"Es macht dir keinen Spaß": Wer soll sich den Horrorjob beim FC Barcelona überhaupt noch antun?

Von Thomas Hindle und Patrik Eisenacher
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Eine Anstellung beim FC Barcelona als Trainer ist schon lange kein Traumjob mehr. In den vergangenen zwölf Jahren gab es acht verschiedene Barça-Trainer. Wer will sich die Nachfolge von Xavi überhaupt noch antun?

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Nachdem der Rest der Mannschaft des FC Barcelona an die Seitenlinie marschiert war, drehte sich Pep Guardiola um, schritt zum Mittelkreis und warf einen letzten Blick auf das Camp Nou. Er warf den Blaugrana-Fans einen Kuss zu und winkte ihnen zum Abschied ein letztes Mal als Trainer des katalanischen Klubs zu. Viele Tränen gab es damals nicht und Pep selbst schien sogar etwas erleichtert.

Die 100.000 Culés, die seinen Namen minutenlang skandierten, nachdem er 2012 durch den Tunnel verschwunden war, ahnten vielleicht, dass es nie wieder so gut werden würde. Aber sie wussten sicher nicht, wie schlimm es werden würde. In den zwölf Jahren seit Guardiolas Abgang hat Barça acht Trainer eingestellt, aber keiner von ihnen hat die gleiche Bindung zu den Fans der Blaugrana aufgebaut, wie Pep es getan hat - trotz einiger Titel.

Auch der Verein selbst ist zunehmend in Schieflage geraten. Die ständige Instabilität und Misswirtschaft haben Barça vor zwei Jahren an den Rand des Bankrotts gebracht.

Und nun, da der aktuelle Coach Xavi am Ende der laufenden Saison den Verein verlassen wird, steht ein weiterer Umbruch an. Barça wird in Kürze einen neuen Trainer mit neuen Ideen begrüßen und im Idealfall einen Neuanfang mit den anspruchsvollen Fans in Angriff nehmen. Doch der Nachfolger Xavis wird wahrscheinlich mit denselben Problemen konfrontiert werden, die schon viele seiner Vorgänger geplagt haben.

Den FC Barcelona zu leiten, scheint eine Aufgabe geworden zu sein, die man praktisch nicht erfolgreich abschließen kann. Wer will vor dem Hintergrund überhaupt noch Trainer der Katalanen werden?

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Pep Guardiola setzte beim FC Barcelona einen unerreichbaren Maßstab

Die Umstände, unter denen Pep Guardiola den Job bei Barça antrat, waren einst auch alles andere als perfekt. Ja, er verfügte über eine immense Menge an großartigen Spielern - allen voran einen gewissen argentinischen Stürmer -, aber die Mannschaft hatte schon seit einiger Zeit Probleme. Ronaldinho, Deco und Samuel Eto'o bezogen allesamt immense Gehälter und verhinderten den Durchbruch einiger der vielversprechendsten Talente der Welt. Guardiolas erster Schritt war es, Ronaldinho und Deco vor die Tür zu setzen, während Eto'o immer öfter auf der Bank Platz nehmen musste.

Zu diesem Zeitpunkt war das verwunderlich. Ronaldinho stand 2008 kurz vor dem Gewinn des Ballon d'Or, während Deco auf dem besten Weg war, im Verein zur Legende zu werden. Man brauchte Stabilität, und Guardiolas erste Aufgabe bestand darin, die Mannschaft von zwei Schlüsselspielern zu befreien. An ihrer Stelle holte er zwei weitgehend unerprobte junge Spieler aus La Masia: Pedro und Sergio Busquets. Außerdem setzte er auf Gerard Piqué, einen Innenverteidiger, der es bei Manchester United nicht in die erste Mannschaft geschafft hatte. Drei junge Spanier sollten weiterhelfen.

Diese Umstellung erwies sich als Meisterstück. In Guardiolas erster Saison gewann Barça das Triple, und er wurde der jüngste Trainer, der jemals die Champions League gewann. Die nächsten drei Spielzeiten waren (fast) ebenso bemerkenswert. Als er seine Amtszeit bei den Blaugrana beendete, hatte der Barça-Fan aus Kindertagen sieben große Titel geholt, darunter drei Meisterschaften und zweimal die Königsklasse.

