"Und jetzt ist es da! Oliver Neuville! Und das ist hochverdient fürs deutsche Team! In der ersten Minute der Nachspielzeit - und hier spielen sich unglaubliche Szenen ab, unten auf der deutschen Bank, oben auf den Rängen! Die beiden Eingewechselten entscheiden das Spiel!"
Es ist diese eine Szene, die sich David Odonkor selbst immer wieder im Internet ansieht. Und es ist diese eine Szene, mit der Fußball-Deutschland David Odonkor verbindet. Der 14. Juni 2006, dieser Last-Minute-Sieg im WM-Gruppenspiel gegen Polen, Odonkors Hereingabe auf Neuville, die "ARD"-Mann Steffen Simon und das Dortmunder Stadion in Ekstase treibt: Es ist der absolute Höhepunkt in der noch jungen Karriere des damals 22-Jährigen und der emotionale Startschuss des Sommermärchens.
Fünfeinhalb Jahre später findet sich der gebürtige Bünder in der 2. Liga bei Alemannia Aachen wieder. Odonkor steht vor dem Wiederanpfiff seiner Karriere. Alles auf Anfang. Doch wie kam es dazu?
Kein Platz mehr beim BVB
Der leise Abstieg beginnt mit dem Wechsel nach Spanien. Odonkor hat bei Borussia Dortmund nach der WM seinen Stammplatz nicht mehr sicher. Trainer Bert van Marwijk setzt in der neuen Spielzeit auf eine 4-4-2-Systematik, Alexander Frei und Nelson Valdez werden verpflichtet. Für den Rechtsaußen Odonkor, der sich in der Vorsaison erst durch seine insgesamt 229 Flugbälle auf die Nominierten-Liste von Bundestrainer Jürgen Klinsmann geflankt hatte, ist plötzlich kein Platz mehr.
Die Situation ruft kurz nach dem kontinentalen Schaulaufen selbstredend Interessenten auf den Plan und so dauert es nicht lange, bis der spanische Erstligist Real Betis anklopft. Geld, Sonne und eine der stärksten Ligen Europas - all das klingt verlockend für einen jungen Fußballer, der sich für den nächsten Schritt in seiner Karriere gewappnet wähnt.
Neues Leben in Spanien
So unterzeichnet Odonkor einen Fünfjahresvertrag. Der BVB bekommt eine Ablöse von 6,5 Millionen Euro - aus damaliger Sicht ein wirtschaftlich außerordentlich gelungener Deal. Sportlich ist es für Odonkor eine neue Herausforderung, menschlich für ihn und seine damals 19-jährige Verlobte Suzan Barka die Entscheidung für ein neues Leben.
Doch das Abenteuer Ausland entpuppt sich schnell als entscheidender Karriere-Knick. Schon der Start im Verein verläuft für den Neuzugang alles andere als glatt, von einem Stammplatz ist er zunächst weit entfernt.
Nicht einfach für einen aufstrebenden WM-Dritten, zumal sich der Familienmensch Odonkor in der neuen Umgebung ohne Spanischkenntnisse und Kumpels aus der Heimat nur schwer einlebt. Seitens des Klubs gibt es kaum Unterstützung. Doch im November 2006 wird all das auf einmal relativ.
November 2006: ein schwarzer Monat
Suzan erleidet eine Fehlgeburt, im dritten Monat. Wenige Tage später wird bei Odonkor eine Knorpelabsplitterung im rechten Knie diagnostiziert. Es folgt die erste von insgesamt fünf Knie-Operationen. Der Flügelflitzer rutscht aufs Abstellgleis.
Einzig in der Saison 2007/2008 schafft es Odonkor auf immerhin 20 Einsätze in der Primera Division. Mehr ist in den übrigen Spielzeiten nicht drin. Sein letztes Vertragsjahr verbringt er, ohne eine einzige Minute auf dem Rasen gestanden zu haben. Den Wiederaufstieg in die erste spanische Liga erlebt er nur von der Tribüne aus.
Dies alles bei 18,6 Grad Celsius Jahresdurchschnittstemperatur und einem üppigen Nettogehalt. "Verloren im Paradies" titelt der "Stern" im Sommer 2009 und beschreibt damit nur allzu trefflich, wie es dem ehemaligen Dortmunder im Exil ergeht.
Über Dornberg nach Aachen
Schon damals spricht Odonkor offen über Heimweh und den Wunsch, in die Bundesliga zurückzukehren. Von seinem Berater Kon Schramm, der den Betis-Deal eingefädelt hatte, trennt sich Odonkor. Sein neuer enger Vertrauter wird Cristobal Guzman.
Und tatsächlich: Guzman bringt seinen Schützling im Sommer 2011 zurück ins deutsche Profi-Geschäft - allerdings über Umwege und nicht direkt ins Oberhaus. Kleinere Brötchen backen heißt die Devise: "Die 2. Liga ist kein Problem, das ist auch eine starke Liga", nährt Odonkor nach Ablauf seiner Vertragslaufzeit bei Betis Transfergerüchte. Spekulationen ranken sich um einen Wechsel zum Karlsruher SC. Doch ein Vertrag kommt nicht zustande.
Stattdessen arbeitet der mittlerweile 27-Jährige beim Fünftligisten Dornberg an seiner Fitness. Kurzzeitig bietet sich Odonkor bei den Glasgow Rangers an, mehr als ein Probetraining springt dabei aber nicht heraus.
Meijer: "Für uns war es ein beschränktes Risiko"
Am 6. September stellt Alemannia Aachen dann offiziell den wohl prominentesten Neuzugang der vergangenen Jahre vor. Es soll ein Neuanfang werden, das Kapitel Ausland ist ad acta gelegt: "Wenn man schlechte Erfahrungen gemacht hat, dann will man wieder zurück in die Heimat", sagt Odonkor auf der Pressekonferenz.
Für die Aachener kommt der Rückkehrer wie gerufen, nachdem der Saisonstart mächtig in die Hose gegangen war. Gegenüber SPOX erklärt Sportdirektor Erik Meijer, aus welchen Gründen man Odonkor zurück ins Geschäft holte: "Spieltaktisch gesehen haben wir nach einem schnellen Mann für die Offensive gesucht, der Benny Auer mit Flanken füttern kann. So wie Zoltan Stieber im Vorjahr. David war frei und hat sich in seinem Dorfverein fit gehalten. Peter Hyballa hat mich angehauen und gefragt, ob wir es nicht mit ihm versuchen sollen. Am nächsten Tag stand er bei uns auf dem Trainingsplatz. Sein Wille, sich zu beweisen, ist noch immer enorm. Für uns war es ein beschränktes Risiko."
Zukunft völlig offen
Nach einem halben Jahr am Tivoli fällt das Resümee bestenfalls dürftig aus: In zwölf Spielen stand Odonkor nur ein einziges Mal über die volle Distanz auf dem Platz, ein Tor und eine Vorlage steuerte er zum dezenten Mini-Aufschwung der Alemannia bei.
Den Neuanfang in Aachen jedoch bereits für gescheitert zu erklären, wäre zu voreilig. Odonkors Vertrag ist bis zum Saisonende befristet. Was nächsten Sommer kommt, wenn das DFB-Team wieder ein großes Turnier spielt, lässt er bewusst offen. Langfristiges Denken ist tabu. "Die vergangenen fünf Jahre waren eine Katastrophe für mich", sagt er, der nur noch "von Woche zu Woche" denken möchte. Das hat ihn die Vergangenheit gelehrt.
Alemannia Aachen: Der Kader in der Übersicht