Will Still bei Stade Reims: Dank des Football Managers in die Ligue 1 - für diesen 30-Jährigen zahlt sein Klub jedes Spiel 25.000 Euro Strafe

Von Patrik Eisenacher
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Will Still zockte einst nächtelang Football Manager, nun ist er 30 Jahre alt und sorgt als Cheftrainer von Stade Reims für Furore. Der Anglo-Belgier legte mit seinem Team eine schier unglaubliche Erfolgsserie hin. Dabei fehlt ihm sogar noch eine wichtige Lizenz.

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Als Julian Nagelsmann im Februar 2016 mit gerade mal 28 Jahren bei der TSG Hoffenheim zum jüngsten hauptamtlichen Cheftrainer der Bundesligageschichte avancierte, staunte die gesamte Fußballwelt über die mutigen Hoffenheimer und noch mehr über diesen jungen Trainer, der seine Mannschaft auch noch frech spielen ließ und zum Klassenerhalt führte.

Will Still, der gerade seit einigen Monaten in Frankreich für Furore sorgt, war mit 28 Jahren sogar schon bei zwei Profimannschaften als Cheftrainer tätig. In der Saison 2017/18, mit gerade mal 24 Jahren, machte der belgische Zweitligist Lierse SK den in England geborenen, aber in Belgien aufgewachsenen Will Still, zum Interimscoach. Von neun Spielen unter Still gewann Lierse zwar sieben, doch weil dem dann 25-Jährigen die Trainerlizenz fehlte, musste Lierse ihn notgedrungen nach 60 Tagen wieder zum Co-Trainer machen.

Im Januar 2021 wurde Still erneut überraschend Cheftrainer, der belgische Erstligist Beerschot V.A. beförderte den bisherigen Co zum Boss. Mit 28 Jahren, drei Monaten und sechs Tagen war Still bei seinem ersten Spiel als Erstligacoach immerhin nochmal drei Monate und 15 Tage jünger als der heutige Bayern-Trainer Julian Nagelsmann bei seinem Bundesligadebüt. Still führte den bei seinem Amtsantritt abstiegsbedrohten Aufsteiger auf Platz neun, doch nach Saisonende wurde ihm der 28 Jahre ältere Peter Maes vor die Nase gesetzt.

Still wurde wieder Co-Trainer, aber in einer besseren Liga. Er wechselte zu Stade Reims in die Ligue 1 - zu dem Klub, der den mittlerweile 30-Jährigen am 13. Oktober 2022 zum aktuell jüngsten Cheftrainer in den Top-5-Ligen Europas machte. An der nötigen UEFA-Pro-Lizenz mangelt es Still übrigens noch immer, weswegen Reims für jedes Spiel, an dem Still an der Seitenlinie steht, 25.000 Euro Strafe an den französischen Verband zahlt.

Will Still
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Will Still bei Stade Reims: Klub zahlte schon 350.000 Euro Strafe

350.000 Euro an Strafen sind auf diese Weise schon zusammengekommen. Für Stade Reims dennoch sehr gut investiertes Geld - in 14 Spielen unter Still ist der ehemals abstiegsgefährdete Klub noch ungeschlagen!

Fünf Siege, sieben Unentschieden, darunter zwei gegen Serienmeister Paris Saint-Germain, in der Ligue 1 und zwei Siege im französischen Coup de France - so die beeindruckende Bilanz von Will Still.

Dabei hatte er vor seinem Cheftrainerdebüt für Reims noch Angst gehabt. "Ich hoffe, dass wir nicht mit 0:6 verprügelt werden", hatte Still damals vor dem Spiel gegen PSG gesagt. Doch als das Spiel angepfiffen wurde, hatte sich seine Denkweise grundlegend geändert: "All meine Nerven flogen aus dem Fenster und mein Geist war unglaublich fokussiert. Es war Game-Time und ich hatte einen Job zu erledigen."

PSG hatte zu diesem Zeitpunkt seit März in jedem Ligaspiel getroffen, doch in Will Still und Stade Reims fanden PSG und die Superstars Kylian Mbappé und Co. ihre Meister. Reims ermauerte ein 0:0. In 13 Ligaspielen kassierte Reims unter Still insgesamt nur sieben Gegentreffer, traf dafür 14-mal. Nach dem 0:0 bei AJ Auxerre am Wochenende liegt das Team auf Platz zehn der Ligue 1.

