Serie D, Spielzeugpistole, König der Türkei: Der verrückte Aufstieg von Mbaye Diagne

Von Oliver Maywurm
Mbaye Diagne beim Tiorjubel für Kasimpasa.
© imago

Mit 19 geht er aus dem Senegal nach Italien, kommt über die vierte Liga zu Juventus. Nach langer Odyssee hat Mbaye Diagne nun die Türkei erobert und trifft für Kasimpasa am Fließband - die ungewöhnliche Geschichte eines verrückten Aufstiegs.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

"Er ist so ein bisschen unser Giroud", sagt Senegals Nationaltrainer Aliou Cisse und ergänzt mit einem breiten Grinsen: "Wobei er häufiger trifft als Giroud." Gemeint ist Mbaye Diagne. Stürmer, 27 Jahre, der im September für die Nationalelf seines Heimatlandes debütiert hat. Und in der türkischen Süper Lig für Kasimpasa gerade alles kurz und klein schießt, mit 14 Toren in 13 Einsätzen schon doppelt so häufig getroffen hat wie Yasin Öztekin, sein erster Verfolger in der Torjägerliste.

Diagne hat einen sehr weiten Weg hinter sich, einen verrückten und verwinkelten Aufstieg. Auf seinem Instagram-Profil hat er seinen Geburtsort Dakar, die Hauptstadt des Senegal verewigt. "Merci Maman", "Danke Mama" steht da ebenfalls. Und Italien.

2010, als er 19 war, verließ Diagne den Senegal gemeinsam mit seinen Eltern und ging nach Italien. Der talentierte Stürmer schloss sich dem Viertligisten Brandizzo an, ein kleiner Klub vor den Toren Turins. Er traf, wie er wollte, zog nach zwei Jahren weiter zum AC Bra, ebenfalls Serie D.

2013 wechselt Diagne für 100.000 Euro zu Juventus

Als Diagne auch dort in nahezu jedem Spiel netzt, werden die großen Klubs hellhörig. Im Sommer 2013 wechselt er zu Juventus, lediglich 100.000 Euro müssen die Bianconeri für ihn berappen. Der große Traum von Diagne scheint erfüllt, die Tür nach ganz oben offenbar sperrangelweit offen. Doch es sollte noch lange nicht der Durchbruch sein.

Denn Diagne absolviert kein einziges Pflichtspiel für Juve, wird sofort an Ajaccio nach Frankreich verliehen. Auch dort darf er jedoch keine Minute ran, wird für die Rückrunde bei Lierse SK geparkt, wo es deutlich besser läuft. In elf Pflichtspielen für die Belgier gelingen ihm sieben Tore, nach sechs Monaten muss er jedoch wieder gehen.

Die Odyssee geht weiter, Juventus verleiht Diagne nach Saudi-Arabien an Al-Shabab Riad, noch einmal nach Belgien an Westerlo. Für höhere Aufgaben empfehlen kann er sich jeweils nicht, der Traum vom Durchbruch bei Juve platzt im Sommer 2015 schließlich endgültig.

Diagne wird für gut eine Million Euro verkauft, kommt in Ungarn bei Ujpest Budapest unter. Es sollte der vorletzte Umweg werden, hin zum Stammspieler in einer größeren europäischen Liga. Denn Diagne liefert bei Ujpest ab, erzielt elf Tore in 14 Ligapartien - und bleibt ein Wandervogel, folgt nach einem halben Jahr einem Lockruf aus China und wechselt zu Tianjin Teda.

Spielzeugpistolen-Skandal in China, Glücksfall Kasimpasa

Im Reich der Mitte läuft es sportlich nicht überragend, aber ordentlich. Er trifft regelmäßig, macht aber auch abseits des Rasens Schlagzeilen, posiert in einem Instagram-Video mit einer Spielzeugpistole. Die Kapuze seines Hoodies über den Kopf gezogen, brüllt er vermeintliche Drohungen in die Kamera. "Lasst meine Familie in Ruhe!" Der Grund dahinter ist nicht bekannt, Diagne muss sich offiziell entschuldigen, wird vom Verein zur Rechenschaft gezogen.

"Vor ein paar Tagen habe ich ein Video geteilt, in dem ich eine Spielzeugpistole bei mir habe. Ich dachte, das wäre cool, aber letztlich hat mein Verhalten gegen das chinesische Recht verstoßen", zeigte sich der Senegalese in einem Statement Ende August 2017 reumütig. "Ich habe das Video unter der Aufsicht meines Klubs gelöscht und die Spielzeugpistole der Polizei übergeben."

Knapp zwei Jahre blieb Diagne in China, sah die dortige Super League aber ohnehin nur als Zwischenstation. "Die chinesische Liga ist zwar im Aufschwung, aber ihr fehlt im Vergleich mit den europäischen Ligen weiterhin das Ansehen", betonte er nach seinem Wechsel zu Kasimpasa Anfang 2018. "Ich hätte dort bleiben können, habe gut verdient, hatte ein angenehmes Leben. Aber angesichts des Zieles, das ich mir gesteckt habe, musste ich in eine stärkere Liga wechseln."

Mbaye Diagne: Entscheidung für Kasimpasa goldrichtig

Jenes Ziel, sich in einer der zehn besten Ligen Europas durchzusetzen, hat Diagne erreicht, seine Entscheidung für Kasimpasa erwies sich als goldrichtig. Schon in seinem ersten Halbjahr für den Klub aus Istanbul gelangen ihm zwölf Tore in 17 Süper-Lig-Einsätzen, in der laufenden Saison setzt er sogar noch einen drauf. Vor allem dank Diagnes Treffern ist Kasimpasa die wohl größte Überraschung in der Türkei, ist derzeit Zweiter, darf sogar vom Meistertitel träumen. Der Goalgetter sticht dabei heraus, vereint auf ganz besondere Art und Weise Effektivität und Körperlichkeit mit Spielintelligenz und Technik.

Diagne, der inzwischen drei A-Länderspiele für den Senegal absolvierte, hat seinen Vertrag zwar bis 2022 verlängert, sich aber längst das nächste Ziel gesteckt. "Ich will diese Saison bei Kasimpasa beenden", sagt er. Dann soll die nächste Stufe erklommen werden, ein Wechsel zu den drei Granden der Türkei, zu Galatasaray, Fenerbahce oder Besiktas folgen. Oder in eine noch stärkere Liga, England und Frankreich nennt er als mögliche Destinationen. "Das ist ganz normal. Ein Stürmer, der viele Tore schießt, ruft immer Interessenten auf den Plan", weiß er.

Mbaye Diagne hat sich nach oben gekämpft. Nach dort, wo er sich schon wähnte, als er 2013 bei Juventus unterschrieb. Sein verrückter Aufstieg sollte damals aber erst so richtig beginnen.

Artikel und Videos zum Thema