Und dann war da noch der Fußball: Tiki-Taka, das Spiel von hinten heraus, Lionel Messi als falsche Neun, das Trio Busquets/Xavi/Andrés Iniesta, dem niemand das Wasser reichen konnte. Diesem Erbe konnte schlicht niemand gerecht werden.

FC Barcelona, Juventus Turin, Champions League, Finale, 2015, Aufstellungen
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Pep Guardiolas Nachfolger waren zunächst noch erfolgreich

Guardiolas Assistent Tito Vilanova schien der natürliche Nachfolger zu sein, da er mit dessen Methoden am besten vertraut war. Als Barça auf einer Pressekonferenz bekanntgab, dass Guardiola aufhört, verkündete man direkt die Ernennung Vilanovas.

Die Dinge liefen gut, Barça sammelte 2012/13 in seiner ersten Saison 100 Punkte und gewann mit 15 Punkten Vorsprung auf Real Madrid die Meisterschaft.

Seine Geschichte hatte ein tragisches Ende. Vilanova litt während seiner gesamten Amtszeit an schweren gesundheitlichen Problemen und verließ den Verein 2013, bevor er im April 2014 verstarb.

Zu diesem Zeitpunkt begannen die Probleme Barças. Da es keine Guardiola-Jünger gab, an die man sich wenden konnte, sah sich Barcelona anderweitig um. Tata Martino löste 2013/14 Vilanova ab, trat aber nach weniger als einem Jahr zurück, nachdem der Klub in LaLiga Zweiter geworden war und keinen einzigen Titel gewonnen hatte - heute coacht er Lionel Messi in Miami.

Luis Enrique kam als nächster und feierte große Erfolge, als sein MSN-Trio die Blaugrana in der Saison 2014/15 zum Triple führte. Der frühere Mittelfeldspieler verließ das Team nach drei Spielzeiten ohne großes Tamtam.

Ernesto Valverde kam im Anschluss von Athletic Bilbao und holte in drei Jahren zwei Meistertitel - allerdings in einer 4-4-2-Formation und mit zahlreichen schlechten Transfers. Seine Amtszeit wird immer mit der 0:4-Niederlage gegen den FC Liverpool im Halbfinal-Rückspiel der Champions League 2019 in Verbindung gebracht werden. Barça zögerte nicht, ihn zu entlassen, als die Dinge im Januar 2020 schief liefen. Dramatisch war die Lage damals aber noch nicht.

Seitdem hat der FC Barcelona drei Trainer beschäftigt - Quique Sétien, Ronald Koeman und Xavi - und in den letzten vier Jahren drei Trophäen gewonnen. So spärlich war die Ausbeute seit Ewigkeiten nicht mehr. Gefühlt ist der Kader auch so schwach besetzt wie selten in den letzten 20 Jahren.

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Xavi über die Arbeit beim FC Barcelona: "Das ist grausam"

Am Montag sprach Guardiola Xavi sein Beileid aus. "Meiner Erfahrung nach kann man den Druck in England nicht mit dem Druck in Spanien vergleichen. Dort ist es tausendmal härter. Sechs Pressekonferenzen pro Woche, eine Menge Spiele. Der Druck, den man in Barcelona spürt, ist mit keinem anderen Land vergleichbar", sagte er auf einer Pressekonferenz.

Guardiola gab zu, dass ihm der Job zum Zeitpunkt seines Abgangs keinen Spaß mehr machte. Das ist ein roter Faden, der sich durch die Amtszeiten aller Barcelona-Trainer der letzten Jahre zieht. Er war besorgt, dass er und Barça sich "gegenseitig verletzen" würden, und räumte ein, dass die berühmt gewordenen vier Clásicos in einem Monat am Ende der Saison 2010/11 "18 schwierige Tage" waren.

