"kicker meets DAZN - Der Fußball Podcast" - Ewald Lienen: Investoren "bringen alle anderen in die Krise"

Von SPOX
Ewald Lienen fordert eine Gehaltsobergrenze für Fußballer.
© DAZN

Ewald Lienen hat in der neuen Ausgabe des "kicker meets DAZN"-Podcast die Höhe der Spielergehälter im Fußball kritisiert und sieht in der Premier League ein Negativbeispiel. Der Einstieg von Investoren stellt für ihn einen Grund für die finanziellen Probleme kleinerer Vereine dar.

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Außerdem sprach der 66-jährige, der momentan als Technischer Direktor für den FC St. Pauli arbeitet, über die Auswirkungen der Corona-Krise auf seinen Verein.

Von der Bevölkerung fordert er in den aktuellen Zeiten ein vernünftiges Verhalten: "Ich kann nur darauf hoffen, dass sich alle Menschen in den kommenden Wochen und vielleicht auch zwei, drei Monate daran halten, die Ausbreitung dieses Virus so einzudämmen, dass wir irgendwann mal wieder ganz normal unseren täglichen Verpflichtungen nachgehen können."

Ewald Lienen über ...

... seine momentane Situation: "Ich bin wie alle ans Home Office gefesselt und befinde mich in Mönchengladbach bei meiner Familie. Dort war ich für einen Vortrag, bin dann krank geworden und nicht mehr weggekommen. Das liegt auch daran, dass Mönchengladbach in der Nähe von Heinsberg (einem Epizentrum der Corona-Pandemie, Anm. d. Red.) liegt. Wäre ich zurückgereist, hätte ich sowieso in Quarantäne gemusst."

... das aktuelle Arbeiten für St. Pauli: "Wir sind permanent im Gespräch, machen Video-Konferenzen. Ich habe vorher auch schon viel vom Home Office aus gearbeitet, Besuche von Arbeitspartnern brechen für mich auch weg, aber konzeptionell kann ich arbeiten und viele Dinge von zuhause aus machen."

... der Umgang von St. Pauli mit der Lage: "Die Jungs sind alle nach Hause geschickt und mit individuellen Trainingsplänen versorgt worden. Teilweise werden Spinning-Räder zu ihnen transportiert, damit sie sich fit halten können. Alleine joggen gehen kann man ja auch noch. Was natürlich nicht geht, sind gemeinsame Trainingsarbeiten."

... die Fortsetzung der Saison: "Für mich ist es leider Gottes auch schwer vorstellbar, dass die Saison ohne Zuschauer fortgesetzt werden kann. Wie soll das gehen? Es muss ja nur in irgendeiner Mannschaft irgendeinen geben, der getestet wird, dann ist die ganze Mannschaft wieder weg. Es ist sehr bedauerlich, aber ich glaube, dass uns das noch eine lange Zeit begleiten wird."

... konkrete Maßnahmen bei St. Pauli: "Das läuft im Hintergrund. Ich bin bei uns in der Marketing-Abteilung, auch dort brechen Geldeinnahmen weg. Aus dem Betriebsrat ist nun ein hauptamtlicher Betriebsrat geworden, um all die Dinge für die Mitarbeiter zu regeln. Momenten glaube ich, dass es gut aussieht und alle rechtzeitig ihre Gehälter bekommen können. Dafür hat der Klub sehr gut vorgearbeitet und ist sehr gesund. Aber das wird auch nicht in alle Ewigkeit so gehen."

... die Pflichten der Spieler durch Gehaltsverzicht: "Niemandem steht es zu, solche Dinge einzufordern. Es gibt Verträge. Wir können über die gesellschaftliche Ausrichtung generell nachdenken und uns fragen, ob die Einkommensverteilung gerecht ist. Das haben wir nicht und daraus entstehen viele Probleme. Immer auf den Fußball zu gucken steht mir und anderen nicht zu. Dafür, dass sich Spieler, die in anderen Gehaltskategorien unterwegs sind, engagieren, muss man ihnen keinen Nachhilfeunterricht geben. In der 2. Bundesliga sind wir da auf einem ganz anderen Level. Ich bin sehr stolz auf die Leute, die ihrer Verantwortung direkt gerecht geworden sind."

Lienen: Wieso muss ein Spieler 20 Millionen im Jahr verdienen?

... die Rolle der Fußballer: "Wenn es zu Verwerfungen kommt, wird immer gefragt: 'Wie aktiv sind denn ihre Leute?' Das hat damit zu tun, dass der Fußball eine andere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit genießt und unser Lieblingssport ist. Wir reden da von ein paar hundert Leuten, die richtig hohe Gehälter verdienen. Wenn ich da überlege, wie viele hoch bezahlte Anwälte, Schauspieler und Leute in Banken es gibt, die über Jahrzehnte ohne Rücksicht auf Verluste spekuliert und unsere Wirtschaft an den Rand des Kollapses gebracht haben: Es gibt Unmengen von Berufsgruppen, die ganz viel Geld verdienen, aber von denen hört man nichts. Beim Fußball ist das anders, weil jeder die Leute kennt. Das ist eine verlogene Art und Weise, an die Dinge heranzugehen."

... die Influencer-Kultur: "Bevor ich einen Profi-Fußballer losschicke, um unsere Jugend zu erreichen, würde ich ihn gerne nochmal eine Probe mit ihm machen, was er denn zu sagen hat. Was ist das denn für eine kranke Gesellschaft, bei der junge Menschen, die bisher noch nichts geleistet haben, durch irgendwelche täglichen Kommentare und Konsumtipps, um ihr Ego aufzupolstern, eine Unmenge an Geld verdienen können? Der einzige Hintergrund besteht darin, dass wir in einer Konsumgesellschaft leben, die den Menschen vorgaukelt, wir könnten mit ewigem Wachstum eine Zufriedenheit erreichen - ohne Rücksicht auf die Ressourcen und den Menschen. Wir brauchen Politiker, die andere Leitplanken setzen."

