Lazio-Ikone Luciano Re Cecconi und sein tragischer Tod bei einem Spaß-Überfall

Von Dennis Melzer
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© getty

Luciano Re Cecconi führte in den 1970er Jahren eine chaotische Lazio-Mannschaft zur Meisterschaft. Drei Jahre später wurde er erschossen - angeblich wegen eines Scherzes. Heute wäre er 72 Jahre alt geworden.

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Dieser Text erschien erstmals am 4. Juni 2019.

Italien Mitte der 1970er Jahre. Ein Ort der Sehnsucht, der Inbegriff des Dolce Vita, des süßen, vergnüglichen Lebens, war zu einem politisch-gesellschaftlichen Pulverfass mutiert. Spaghetti waren knapp, ausgerechnet im Land der Pasta. Zigaretten ebenso, im Land der leidenschaftlichen Vielraucher. Streikende Arbeiter allerorten, wütende Bürger, die sich von ihrer Regierung hintergangen fühlten.

Die Brigade Rosse, eine - ähnlich wie die Rote Armee Fraktion in Deutschland - linksextremistische Terrorgruppierung, zog mordend durch den Stiefel. Badeverbot im malerischen Gardasee, weil zu dreckig, Badeverbot an der Adriaküste, wegen Hai-Alarms, giftige Vipern hielten Triest in Atem, Einbruchsrekord in der Hauptstadt Rom.

Lazio Rom: Eine gespaltene, zerstrittene Mannschaft

Ebenda sorgte Lazio für Furore. Eine Mannschaft, die in sich geschlossen ein Abbild der brenzligen Situation in Italien zeichnete: gespalten, zerstritten. Vor allem aus politischer Sicht, frönten doch einige der Protagonisten dem Faschismus, der das Land jahrelang ins Chaos gestürzt hatte, während die andere Gruppe der braunen Gesinnung nicht viel abgewinnen konnte.

Ein Teil des Teams zog sich deshalb auch lieber in der Gästekabine um, ehe es auf den Trainingsplatz ging, wo es regelmäßig äußerst brutal zuging, Einheiten nicht selten in Schlägereien ausarteten. In Ligaspielen verzichteten die Spieler auf Schienbeinschoner, im Training mit den eigenen Kameraden nicht. Der pädagogische und deeskalierende Kniff von Trainer Tommaso Maestrelli: Er sorgte dafür, dass die Trainingsspiele unentschieden endeten.

Nur ein Spieler verstand sich mit beiden Lagern und bildete somit das Bindeglied in einer zerrütteten Truppe: Luciano Re Cecconi. Der Sohn einer Bauernfamilie, der im lombardischen Nerviano zur Welt kam und sich im Laufe der Jahre anschickte, Fanliebling der Biancoceleste zu werden. Spitznamen bekam der Mittelfeldspieler, den man heutzutage wohl als Box-to-Box-Player bezeichnen würde, im Laufe der Jahre viele verpasst. Cecconetzer beispielsweise, in Anlehnung an Günter Netzer, der zu jener Zeit bei Borussia Mönchengladbach glänzte. Ebenfalls geläufig im Zusammenhang mit Re Cecconi: L'Angelo Biondo, der blonde Engel.

Viele bezogen sich auch direkt auf seinen unüblichen Nachnamen, der mit der Vorsilbe "Re", zu Deutsch "König", aufwartete. Re Cecconi selbst lüftete einst das Geheimnis hinter dem royalen Zusatz: "Das war ein Geschenk des Königs Vittorio Emanuele II. Als er Busto Arsizio und Nerviano durchquerte, war er so angetan von der Gastfreundschaft und dem guten Essen, dass er den Menschen dort ein Geschenk machen wollte. Fortan durften alle Cecconis den Zusatz 'Re' tragen."

Re Cecconi begann seine Karriere bei Pro Patria und wechselte später zu Foggia, ehe er sich im Jahre 1972 Lazio anschloss. Dort avancierte er schnell zum Leistungsträger, wurde vor allem wegen seines Kampfgeistes extrem geschätzt. Er galt als normaler Charakter, was im Hinblick auf Teile seiner Mannschaft eher außergewöhnlich war.

Lazio-Profis als Waffennarren

Die Truppe beließ es nämlich nicht bei den von der Außenwelt abgeschiedenen Zwisten im Training, sondern wurde in der ganzen Stadt gefürchtet. Als Fans der verfeindeten Roma am Abend vor dem Derby das Hotel der Lazio-Spieler belagerten, Krach schlugen, um dem unliebsamen Rivalen den Schlaf zu rauben, zückte Verteidiger Sergio Petrelli einen scharfen Revolver und feuerte aus dem Fenster auf die Störenfriede.