Auch Luis Enrique äußerte sich bei seinem Abschied so: "Ich habe nur wenige Stunden, um mich auszuruhen, um abzuschalten; am Ende dieser Saison muss ich mich ausruhen."

Xavi zeichnete das gleiche Bild: "Es ist grausam und unangenehm. Sie geben dir jeden Tag das Gefühl, wertlos zu sein. Pep hat es mir gesagt, Valverde hat es mir gesagt, ich habe Luis Enrique leiden sehen... Wir haben ein Problem, was die Anforderungen angeht. Es macht dir keinen Spaß... Du setzt dein Leben in jedem Moment aufs Spiel. Das ist grausam."

Diese Erwartungshaltung kommt von überall her. Ein Teil davon ist sicherlich in den Erfolgen der Vergangenheit begründet. Dieser Verein hat in den 124 Jahren seines Bestehens 77 Titel gewonnen. Er ist eng mit der Stadt verbunden, in der er beheimatet ist, und trägt ein Wappen, das die Farben der katalanischen Flagge beinhaltet. Viele Culés fühlen sich als Katalanen, nicht als Spanier - als Bürger ihrer eigenen unabhängigen Nation. Der FC Barcelona steht für eine nationale Identität.

Und dann ist da noch die Sache mit Real Madrid. Die Feindseligkeit zwischen den beiden Städten ist tief verwurzelt, eine Rivalität, die in der Politik entstanden ist und sich auf den Sport ausgeweitet hat. Wie kann man in einem Beruf überleben, in dem man nicht nur an seinen eigenen Maßstäben gemessen wird, sondern auch mit dem Erfolg seines größten Feindes verglichen wird, der gleichzeitig einer der erfolgreichsten Vereine der Welt ist?

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Lionel Messis Vermächtnis

In der Saison 2022/23, während Barcelona kurz vor dem ersten Ligatitel seit 2019 stand, sprach Xavi kaum über den Erfolg auf dem Spielfeld. Der Trainer wurde nur selten nach seinen taktischen Änderungen, der dominanten Verteidigung oder der wiederbelebten Offensivabteilung gefragt. Stattdessen wurde er mit Fragen über Messi überhäuft. Würde Xavi ihn zurückhaben wollen? Wo würde er spielen? Könnte sich Barça ihn leisten? Wie würde der Rest der Mannschaft reagieren?

Jedes Mal deutete Xavi an, dass er eine Rückkehr des Argentiniers in den Verein wünsche, und betonte, dass die Blaugrana eine bestimmte Rolle für ihn vorgesehen hätten. Messi, so hieß es, sei so gut wie zurück.

Das entpuppte sich als Trugschluss. Barça konnte nicht garantieren, dass Messi verpflichtet werden würde, und die finanzielle Ungewissheit führte dazu, dass der Ballon d'Or-Gewinner zu Inter Miami ging. Sein Vermächtnis bleibt jedoch bestehen.

Messi verließ Barça einst gegen seinen Willen, da der Verein aufgrund jahrelanger finanzieller Misswirtschaft nicht mehr in der Lage war, sein hohes Gehalt zu zahlen. Beide Seiten trugen in gewissem Maße Verantwortung: Messi hatte hinter den Kulissen seit geraumer Zeit Verpflichtungen und Transfers diktiert, und obwohl Barça auf jeden seiner Wünsche einging, muss der Argentinier gewusst haben, dass die finanziellen Möglichkeiten des Vereins nicht unbegrenzt waren.

Dennoch konnte keine Seite mit einer solch plötzlichen Trennung rechnen. Und jede Barça-Mannschaft hat seitdem das Gewicht von Messis Abgang zu spüren bekommen, sei es in finanzieller oder taktischer Hinsicht. Ein gewisser Nachhall der Messi-Ära ist immer noch vorhanden, und es ist unmöglich, ihn zu überwinden.