Will Still von Stade Reims im Steckbrief

Nationalitäten

England, Belgien

Alter

30 Jahre (geboren am 14.10.1992)

Stationen vor Stade Reims

VV St. Truiden - Videoanalyst

Standard Lüttich - Videoanalyst, Co-Trainer

Lierse SK - Videoanalyst, Scout, Co-Trainer, Trainer

KFCO Beerschot - Videoanalyst, Co-Trainer

Beerschot V.A. - Trainer

Stade Reims - Co-Trainer

Amtsantritt bei Stade Reims

13. Oktober 2022

Punkteschnitt

1,77 (13 Ligaspiele)

Tabellenplatz

10 (gestartet auf 17)

Will Still: Wenn sogar der Schiedsrichter gratuliert

Doch nur mit Mauern kam Reims unter Still nicht zum Erfolg. Aus der eher ängstlichen 5-3-2-Grundformation seines Vorgängers Eric Garcia machte er ein 4-2-3-1 mit aggressivem Pressing. Als Reims zum Jahresabschluss 2022 Champions-League-Kandidat Rennes mit 3:1 aus dem Weg räumte, kam sogar Schiedsrichter Hakim Ben El Hadj auf Still zu: "Ich schüttelte seine Hand und er sagte: 'Was du machst, ist unglaublich, Kumpel!'", erzählte er vom Treffen mit dem Schiedsrichter.

Aber natürlich ist es auch harte Arbeit. Bereits mit 17 Jahren beendete Still seine aktive Karriere als defensiver Mittelfeldspieler - sehr zur Freude seiner Mutter. "Wenn ich erst einmal auf dem Platz stand, wurde ich zum dreckigsten Spieler überhaupt. Meine Mutter war beim Zuschauen immer peinlich berührt", erzählte Still einst der Daily Mail. Im Alltag sei er überhaupt nicht so. Mit 19 fokussierte er sich voll auf sein Dasein als Scout und Trainer.

Los ging es bei Preston North End in England. Dort besuchte Still das Myerscough College - und kümmerte sich ganz nebenbei um die U14 und später um die U18 des lokalen Klubs. "Danach wusste ich, dass es das Trainieren war, was ich unbedingt machen wollte."

Als er nach seiner Zeit am College wieder nach Belgien zurückkehrte, schrieb er jedes auffindbare belgische Fußball-Team an. Absage um Absage flatterte herein. Still dachte sich damals: "Ich bin jung und ein Niemand. Aber ich habe in Preston Erfahrung gesammelt und habe eine Expertise durch die College-Zeit. Kann ich in irgendeiner Form oder Hinsicht eine Hilfe sein?" Still zur Daily Mail: "Ein Nein folgte auf ein Nein folgte auf ein Nein. Tür um Tür wurde mir vor der Nase zugeknallt. Einige Leute sagten, dass sie mich in zwei Wochen zurückrufen würden, aber ich habe nie wieder etwas von ihnen gehört. Ich begann, die Hoffnung zu verlieren."

Doch dann geschah etwas, worauf Still in seiner Wahrnehmung ewig warten musste. "Und dann ließ der letzte Trainer, bei dem ich es probiert hatte, eine Tür für mich offen." Yannick Ferrera, damaliger Trainer beim belgischen Zweitligisten VV St. Truiden, gab Still eine Chance - bei dem Verein, für den Still in der Jugend-Akademie gespielt hatte. "Kannst du ein Spiel filmen? Kannst du ein Video schneiden? Unser erster Gegner in der Liga spielt morgen. Schau sie dir an, filme es, schneide es und gib mir in zwei Tagen Feedback", forderte Ferrera ihn auf. Still bejahte alles und machte sich an die Arbeit. Der Rest ist Geschichte.

Will Still: Football Manager bis 4 Uhr morgens

Wobei, nicht ganz. Denn Still brachte sich seine Fähigkeiten nicht nur im Videoraum, auf den Tribünen, auf dem Platz und an der Seitenlinie bei. In seiner Freizeit suchtete er das PC-Spiel Football Manager nach allen Regeln der Kunst. "Es gab Nächte, in denen ich um 22 Uhr dachte: 'Okay, ein letztes Spiel.' Und dann endete das um vier Uhr morgens. Doch das Verrückte ist, wie realistisch das Spiel ist", erzählte Still. Im echten Leben wie in der Virtualität managte er damals St. Truiden und verwendete die Spieldaten für sein Scouting in der Realität: "Es hatte definitiv einen großen Einfluss auf mein echtes Leben! Dieses Spiel hat das Feuer in mir entfacht, das ich jetzt als Trainer an der Seitenlinie habe."

Früher spielte er den Fußball-Manager zusammen mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Ed - auch er Profitrainer. Sie suchten sich ein Team aus, stellten den Kader gemeinsam zusammen, sorgten dafür, dass alles in die richtige Richtung lief, achteten auf alle Details. "Es gab nichts Besseres als das, auch wenn es nur virtuell war! Und dann tat ich das plötzlich in der Realität. Ich erinnere mich, als ich in St. Truiden war, versuchte ich, die Liga auch im Spiel mit ihnen zu gewinnen!"

Wo kann diese Reise noch hinführen? Seit Kindheitstagen ist Still Fan von West Ham United und soll seine Karrieren im Football Manager in der Regel dort beginnen. Nächste Station also Premier League?

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