Der verrückte Müllmann mit dem Iro

Von Andreas Königl
Louis Nicollin führt Montpellier seit 40 Jahren - am Ende der Saison ist aber Schluss
© getty

Der HSC Montpellier holte in der Saison 2011/12 völlig überraschend die erste Meisterschaft in der Ligue 1 und qualifizierte sich für die Champions League, vom internationalen Radar sind die Franzosen aber schnell wieder verschwunden. Neulich wurde das eigene Stadion durch Regenfälle total verwüstet und am Ende der Saison tritt auch noch die schillerndste Persönlichkeit des Klubs zurück - Präsident Louis Nicollin.

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Ein Bild der Zerstörung bot sich den Menschen im Stade de la Mosson. Zumindest beschrieb Laurent Nicollin die Szenerie im Stadion des HSC Montpellier mit diesen Worten. Die für November geplante 40-Jahr-Feier des Klubs musste abgesagt werden.

Ob auch sein Vater bei den Aufräumarbeiten Hand anlegte, ist nicht bekannt. Aber es wäre ihm zuzutrauen, trotz seiner mittlerweile 71 Jahre. "Ich weiß, was es heißt, mit den Händen in der Scheiße zu wühlen", sagt Louis Nicollin, der sich als junger Bursche seine ersten Francs im elterlichen Abfallbeseitigungsbetrieb verdiente.

Der Präsident des HSC Montpellier ist ein Mann mit Prinzipien, der sich nicht verbiegen lässt und kein Blatt vor den Mund nimmt. Auch wenn er damit immer wieder aneckt und in Frankreich schon für den ein oder anderen Skandal wegen homophoben "Schwuchtel"-Äußerungen gesorgt hat. Er liebt den Fußball - und vor allem seinen Klub.

"Versuchen uns treu zu bleiben"

"Wir versuchen, uns treu zu bleiben", sagte der in in Valence, 200 Kilometer nördlich von Montpellier, geborene Nicollin nach dem größten Erfolg der Vereinsgeschichte - der französischen Meisterschaft 2012. "Ohne die Werte der Paillade wäre dieses Abenteuer nicht möglich gewesen." Die Paillade ist jenes Arbeiterviertel, in dem das Stadion des Klubs steht - und gleichzeitig auch der Spitzname des Vereins.

Der existiert nach einigen Fusionen in seiner heutigen Form seit 1974, gegründet und aufgebaut von Nicollin. Der Weg in den letzten vier Jahrzehnten war beschwerlich und steinig, begleitet von zahlreichen Ab- und Aufstiegen - anfangs musste gar noch seine Frau Colette die Brötchen in der Imbissbude verkaufen.

Dennoch konnte der Exzentriker namhafte Spieler wie Eric Cantona, Roger Milla oder Carlos Valderrama an den Lez locken - Laurent Blanc reifte in der Jugend des Klubs gar zum späteren Starspieler.

"... und zack: Tittenfick!"

Harte Arbeit gepaart mit Leidenschaft und Hingabe führten über die Jahre hinweg schließlich zum großen Triumph 2012, wobei der Präsident offensichtlich seine eigene Art hat, zu feiern. "Jetzt noch ein Remis in Auxerre und zack: Tittenfick", tönte Nicollin vor dem letzten Saisonspiel, in dem Montpellier im direkten Vergleich mit Paris Saint-Germain ein Punkt bei der AJ Auxerre zum Titel reichte.

Auch wenn seine Firma mittlerweile einen Jahresumsatz von mehr als 300 Millionen Euro generiert, sieht sich Nicollin selbst als einen Mann der Unterschicht, der Arbeiterklasse - und macht dabei auch immer wieder in seiner gewohnten Art und Weise seinen Unmut gegenüber dem neureichen PSG deutlich.

"Ich versetzte mich in die Lage dessen Präsidenten, der ein unglaubliches Budget zur Verfügung hat", bekräftigte Nicollin, der Montpellier im Vergleich zu Scheich Nasser Al-Khelaifi in Paris nicht mit den Millionen aus seinem Privatvermögen überschüttet. "Wenn er Montpellier als Meister sieht, kann er sich eine Wurst in den Arsch stecken. Und selbst mit dieser Wurst würde es ihn wohl nicht so sehr schmerzen."

