Es kann nur episch werden

Bogdan Radivojevic (l.) konnte nach dem Sieg gegen Barcelona sein Glück kaum fassen
© getty

Erleben wir den vierten Champions-League-Sieg des THW Kiel? Oder den ersten der SG Flensburg-Handewitt? Trotz des Mega-Comebacks der Flensburger gegen Barca scheint Kiel im Vorteil. Beide Coaches müssen vor dem Finale (18 Uhr im LIVE-TICKER) einige Fragen beantworten.

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Als SPOX Ljubomir Vranjes nach dem Halbfinal-Wahnsinn von Köln in den Katakomben der Lanxess-Arena begegnete und ihm noch einmal ein "Gratuliere! Ihr macht mich wahnsinnig!" zurief, antwortete Flensburgs Coach nur mit einem verschmitzten Lächeln. Mein Gott, war diesem Trainer der Stolz auf seine Jungs anzusehen.

"Ich bin so stolz auf meine Spieler. Ich habe ihnen die ganze Zeit vertraut, auch weil ich solche Situationen schon selbst erlebt habe. 2000 habe ich so etwas Ähnliches mal mit Schweden in Kroatien erlebt. Ich möchte aber vor allem auch dem Publikum danken, das uns so nach vorne gepusht hat, dass wir Dinge geschafft haben, die ich nie für möglich gehalten hätte", sagte Vranjes. Nicht nur er hätte sie für unmöglich gehalten.

Unkonventionelle Maßnahmen

Denn was machte dieser verrückte Trainer in Halbzeit zwei, als das Spiel so gut wie verloren war. Maßnahme Nummer 1: Er stellte Sören Rasmussen für Mattias Andersson in den Kasten. Das ist noch nichts Außergewöhnliches. Aber Coaching-Move Nummer 2 war es dann sehr wohl: Vranjes ersetzte seine Star-Außen Anders Eggert und Lasse Svan durch Hampus Wanne, einen 20-jährigen Schweden, und Bogdan Radivojevic, einen 21-jährigen Serben.

Zwei absolute Rookies kamen in die Partie und sollten in der Folge fast schon auf wundersame Weise entscheidenden Anteil am Comeback haben. "Man lebt nur einmal. Ich habe schon davor Leute gehört, die meinten, dass ich verrückt bin. Aber ich musste einfach frischen Speed ins Spiel bringen. Ich habe Hampus gesagt, dass es nur eine Sache gibt, die er machen soll: rennen. Das hat er gemacht", so Vranjes.

Wanne rannte aber nicht nur, er traf auch. Viermal warf er aufs Tor, viermal war der Ball drin. Nur mal so: Wanne kam vor der Saison aus der zweiten schwedischen Liga und erzielte in seiner ersten HBL-Saison insgesamt 13 Tore. Jetzt waren es lockere vier im CL-Halbfinale gegen Barca. Später folgte der entscheidende 7-Meter im Shootout.

"Als mir der Coach sagte, dass ich den letzten 7-Meter werfe, ahnte ich, dass es ein entscheidender Wurf wird. Aber ich habe mich gut gefühlt und bin ruhig geblieben", meinte Wanne zu seiner Heldentat.

Ein magischer Tag

Aber es war ja nur eine von vielen Heldentaten, die Flensburger Spieler an diesem magischen Tag in Köln vollbrachten. Da war ja auch noch ein Holger Glandorf, der Ende der regulären Spielzeit den sensationellen Ausgleich warf und damit den 6:0-Run der SG in den letzten acht Minuten abschloss. Übrigens tat dies der Linkshänder aus dem linken Rückraum heraus, wie oft hat er das je gemacht?

Glandorf war auf der Platte völlig on fire, hatte sich relativ kurze Zeit nach Spielende aber schon wieder in den normalen Glandorf-Modus zurückgefahren und ließ sich aufs Finale angesprochen zu gewagten Prognosen hinreißen. "Beide Mannschaften werden alles geben. Beide Mannschaften werden fighten." Da könnte er Recht haben.

Deutscher Showdown im Finale

Es gibt so einige interessante Fragen vor dem deutsch-deutschen-Showdown. Die wichtigste: Schaffen es die Flensburger, die selbstredend wieder als Underdog ins Spiel gehen werden, die Batterien innerhalb von so kurzer Zeit wieder aufzuladen?

Können Glandorf und Steffen Weinhold ihre famosen Leistungen wiederholen? Was ist mit dem gegen Barca wenig berauschenden linken Rückraum mit Drasko Nenadic und Jim Gottfridsson? Beginnt Vranjes im Tor vielleicht mit Rasmussen, weil der gegen Barca wie ein Irrer (O-Ton Victor Tomas) Bälle gehalten hat?

Aber auch Vranjes' Gegenüber Alfred Gislason muss sich ähnliche Gedanken machen. An Andreas Palicka gibt es nach dessen überragender Performance gegen Veszprem im Tor eigentlich kein Vorbeikommen.

Gislason hatte noch eines gemeinsam mit Vranjes: den Stolz auf seine Mannschaft. "Ich kann kaum beschreiben, wie stolz ich bin, weil meine Spieler trotz vieler Probleme in den letzten Wochen alles gegeben haben, was nur möglich war", sagte Gislason nach dem Halbfinale.

Kiel unter Druck

Klar ist, dass sich die Situation für den THW durch den Flensburger Sieg komplett verändert hat. Gegen Barca wäre Kiel Außenseiter gewesen, gegen die SG sind Filip Jicha und Co. der große Favorit. Der Gedanke: Jetzt muss es der THW im Normalfall gewinnen, zumal Kiel ja bekanntermaßen immer Finals gegen Flensburg gewinnt und Flensburg grundsätzlich in den letzten Jahren Finals verliert.

Es spricht aus der Vernunft heraus viel für den THW, aber wer Handball generell und besonders die letzten Wochen verfolgt hat, der weiß: Kein Mensch hat eine wirkliche Ahnung, was der Finalsonntag in Köln für uns bereithalten wird. Eine Woche nach dem unfassbarsten HBL-Finale aller Zeiten gab es das wohl unfassbarste CL-Halbfinale aller Zeiten. Alles andere als ein episches Finale wäre deshalb jetzt eine große Überraschung. So wie das alles läuft, gewinnt es wahrscheinlich Flensburg...

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