Julian Green breitete die Arme aus und gab einen Schrei von sich, den jeder der 38.200 Zuschauer in der Stuttgarter Mercedes-Benz-Arena gehört haben dürfte. Kurz zuvor hatte der US-Boy das 2:0 für den VfB gegen Fortuna Düsseldorf erzielt, indem er eine Flanke von Anto Grgic mit dem linken Fuß Volley nahm und den Ball ins lange Eck zimmerte. Der Sieg bedeutete den Sprung an die Tabellenspitze, wo die Stuttgarter auch bis Ende der Saison bleiben wollen.
"Druck bin ich gewohnt, das gehört einfach dazu. Dass es so schnell mit dem Tor geklappt hat, freut mich und hilft mir natürlich auch", kommentierte er seinen ersten Treffer, nachdem er im Winter vom FC Bayern nach Schwaben gewechselt war, gegenüber dem kicker. Er habe trotz seines jungen Alters schon eine Menge erlebt, unter Welttrainern wie Pep Guardiola oder Carlo Ancelotti trainiert, beim Hamburger SV den Abstiegskampf kennengelernt und mit der amerikanischen Nationalmannschaft an der WM 2014 teilgenommen.
Obwohl sich all das nach einem nahezu perfekten Karriereverlauf für einen jungen Profi anhört, war in Wirklichkeit nicht alles so rosarot wie Green es schildert. Mit 14 Jahren kam er in die Jugend der Bayern, durchlief sämtliche U-Mannschaften und wurde vier Jahre später schließlich mit einem Profivertrag ausgestattet. So weit, so makellos.
Sein Champions-League-Debüt gegen ZSKA Moskau im November 2013 machte ihm Hoffnung auf weitere Einsätze in der ersten Mannschaft. Doch die bekam er nicht. Statt in ausverkauften Bundesliga-Arenen aufzulaufen, kämpfte sich Green über die Regionalliga-Sportplätze Bayerns.
Tor-Debüt in Brasilien
Besser lief es bei der Nationalmannschaft. Jürgen Klinsmann berief ihn 2014 erstmals ins A-Team der USA. Seitdem traf er in acht Spielen drei Mal. Sein Premierentor erzielte er beim 1:2 im WM-Achtelfinale gegen Belgien. Dazu habe Guardiola ihm gratuliert: "Ich glaube, er zählt jetzt voll auf mich". Doch der Coach zählte nicht auf ihn.
Deshalb passte es gut, dass Mirko Slomka, zu dieser Zeit HSV-Trainer, den Offensiv-Allrounder als seinen "Wunschspieler" nach Hamburg holen wollte. Green bekam von Guardiola grünes Licht und schloss sich den Rothosen an.
Eine Woche später wurde Slomka entlassen und Joe Zinnbauer als neuer Coach vorgestellt - und das Unheil nahm seinen Lauf. In der ganzen Spielzeit 2014/15 kam Green auf genau fünf Liga-Einsätze. Die Bilanz: kein Tor, eine Gelbe Karte und eine Rippenprellung. Warum er in der Planung von Zinnbauer keine Rolle spielte, kann er sich nicht erklären: "Der Trainer hat nicht mit mir gesprochen. Weder in der Hinrunde noch im Trainingslager. Im Vorbereitungsspiel habe ich 15 Minuten gespielt. Er hat mich bei der Einwechslung noch nicht mal angeguckt, kein Wort gesagt, gab mir das Gefühl, mich nicht wahrzunehmen."
In der Winterpause soll ihm Sportchef Peter Knäbel einen Wechsel zu 1860 München vorgeschlagen haben. Green lehnte ab. Auch das Angebot, in der Reserve des HSV aufzulaufen, schlug er aus. Als Knäbel dieses Thema in einem Interview ansprach, prasselte von allen Seiten Kritik auf den Ex-Bayer ein. Die Rede war von "Null-Bock-Green" oder "dem Verweigerer aus München" - das Image des verzogenen Stars war gezeichnet.
"Ich habe das nicht unterschrieben"
Diesen Ruf wollte er nicht weiter mit sich herumtragen und setzte sich auf Facebook zur Wehr: "Ich möchte doch für den HSV spielen, habe den Einsatz nur abgelehnt, weil ich nicht verstanden habe, was ich falsch gemacht haben soll. Ich habe immer mein Bestes im Training gegeben und wurde selten aufgefordert, etwas anders zu machen." Mit ihm habe weder der Trainer noch der Sportdirektor gesprochen.