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Eine moderne Trainerlösung könnte dem FC Barcelona gut tun

Als Klub, der den Mitgliedern gehört, ist Barça unter den europäischen Spitzenklubs fast einzigartig. Die Fans des Vereins wählen ihre eigenen Präsidenten, es gibt keine offizielle Amtszeitbeschränkung, obwohl die Präsidenten alle sechs Jahre gewählt werden sollen. Aufgrund der Instabilität des Amtes - die Präsidenten können jederzeit mit einem Misstrauensvotum konfrontiert werden - sind sie jedoch oft zu überstürzten Entscheidungen gezwungen, um die Wähler zu besänftigen.

Genau das hat Joan Laporta zum Präsidenten gemacht. In seiner zweiten Amtszeit hat der frühere Parlamentsabgeordnete wenig Skrupel gezeigt. Bei seiner Entscheidung, Ronaldinho im Jahr 2003 zu verpflichten, war er war er kompromisslos. Ebenso zielstrebig verweigerte er seinem ehemaligen Trainer Ronald Koeman 2021 öffentlich Gelder für neue Spieler. Letztes Jahr legte er sich offen mit LaLiga-Präsident Javier Tebas an und verteidigte Barça gegen den Vorwurf, Schiedsrichter bezahlt zu haben.

Er ist der Mann, der bei Barça auf der Suche nach einem Nachfolger für Xavi die Richtung vorgeben wird - und hat bereits bewiesen, dass er dabei ein gutes Händchen hat. Laporta übertrug Guardiola 2008 die Verantwortung. Aber er ist auch besorgniserregend voreilig, um besonnene Entscheidungen zu treffen.

Und genau da liegt das Problem. Laporta ist der Fackelträger einer altmodischen Einstellung. Xavi war ein weiteres Beispiel dafür, dass der Klub in der Vergangenheit nach Lösungen für die Zukunft sucht. Wenn sich diese Denkweise nicht ändert, könnte dieser undankbare Job ein weiteres Traineropfer fordern.

Xavi verlässt den FC Barcelona.
© Xavi, FC Barcelona

Trainer des FC Barcelona: Wer will den Job überhaupt noch?

Während man also darauf wartet, wer Xavi ersetzen wird, muss man sich die Frage stellen: Gibt es jemanden, der das Ruder rumreißen könnte? Dem Erbe des Vereins gerecht zu werden, ist eine Sache, aber die Realität auf dem Platz ist eine andere.

Barça befindet sich abseits des Spielfeldes in einer schwierigen Lage. Obwohl die Mannschaft im Jahr 2022 mit einigen öffentlichkeitswirksamen finanziellen Maßnahmen eine schwächelnde Mannschaft wiederbelebte - und infolgedessen LaLiga gewann - sind die langfristigen Aussichten nach wie vor schlecht. Ältere Spieler wie Robert Lewandowski haben immer noch hoch dotierte Verträge und schränken den Spielraum gehörig ein..

Die finanziellen Möglichkeiten werden mittelfristig eher schlechter als besser. Tebas hat in der vergangenen Saison die Regeln für Laportas berühmte Finanzhebel verschärft, so dass Barça kein anderer Ausweg blieb, als wertvolle Vermögenswerte zu verkaufen. Aus diesem Grund könnte Abwehrstar Ronald Araújo in diesem Sommer an verkauft werden, der FC Bayern scharrt schon mit den Hufen. Es wäre auch keine große Überraschung mehr, sollten die Eigengewächse Gavi oder Pedri verkauft werden, um frisches Geld aufzutreiben.

Sollten einer oder mehrere dieser Stars den Verein verlassen, sieht der Kader von Barça plötzlich ziemlich dünn aus. Trotz einer Fülle von jungen Talenten gibt es nur wenige Spieler im besten Fußballeralter. Da kein Geld für den Kauf von Verstärkungen zur Verfügung steht, sieht die Aufgabe plötzlich weniger attraktiv aus, als sie eigentlich sein sollte. Und wenn der Erfolg in Barcelona allein an den Titeln gemessen wird - wer wäre dann mutig genug, diese Aufgabe zu übernehmen?

Der Nachfolger Xavis entscheidet über die Zukunft der Blaugrana. Doch es ist aktuell nur schwer vorstellbar, dass ein Top-Trainer seinen Ruf dafür aufs Spiel setzt.