Thiago Silva war die Mischung aus Wut und Verzweiflung deutlich ins Gesicht geschrieben. "Es ist eine Schande. Es ist schwer, solche Eindrücke zu ertragen", kommentierte der sichtlich mitgenommene Kapitän der brasilianischen Fußball-Nationalmannschaft das erschütternde Ausmaß an Rassismus, das der Rekordweltmeister in Paris erdulden musste: "Es passiert immer wieder. Es sieht leider danach aus, dass wir die Einstellung dieser Menschen nicht verändern können."
Diese "Menschen" auf den Rängen sorgten dafür, dass der starke Auftritt der Selecao beim 5:1 (4:1) gegen WM-Teilnehmer Tunesien im Parc des Princes zur Nebensache degradiert wurde. Die Tiefpunkte des Trauerspiels waren ein Bananenwurf in Richtung von Torschütze Richarlison, ein regelrechter Regen von Wurfgeschossen beim Treffer Pedros zum Endstand, ständige Laserpointer-Attacken und das Ausbuhen der brasilianischen Hymne.
Es schien fast so, als habe das Zeichen der brasilianischen Spieler gegen Rassismus den Mob erst so richtig aufgestachelt. "Ohne unsere schwarzen Spieler hätten wir keine Sterne auf unserem Trikot", war auf dem Banner zu lesen, das die Profis des fünfmaligen WM-Champions vor dem Anpfiff präsentiert hatten - offensichtlich vergebens.
Zurück ließen die Vorfälle beim letzten Testspiel der Brasilianer vor der WM-Endrunde in Katar (20. November bis 18. Dezember) einen schockierten Spielführer. "Hoffentlich verstehen diese Leute irgendwann, dass es so nicht funktioniert", sagte Thiago Silva: "Das ist die Vergangenheit, es braucht eine Veränderung. Hoffentlich erkennt die Öffentlichkeit, dass diese Dinge inakzeptabel sind."
Das erwartet auch der brasilianische Verband CBF, der "eine weitere Episode von Rassismus im Fußball" beklagte. Nationaltrainer Tite konnte kaum glauben, was ihm und seinen Schützlingen widerfuhr. "Ich war verwirrt", gab der Coach zu Protokoll: "Ich dachte zunächst, es ist nur ein Mangel an Respekt. Fußball ist doch ein Sport für alle."
Daran kann Richarlison mittlerweile nicht mehr glauben. Der Stürmer des englischen Topklubs Tottenham Hotspur hat genug von Worthülsen und fordert ein rigoroses Vorgehen der Verbände. "So lange sie nur 'blah blah blah' machen und keine Strafen verhängen, wird es genauso weitergehen - jeden Tag, überall", twitterte der 25-Jährige.
Immerhin sieht es derzeit danach aus, dass die Brasilianer ihre Antwort in Katar auf dem Platz geben können. Sieben Siege in Folge und insgesamt 15 Partien ohne Niederlage machen Neymar und Kollegen zu einem heißen Titelanwärter.