Italien hat eine stolze Bilanz. 15 Siege in 31 Spielen gegen die deutsche Nationalmannschaft, bei nur sieben Niederlagen. Bei einem Turnier, EM oder WM, haben die Deutschen überhaupt noch nie gegen die Italiener gewonnen. Ausgerechnet die effizienten Deutschen, von denen der Engländer Gary Lineker einmal sagte, dass sie am Ende sowieso immer gewinnen.
Aber gegen Italien? Keine Chance! Es ist diese Statistik, die die Squadra Azzurra zu einem anerkannten Angstgegner macht. Selbst Bundestrainer Joachim Löw, der sonst von historischen Statistiken verständlicherweise wenig hält, akzeptiert die Bedeutung dieser Zahlen.
Löw schwärmt von Italien
Denn die Ergebnisse in entscheidenden Spielen seien ein Ausdruck spezifischer Eigenschaften, die Italien zu einer einzigartigen Mannschaft im Weltfußball machten. Als "Illusionskünstler" hat Löw die Italiener in der "Süddeutschen Zeitung" bezeichnet, als "Meister der Anpassung" am Mittwoch auf der Pressekonferenz.
Löw gefällt diese Wandlungsfähigkeit, diese Flexibilität in allen Lagen auf dem Platz. Es gibt keine Situation, auf die sie nicht die richtige Antwort finden würden, völlig unbeeinflusst von den äußeren Begleitumständen. Müssen die Bälle auf die Tribüne gebolzt werden, werden die Bälle auf die Tribüne gebolzt. Braucht es technische Finesse, gibt es Spieler, die diese Qualität zum Einsatz bringen.
Deshalb hat Löw Italien als seinen "Wunschgegner" in seinem 100. Länderspiel als Trainer bezeichnet. "Wir wollten im November Testspiele, in denen wir noch was lernen können. Da gibt es keinen besseren Gegner als die Italiener."
Prandelli gibt Komplimente zurück
Die fühlen sich geehrt, aber leicht überhöht durch die großen Worte "des Freundes", wie Cesare Prandelli auf der Pressekonferenz am Donnerstag meinte. "Man richtet immer schöne Worte an gute Bekannte, auch im Vorfeld einer Partie. Das ist ein Zeichen von Respekt", sagte Prandelli.
"Avantgarde-Fußball" hat Löws Kollege die deutsche Art zu spielen Ende des vergangenen Jahres genannt. Die Leichtigkeit im Offensivspiel beindruckt ihn auch heute noch. "Sie sind spielfreudig und phantasievoll", gab er die Komplimente am Donnerstag zurück. Alles top bei den Deutschen. Und so modern.
Die Italiener schauen seit geraumer Zeit neidisch in den Norden auf die Infrastruktur, die Stadien, die Fans. Während Fußball in Deutschland ein Familienereignis ist, sind die Stadien in Italien meist spärlich besucht und baufällig. Ein Zuschlag für die EM 2012 oder 2016 hätte dem Fußball in Italien gut getan. Aber die UEFA und Präsident Michel Platini hatten andere Pläne.
Die Stadionauslastung liegt in der Serie A bei 17 bis 60 Prozent, nur Juventus kommt in seinem Neubau auf 83 Prozent. In Deutschland bildet Hertha BSC mit 73 Prozent das Schlusslicht, ein Großteil liegt bei 90 Prozent und mehr.
Die Probleme des Calcio
Die Qualität des Spiels ist in Italien nach wie vor auf beachtlichem Niveau, nur die Begleitumstände bereiten den Verantwortlichen Sorgen. Kriminalität, Wettbetrug, Rassismus und Gewalt begleiten den Calcio und stehen einer rigorosen Erneuerung im Weg.
Prandelli hat die Worte Löws dankend angenommen. Sein Ziel ist es aber die Squadra nicht nur auf dem Platz als Vorbild für andere Nationen zu positionieren, sondern auch als Beispiel für das nach wie vor zerrissene Land. Sein Motto: "Es gibt Wichtigeres als Fußball."
