Kevin De Bruyne: Wie aus einem einst Verstoßenen ein Superstar bei Manchester City wurde

Von Niclas Seydack
Kevin De Bruyne hat einen steinigen Weg zum Superstar hinter sich.
© getty

Als Teenager erlebte er "die einsamsten Jahre seines Lebens", von seiner Gastfamilie wurde er einst ebenso verstoßen wie vom FC Chelsea. Heute ist Kevin De Bruyne einer der besten Spieler der Welt. Ein Rückblick.

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Diese Geschichte erschien zuerst auf DAZN.

Der 12. März 2015, 19:00 Uhr, Anpfiff zum Hinspiel im Sechzehntelfinale der Europa League: VfL Wolfsburg gegen Inter Mailand. Der Europapokal - das Schaufenster, in dem Talente sich in besonderen Spielen interessant spielen für die größten Klubs des Kontinents. Dieses Spiel in Wolfsburg, bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt, ist so ein Spiel.

Inter Mailand geht früh in Führung, schon in der 6. Minute. Danach wird Wolfsburg besser. Weil ein Mann das Spiel an sich nimmt. Es ist, als liefe an diesem Abend jeder Ball über den Fuß des 24-jährigen Kevin De Bruyne. Er gewinnt Zweikämpfe, er macht das Spiel breit, wenn er will, macht es schnell oder nimmt das Tempo raus. Sein Körper und sein Spiel sind pure Kontrolle und Eleganz. Nur der knallrote Kopf unter den roten Haaren passt nicht recht dazu.

28. Spielminute: Kevin De Bruyne schlägt eine Ecke scharf auf den Kopf von Verteidiger Naldo. 1:1.

63. Minute: Kevin De Bruyne nutzt einen Torwartfehler. 2:1.

Und dann, in der 75. Spielminute, legt sich Kevin De Bruyne den Ball zum Freistoß zurecht, läuft an und schießt. Der Ball flattert über die Mauer, setzt am Fünfmeterkreis auf. Und sitzt. Es ist einer dieser Bälle, die für die Zuschauer ungefährlich aussehen und für Torhüter so gut wie unhaltbar sind. Kevin De Bruyne läuft zur Eckfahne. Die Krönung einer überragenden Leistung gegen das große Inter Mailand. Er hebt beide Arme und streckt sie aus: Seht! Mich! An!

Wenige Monate später wechselt Kevin De Bruyne für 74 Millionen Euro zu Manchester City, er wird zweimal englischer Meister. 2018 wird er mit Belgien Dritter bei der Weltmeisterschaft in Russland. 2020 wählt ihn die FIFA zum Spielmacher der ihrer Weltauswahl. Pep Guardiola, sein Trainer in Manchester, sagt: "Kevin ist der beste Spieler der Welt."

Um das Phänomen Kevin De Bruyne zu verstehen, lohnt es sich, zurückzublicken: Wie wurde er, wer er heute ist? Sein Leben und seine Karriere sind Geschichten von einem, der sich treu geblieben ist - und dafür belohnt und bestraft wurde. Es sind Geschichten von einem, den seine Rückschlägen lehrten, wie es gelingt, die richtigen Entscheidungen zur richtigen Zeit zu treffen. Auf und neben dem Platz.

Nach seinen zwei Toren und einer Vorlage gegen Bayern sagte Wolfsburg-Torhüter Diego Benaglio, dass er zwar niemandem zu nahe treten wolle, aber dass De Bruyne "der Beste" sei, mit dem er je gespielt habe.
© imago images / Team 2
Nach seinen zwei Toren und einer Vorlage gegen Bayern sagte Wolfsburg-Torhüter Diego Benaglio, dass er zwar niemandem zu nahe treten wolle, aber dass De Bruyne "der Beste" sei, mit dem er je gespielt habe.

Kevin De Bruyne: Beidfüßig dank zerschossener Blumenkübel

Kevin De Bruyne, geboren am 28. Juni 1991 im ostflandrischen Drongen, fängt mit sechs Jahren das Fußballspielen an. Es gibt eine Anekdote aus dieser Zeit, die zeigt, wie begabt der Junge ist: Kevin kickt oft im Garten eines Freundes. Dabei zerdeppern sie häufiger die elterlichen Blumenkübel und werden dazu verdonnert, im Garten nur noch mit ihrem schwachen Fuß zu spielen. Kevin De Bruyne wird innerhalb kürzester Zeit beidfüßig, eine Stärke, von der er bis heute profitiert.