Petrelli war allerdings nicht der einzige Waffennarr. Vor Inlandsflügen ging eine Tüte herum, in der die Spieler ihre Pistolen verstauen mussten, ein Pilot weigerte sich einmal, sein Flugzeug zu starten, weil er befürchtete, dass einige Jungs der Bitte, die Knarren vor dem Start abzugeben, nicht nachgekommen waren. Re Cecconi bildete auch diesbezüglich eine Ausnahme, besaß als einer der wenigen keinen Waffenschein. Mit seiner sympathischen Art versuchte er, diese zerstrittene Mannschaft voller fragwürdiger Typen für sich zu gewinnen, zumindest auf dem Platz eine Einheit zu schaffen, wenn schon innerhalb der eigenen vier Wände ständig die Fetzen fliegen mussten.

Das Verrückte daran: Wenn es in der Serie A ums Ganze ging, funktionierte die Maestrelli-Elf hervorragend. So gut, dass sie in der Saison 1973/74 erstmals in der Geschichte Lazios den Scudetto gewann. Die Leistungen ließ die Anhänger der Adlerträger kurzzeitig vergessen, wie prekär ihre eigene Situation war. Ein Funken Freude in Zeiten der Aufruhr. Re Cecconi, der heimliche König für eine Masse der von der Elite Vergessenen. Ein König, der nur knapp drei Jahre später aufgrund eines tragischen Ereignisses die Gazetten füllen sollte.

Am Abend des 18. Januar 1977 betraten Re Cecconi und sein Teamkollege Pietro Ghedin das Geschäft des Juwelenbesitzers Bruno Tabocchini in Rom. Die beiden Lazio-Stars galten in der Ewigen Stadt als Spaßvögel, als Duo infernale. Tauchten sie irgendwo auf, war Ärger nicht weit. Was dann passierte, konnte bis heute nicht geklärt werden. Eine Version, die von Tabocchini, lautet wie folgt: Re Cecconi und Ghedin sollen sich vermummt und "Fermi tutti, questa e una rapina" (keine Bewegung, das ist ein Überfall) gebrüllt haben.

Der tragische Tod des Königs von Rom

Daraufhin zog der Juwelier seine Waffe, eine Walther PKK, unter der Ladentheke hervor und zielte zunächst auf Ghedin, der sofort die Hände hochnahm. Re Cecconi spielte die Rolle des Räubers weiter. Tabocchini, der zuvor in kurzen Abständen gleich zweimal Opfer eines tatsächlichen Raubüberfalls und somit paranoid geworden war, drückte ab. Der König brach zusammen, soll im Sterben noch "Era uno scherzo, era uno scherzo" (Es war nur ein Scherz) gesagt haben. Rund eine halbe Stunde später wurde er im Krankenhaus San Giacomo für tot erklärt. Er hinterließ seine Ehefrau und zwei Kinder. Tabocchinis Erklärung, das Pochen auf Notwehr, wurde vom Gericht für glaubwürdig befunden. Der Juwelier musste nicht ins Gefängnis.

Viele Römer zweifeln bis heute an Tabocchinis Aussagen. Luigi Martini, damals Mitspieler von Re Cecconi und später Politiker bei der neofaschistischen Alleanza Nazionale, erklärte 2017 bei Premium Sport: "Luciano soll wegen eines Scherzes gestorben sein? Ich bin überzeugt davon, dass das nicht stimmt. Ghedin hat in dieser Nacht bei mir geschlafen und stand komplett unter Schock. Er hat gesagt, dass er die Waffe sah, die auf ihn gerichtet war, als er den Laden betrat. Plötzlich hat der Juwelier die Pistole auf Luciano gerichtet und geschossen." Der mittlerweile 69-Jährige ergänzte: "Es klingt ziemlich absurd, dass er erst auf Ghedin gezielt, dann aber auf Luciano geschossen hat. Ich verstehe nicht, warum er das getan hat."

Teamkollege Ghedin schweigt über den Vorfall

Ghedin selbst schwieg nach dem Prozess gegen Tabocchini, sagte lediglich: "Es war ein tragischer Todesfall. Ein Mann hat sein Leben verloren. Es hätte genauso gut mich treffen können." Re Cecconi galt zwar als Bajazzo, dass er aber derlei dumme "Späße" machte, scheint fraglich. Vielmehr steht die These im Raum, Tabocchini könnte aus Angst vor einem neuerlichen Überfall per Kurzschlusshandlung agiert haben.

Fest steht nur eines: Der Schuss des Juweliers traf metaphorisch einen ganzen Verein mitten ins Herz. Um ihrem König die letzte Ehre zu erweisen, versammelten sich abertausende schwarzgekleidete Laziali rund um die basilica parrocchiale dei Santi Pietro e Paolo. Die Tristesse war zurück an einem Sehnsuchtsort, der für kurze Zeit in Himmelblau erstrahlt war.