PSG als Feindbild

Der damalige Trainer Carlo Ancelotti bekam ebenfalls sein Fett weg. "Ich finde Courbis besser als Ancelotti", stellte Nicollin im Dezember 2011 einen Vergleich zum Aufstiegstrainer von Montpellier im Jahr 2009 auf. "Ich sehe nicht ein, was genau Ancelotti besser kann. Er hat Titel gewonnen, aber ihm wurde immer Geld zur Verfügung gestellt. Die größten Trainer sind diejenigen, die auch mit mittelmäßigen Spielern Titel gewinnen. Courbis ist sogar mit halb-behinderten Spielern in die Ligue 1 aufgestiegen."

Man darf es Loulou, wie er gerne genannt wird, nicht übel nehmen, wenn er hin und wieder aucg recht deftig gegen den eigenen Verein schießt - böse gemeint ist es sicherlich nicht und in den letzten Jahren dürfte man sich ohnehin daran gewöhnt haben.

Obwohl er aber selbst das ein oder andere Mal für Entgleisungen - zumindest verbale - gesorgt hat, kennt er beim Thema Gewalt keine Gnade. "Das sind keine Fans, das ist große Scheiße", so Nicollin über einige Randalierer in einem Ligaspiel gegen OGC Nice. "Um in Montpellier erfolgreich zu sein, brauchen wir ein volles Stadion. Leider leben wir in einer Stadt, in der die Menschen den Sport zwar lieben, aber doch zuhause bleiben."

Lieber Curling als Mozart

In Sachen Erziehung scheint er immerhin vieles alles richtig gemacht, beide Sprösslinge arbeiten im Klub - man kann auch hier fast von einem Familienunternehmen sprechen. "Meine Söhne sollen mit dem Sport aufwachsen und nicht mit klassischer Musik. Ich habe nichts dagegen, aber ich schaue mir lieber ein Curling-Match an, anstatt Mozart zu hören", so der sportbegeisterte Familienmensch.

Nicollin gilt als Institution beim HSC und als ein Unikat in Frankreich, doch am Ende der Saison ist es an der Zeit, das Zepter an die jüngere Generation abzugeben.

"Du kannst dich nicht mehr mit 40-Jährigen unterhalten. Die haben ihre eigenen Vorstellungen", erklärt der in die Jahre gekommene Nicollin. "Wenn du ihnen deine Meinung mitteilst, ist es keineswegs die gleiche und es kommt automatisch zu Konflikten. Sie fragen dich nach deinem Rat, aber das ist alles. Es ist nicht mehr so, wie es einmal war. Früher ging das noch besser."

"Mich nervt es, meinen eigenen Sohn anzuschreien"

Das Fundament ist in den letzten 40 Jahren ohnehin stark genug geworden, der Klub ist gefestigt und für eine positive Zukunft ist gesorgt.

"Montpellier ist ein professioneller Verein geworden", sagt Nicollin. "Mich nervt es auch, meinen eigenen Sohn anzuschreien. Deswegen lasse ich den Verein in Ruhe. Die müssen dann alleine zurechtkommen. Ich schaue mir weiterhin die Spiele an und versuche, es dabei zu belassen. Man sollte es nicht übertreiben."

Kaum zu glauben, dass diese Worte von Nicollin stammen - denn gerade das Übertreiben ist eine Paradedisziplin des scheidenden Präsidenten. Schließlich war er es auch, der sich seine Haare nach der Meisterschaft in den Vereinsfarben blau und orange färbte und eine angeblich 4500 Exemplare umfassende Trikotsammlung besitzt.

Und es wäre wohl sehr überraschend, wenn Nicollin nicht auch in der Zukunft für die eine oder andere Überraschung sorgen sollte - denn egal was man von ihm halten mag, ein bisschen verrückt ist er schon.

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