Der Comissario Tecnico hat seine Aufgabe immer so verstanden, auch Zeichen über den Sport hinaus zu setzen. Er trainierte mit seiner Mannschaft in Kalabrien in einem Stadion, das vorher von der Mafia-Gruppierung 'Ndrangheta kontrolliert wurde. Er strafte Antonio Cassano für seine homophoben Äußerungen ab. Er warf Domenico Criscito aus dem Kader für die EM, weil die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen Spielmanipulation ermittelte. Und er dachte nach einer Razzia im Trainingscamp sogar laut über einen Teilnahme Verzicht bei der WM nach, wenn das dem Calcio nur helfe.
Klare Regeln und Schutz
Prandelli hat der italienischen Nationalmannschaft wieder ein Gesicht gegeben nach den schauderhaften Leistungen bei der WM 2010 unter dem Weltmeistertrainer von 2006 Marcelo Lippi. Prandelli ist zwar ebenfalls schon 56 Jahre alt, aber eine andere Generation als seine Vorgänger Lippi und Giovanni Trapattoni.
Regeln spielen auch im System Prandelli eine zentrale Rolle. Wer nicht spurt, fliegt raus. Der Nationaltrainer regiert streng, aber nicht autoritär. Wenn es nötig ist, schützt er seine Spieler. Am Beispiel Mario Balotelli lässt sich sein Führungsstil am besten erkennen.
Immer wieder kritisierte und sanktionierte Prandelli seinen Stürmerstar, aber er verteidigte ihn auch gegen jedwede Anfeindung oder unfaire Berichterstattung. Auf dem Weg zu einem ernsthaften jungen Mann allerdings, "muss er die Kurve selbst kriegen. Dabei kann ihm keiner helfen."
Arbeit mit dem Nachwuchs
Die Italiener haben auch dank Prandelli auf allen Ebenen bemerkt, dass sie ihre Fußballer früher auf das Profi-Leben sowie dessen Anforderungen und Tücken vorbereiten müssen. Der Verband leistet im Nachwuchsbereich intensiv Aufklärungsarbeit in Sachen Manipulation und Rassismus.
Auch sportlich sind die Italiener im U-Bereich auf einem guten Weg. Bei der U-21-EM schafften sie es bis ins Endspiel gegen Spanien und anders als Deutschland war auch die U 17 bei der WM in den Vereinigten Arabischen Emiraten dabei.
Prandelli sorgt für die Durchlässigkeit nach oben. Gezielt führt er junge Spieler an die Aufgabe in der Squadra heran, die nach wie vor von den Routiniers Andrea Pirlo und Gianluigi Buffon geführt wird.
Orientierung an Deutschland
In seiner Spielweise ist der Prandelli vom alten Leitmotiv "Prima non prendere" (Erstmal keins kassieren) abgerückt. "Fußball soll Spaß machen", sagt er und paart das taktische Geschick mit italienischem Spielwitz - je nach Gegner.
"Deutschlands Entwicklung in den letzten Jahre dient uns als Orientierungshilfe", sagt Prandelli. Wer nur verteidige und offensiv passiv sei, "wird die nächsten Turniere demnächst zu Hause vor dem Fernseher erleben."
Was passiert nach der WM 2014?
Bei der WM 2014 ist Italien dabei. Die Qualifikation haben die Italiener ungeschlagen mit sechs Siegen und vier Unentschieden geschafft. Nicht berauschend, aber gewohnt souverän und teilweise auch mit nur halber Kraft. Ganz nach Löws Verständnis von italienischem Fußball.
Offen ist aber noch, was nach der WM passiert. Prandellis Zukunft ist ungeklärt, ein Ende seiner Amtszeit scheint Medienberichten zufolge wahrscheinlich. Was immer auch passiert, Prandelli hat Italien einen alternativen Weg gezeigt. Der Calcio der Zukunft wird auch sein Werk sein.
Der Kader der italienischen Nationalmannschaft