Es folgte eine Entschuldigung seitens des Vereins. Außerdem wolle man die Kommunikation verbessern. Also kam es zu einem Treffen zwischen Spieler, Trainer und Sportvorstand. Dabei sei ihm ein Zettel vorgelegt worden, auf dem "Abmahnung [stand], und es stand dort, wenn ich noch einmal aufgefordert würde, in der zweiten Mannschaft zu spielen, dann müsse ich das machen, weil ich verpflichtet sei. Ich habe das nicht unterschrieben, aber meine Meinung gesagt."
Schließlich endete das Missverständnis zwischen Green und dem Hamburger SV nach einem Jahr. Zurück beim Rekordmeister, formulierte er deutliche Ziele. Er wolle trotz der prominenten Konkurrenz angreifen und sich im zweiten Anlauf endlich durchsetzen. "Eine weitere Leihe oder gar ein Transfer stehen außer Frage", ließ die Agentur seines Beraters verlauten.
Und das, obwohl Karl-Heinz Rummenigge mehr oder weniger offen sagte, dass er beim FCB so schnell keine Rolle spielen werde: "Ich denke nicht, dass er direkt hier bei den Bayern bleiben wird. Er benötigt vielleicht noch ein Jahr irgendwo bei einem anderen Klub, in Deutschland oder England. Um seine Qualitäten zu zeigen und zu merken, dass er Qualitäten hat."
Neuzugänge mit Perspektive
Bayerns Vorstandsvorsitzender sollte Recht behalten. Bis auf einen Kurzeinsatz gegen Dinamo Zagreb in der Champions League gehörte Green nicht ein Mal dem Profi-Kader an. Es war das altbekannte Lied: TSV Buchbach und SV Schalding-Heining statt Borussia Dortmund oder Bayer Leverkusen. Daran änderte sich auch unter Carlo Ancelotti nichts, der ihn nur zwei Mal im DFB-Pokal ran ließ.
Im Winter beendete Green schließlich das Kapitel FC Bayern, ohne ein Ligaspiel für den Rekordmeister bestritten zu haben, und wechselte für rund 300.000 Euro zum VfB Stuttgart. Dieser dritte Bildungsweg soll das so lang ersehnte Glück für den 21-Jährigen bringen.
Ähnlich sieht es auch VfB-Trainer Hannes Wolf, der mit den Winterneuzugängen (Green, Josip Brekalo, Ebenezer Ofori und Jerome Onguene) perspektivisch plant und langfristige Erfolge erzielen will. Ziel Nummer eins ist der direkte Wiederaufstieg in die Beletage. Dabei soll die aktuell stärkste Offensive (mit Hannover 96) der Liga um Simon Terodde Trumpf sein.
Konkurrenzkampf in der Offensive
Positiv ist für den Trainer auch, dass Daniel Ginczek nach langer Verletzungspause wieder zur Verfügung steht und Tobias Werner in einem Testspiel sein Comeback gegeben hat. Außerdem trägt auch Josip Brekalo, der auf der linken Außenbahn zu Hause ist, seit Winter den roten Brustring. Der Konkurrenzkampf ist Green also gewiss.
Während er bei den Bayern-Amateuren überall in der Offensive zum Einsatz kam, bekleidete Green in den fünf Spielen für seinen neuen Verein die Position des Linksaußen. Mit seiner Geschwindigkeit (gegen Sandhausen bis zu 31,90 km/h) belebte er das Spiel der Schwaben. Zudem kommt er auf eine für einen Offensivspieler starke Passquote von 85 Prozent.
Natürlich hat er auch Defizite, die es zu beseitigen gilt. Seine bisherigen Auftritte offenbarten Mängel in der Defensive. Seine Zweikampfquote liegt bei 39,5 Prozent. Vor allem in der Luft ist er häufig nur zweiter Sieger, gewinnt im Schnitt nur einen von drei Luftzweikämpfen.
Doch selbstbewusst, wie Green ist, wird er diese Situation meistern können. Schließlich kann er mit Druck umgehen.
Julian Green im Steckbrief