Es gibt bei YouTube einen Clip, der Kevin De Bruyne als Jugendspieler des KAA Gent im Finale des belgischen Jugendcups zeigt De Bruyne trägt schon damals die Trikotnummer 17, die er auch heute bei Manchester City trägt. Im Clip erzählt der niedlicher rotbackiger Junge mit strohblondem Topfschnitt einem Fernsehteam, wie sehr er den FC Liverpool liebt. Sein Lieblingsspieler und Vorbild: Michael Owen. Eines Tages, sagt er, will er auch in England spielen.

Einer, der Kevin De Bruynes Weg von Anfang an beobachtet, ist Ronny Van Geneugden. Der 52-Jährige baute im Jahr 2003 die Jugendakademie beim belgischen Erstligisten KRC Genk auf. Insgesamt, schätzt Van Geneugden, hat er 150 junge Menschen zu Fußballprofis gemacht, seine Akademie hat dabei zahlreiche Nationalspieler hervorgebracht: Thibaut Courtois, zum Beispiel, Divock Origi oder eben Kevin De Bruyne.

Kevin De Bruynes Jugend: Ein körperlicher Spätzünder

Wenn man Ronny Van Geneugden nach seiner ersten Erinnerung an Kevin De Bruyne fragt, erzählt er von einen dürren, kleinen 14-jährigen Jungen, der im Jahr 2005 in seiner Akademie auftaucht. Sein Talent sei offensichtlich gewesen, sagt Van Geneugden im Gespräch mit DAZN, aber es sei ihm schwer gefallen, sich gegen die anderen Jungen in seinem Alter durchzusetzen.

Viele Jungen in seinem Alter hätten den Wachstumsschub zu Beginn der Pubertät bereits hinter sich gehabt - Kevin De Bruyne nicht. Er ist ein körperlicher Spätzünder, der, um überhaupt mithalten zu können, technisch besser sein muss, als die Jungs, die ihn um zwei oder drei Köpfe überragen.

Vielleicht ist Kevin De Bruyne deshalb auch lauter als seine Mitspieler. Wenn ihm etwas im Training nicht gefällt, es zu langsam geht, Mitspieler zu schlecht sind oder nicht entschlossen genug, sagt er das direkt dem Trainerteam um Ronny Van Geneugden.

Sie mögen den fordernde Ton des Kleinsten in der Akademie, vor allem, weil sie nie den Eindruck haben, dass De Bruyne aus persönlicher Eitelkeit meckert - sondern weil er das ganze Team besser machen will. Van Geneugden sagt: "Viele Spieler bei uns hatten Talent, das sich mit seinem vergleichen ließ. Aber er hatte schon in diesem Alter die Mentalität, die es braucht, um wirklich erfolgreich zu werden."

Kevin De Bruyne: Seine Gastfamilie will ihn nicht mehr

Bloß: Mit dieser Mentalität eckt De Bruyne an. Während der Ausbildung in Genk wird er bei einer Gastfamilie untergebracht. Er schreibt gute Noten in der Schule, es gibt keinen Ärger mit ihm. Dafür hätte er auch weder die Zeit noch die Kraft. Wenn er vom Training kommt, oft spät am Abend, muss er Hausaufgaben machen und für Prüfungen lernen. Die anderen Jugendliche haben längst Bettruhe.

Rückblickend nennt er die Jahre in der Jugendakademie "die einsamsten meines Lebens". Als er für den Traum vom Profifußballer einmal quer durch Belgien gezogen war, von Gent im Westen nach Genk im Osten, hat er alles zurückgelassen: die Eltern, die Freunde, sein altes Leben. Nur wenn er auf dem Platz steht, verschwinden die Sorgen, die Zweifel. Dann ist da nur der Traum, Fußballprofi zu werden.

Am Ende des zweiten Akademiejahres packt er seine Sachen, um über den Sommer zu seiner Familie zurückzukehren. Als er zu Hause ankommt, sieht er seine Mutter weinen. De Bruyne denkt: Vielleicht ist jemand gestorben. Doch es kommt heraus, dass seine Gastfamilie nicht mehr wiedersehen will. Warum?, will De Bruyne wissen. "Weil du bist, wie du bist", erklärt ihm seine Mutter.

Die Gastfamilie mag ihn nicht, findet ihn schwierig, zu verschlossen, zurückgezogen. De Bruyne schnappt sich einen Fußball, stundenlang kickt er gegen einen Zaun. Allein und in Gedanken. "Weil du bist, wie du bist". Es geht ihm nicht aus dem Kopf. "Weil du bist, wie du bist." Muss er sich ändern? Muss er ein anderer werden, um akzeptiert zu werden? Nein, beschließt De Bruyne in diesem Moment. Im Gegenteil: Er muss der Welt zeigen, dass er genauso gut und richtig ist, wie er ist.

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