... die Spitzenverdiener im Fußball: "Da kann man sich generell die Frage stellen, ob das ein System ist, was auf lange Sicht überlebensfähig ist. Wieso muss denn ein einzelner Spieler zehn oder 20 Millionen im Jahr verdienen, anstatt eine Gehaltsdeckelung oder entsprechende Steuerzahlungen zu haben, die der gesamten Gemeinschaft zugutekommen? Wo kommt das her, dass Sportler über die Werbung nochmal das Doppelte oder Dreifache verdienen können? Das ist ein Unding und macht unsere Gesellschaft kaputt. Wieso gibt es keinen Salary Cap? Reicht es nicht aus, drei Millionen im Jahr zu verdienen. Ich weiß nicht, wie viele goldene Handtaschen und Uhren ich noch brauche, um glücklich zu sein. Das ist einfach nur lächerlich."

... die Zukunft der Vereine: "Wir werden sehen, wie viele Klubs jetzt überleben. Das ist vielleicht ein Gesundschrumpfungs-Prozess. Es ist ja genug Geld da, wenn ich die TV-Gelder sehe. Aber warum muss denn ein Klub einen Etat von 500 Millionen haben und ein anderer einen von 50? Die Maßstäbe werden nicht von den kleineren Vereinen gesetzt, sondern von den großen, die hohe Gehälter bezahlen. Ich weiß nicht, ob man da kleineren Vereinen vorwerfen kann, dass sie von der Hand in den Mund leben."

... Ausgaben für Spielergehälter: "In der Premier League werden nach meinen Infos fast 70 Prozent des Etats für Spielergehälter ausgegeben, das ist weder nachhaltig noch verantwortungsvoll. Alle sind in dem Wahn, wir müssen Gelder bezahlen bis zum Gehtnichtmehr. Es gibt einen Grund, warum dir ernstzunehmende Leute sagen, 50+1 müssen wir beibehalten. Wenn das Gehaltsniveau und die Summe der Ablösen steigt, gehen die besten Spieler immer noch nach Barcelona oder zu Chelsea. Dadurch werden die Spieler nicht besser."

Ewald Lienen findet die Höhe der Spielergehälter verantwortungslos.
© imago images
Ewald Lienen findet die Höhe der Spielergehälter verantwortungslos.

Lienen kritisiert Einfluss von Staaten auf den Fußball

... Investitionen von Staaten: "Was hat uns denn dazu gebracht, dass 100 Millionen schon eine normale Summe geworden ist? Die Tatsache, dass ein Staat wie Katar, der wirklich unverdächtig ist, die Menschenrechte nicht zu verletzen, plötzlich Paris Saint-Germain übernimmt. Und alles jubelt in Paris. Über lange Jahre hast du weder Manchester City noch Paris gesehen. Plötzlich haben sie Geld bis zum Abwinken und setzen Maßstäbe, die alle anderen in die Krise bringen."

... Ausstiegsklauseln und Neymar: "Dann kommen unsere Freunde aus Spanien und haben in jedem Spielervertrag eine Auflösungsklausel. Barcelona hat bei Leuten wie Neymar oder Messi riesengroße Summen stehen und sie dachten, sie sind sicher. Und dann kommt Katar und sagt: '225 Millionen, warum nicht?' Und jetzt können wir zuschauen, wie ein talentierter Spieler in Paris rumläuft und bei jeder Berührung auf der Nase liegt und weint und schreit und der Klub Probleme hat, diesen Spieler, der völlig überbezahlt ist, davon zu überzeugen, dass er nicht an Karneval nach Brasilien fährt und in der Folge mit Verletzungen zu tun hat. Wenn man die Leute derartig mit Geld zuschüttet, braucht man sich nicht zu wundern, dass sie denken, sie befinden sich außerhalb aller Regeln."

... frühere Ablösesummen: "1996 war ich mit Jupp Heynckes in Teneriffa. Irgendwann wechselte Mijatovic von Valencia zu Real Madrid, der hatte eine Auflösungsklausel von zehn Millionen. Damals haben wir einen Nervenzusammenbruch gekriegt. Das ist jetzt 25 Jahre her. Mittlerweile lachen sich alle tot, wenn du einen für zehn Millionen kriegst."

... die Rolle des Fußballs: "Der Fußball ist nicht für einige wenige Spieler da, denen anschließend das Geld aus den Ohren kommt, und auch nicht für einige wenige Vereine, sondern für die Fans und uns alle. Er muss ein Vorbild für die vielen kleinen Vereine sein, die Grundlagenarbeit machen und dafür sorgen, dass sich junge Menschen bewegen und ihnen die richtigen Werte vermittelt werden."

... mögliche Geisterspiele: "Wir spielen ja Fußball für die Fans, aber Christian Seifert ist ja auch nicht der Ansicht, dass wir Fußball ohne Fans spielen sollten, weil er das lustig findet, sondern weil dann zumindest TV-Gelder und Sponsorenrechte weiter berücksichtigt werden können. Dass das kein Modell für die Zukunft sein kann, ist auch klar. Für viele Menschen ist der Fußball zumindest eine kleine Ablenkung, damit die Leute wieder ein bisschen was zu diskutieren haben, was über die wirtschaftlichen Probleme hinausgeht."

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