerter Chaot, der die Sachen aber in den Griff kriegen muss."

Kraus gilt in der Szene schon lange als schlampiges Genie. Der ehemalige "Bravo Boy" machte neben glänzenden Auftritten immer wieder auch mit Verletzungen, Formkrisen und Disziplinlosigkeiten Schlagzeilen - Kraus hat viele Höhen und noch mehr Tiefen hinter sich. Dem rasanten Aufstieg bis hin zum WM-Titel 2007 folgte der sportliche Absturz. Im April durfte Kraus nach drei Jahren erstmals wieder für die Nationalmannschaft auflaufen. Nicht ausgeschlossen, dass nun auch Sigurdsson auf ihn baut.

Zuletzt war auch Volleyball-Nationalspieler Philipp Collin wegen eines ähnlichen Vergehens vom Deutschen Volleyball-Verband (DVV) suspendiert worden. Der 23 Jahre alte Mittelblocker ist schlechter dran als Kraus: Er verpasst definitiv die am Samstag beginnende WM in Polen.

Alle Infos zu Michael Kraus

Artikel und Videos zum Thema