Außerdem verrät er, von welchem Star er als Kind ein Trikot im Zimmer hängen hatte, welcher Teamkollege ihn bei seinen Anfängen auf Schalke am meisten unterstützte und was sich nach dem Überfall auf ihn und Mesut Özil veränderte.
Herr Kolasinac, wann ist der Fußball in Ihr Leben getreten?
Sead Kolasinac: Schon als kleines Kind wollte ich immer nur einen Ball haben. Wenn ich geschrien habe, haben meine Eltern mir einen Ball gegeben und ich war ruhig. Nach der Schule und den Hausaufgaben bin ich mit meinen Freunden sofort auf den Bolzplatz zum Spielen. Und bis heute ist Fußball ein sehr wichtiger Teil in meinem Leben.
Wie würden Sie Ihre Kindheit beschreiben?
Kolasinac: Ich hatte eine schöne Kindheit. Mit meinen Eltern und meinen beiden Geschwistern bin ich in Karlsruhe groß geworden. Familie ist sehr wichtig für mich. Ich habe aus der Zeit auch noch viele Freunde. Leider ist zu einigen von ihnen der Kontakt mit den Wechseln nach Gelsenkirchen und dann London etwas weniger geworden. Ansonsten war ich als Kind eigentlich nur auf dem Sportplatz zu finden. Damals hatten wir noch keine Handys. Aber wenn die Laternen angegangen sind, wussten wir, dass es 19 Uhr ist und wir nach Hause müssen.
Was ist typisch bosnisch an Ihnen, was typisch deutsch?
Kolasinac: Ich kann sehr schnell auf 180 sein, das ist vielleicht eher typisch bosnisch. Und typisch deutsch, dass ich sehr pünktlich bin und das auch mag, wenn Leute zur verabredeten Zeit kommen. Auch wenn ich zum Interview zu spät war. (lacht)
Welche Rolle spielt Religion für Sie?
Kolasinac: Ich bin im muslimischen Glauben aufgewachsen. In den Sommerferien waren wir fast immer die vollen sechs Wochen in Bosnien. Da ist die Religion überwiegend muslimisch. Und ich finde es wichtig, an das zu glauben, was einem die Eltern vermittelt und beigebracht haben.
Sead Kolasinac: "Bonucci hat mich fasziniert"
Waren Sie immer schon so kräftig gebaut?
Kolasinac: Ja, ich war schon als Kind relativ stabil. Mit 16 Jahren bin ich mit meinen Jungs zum ersten Mal ins Fitnessstudio gegangen. Da es mir sehr viel Spaß gebracht hat, bin ich dabei geblieben.
Welche Spieler waren Ihre Vorbilder?
Kolasinac: Zinedine Zidane. Ich fand ihn von seinen Spielanlagen überragend und habe ihm immer sehr gerne zugeschaut. Deshalb hatte ich Poster von ihm an der Wand. Aber das war zu meiner Zeit als Sechser. Als ich dann in der Abwehr gespielt habe, habe ich mich an den großen Stars in der Defensive orientiert. Leonardo Bonucci von Juventus Turin hat mich fasziniert, wie er kommuniziert und sich auf dem Platz präsentiert. Von ihm wollte ich mir eine Scheibe abschneiden.
Sie sind mit acht Jahren zum Karlsruher SC gewechselt. Wie kam es dazu?
Kolasinac: Mit meinem Heimatverein hatten wir ein Spiel gegen den KSC. Der Trainer hat dann mit meinem Vater gesprochen, ob ich nicht mal vorbeischauen möchte. Ich wollte aber zuerst weiter mit meinen ganzen Freunden spielen. Aber dann sind wir doch hin und scheinbar habe ich mich nicht so schlecht angestellt. Ich durfte bleiben.
Haben Sie damals schon von der großen Profikarriere geträumt?
Kolasinac: Klar, das will glaube ich jedes Kind. Aber damals war das noch nicht wirklich so ausgeprägt, da ging es ja vornehmlich um Spaß. Erst so mit 16 Jahren realisiert man dann, wo die Reise wirklich hingehen kann.
In diesem Alter erfolgte der Wechsel zu Hoffenheim.
Kolasinac: Das war eine Zeit, als Hoffenheim in die Bundesliga aufgestiegen ist und sehr viel Wert auf die Jugendarbeit gelegt hat. Ich war zudem an einem Punkt, an dem ich dachte, dass ich mich nicht mehr weiterentwickeln kann und den nächsten Schritt machen muss. Und so bin ich in die U17 der TSG gewechselt.
Sead Kolasinac: "Ohne ihn würde ich jetzt nicht dieses Interview führen"
Schon nach kurzer Zeit ging es weiter zum VfB Stuttgart. Warum?
Kolasinac: Auch ich hatte eine Phase in der Pubertät, in der ich ein wenig Blödsinn im Kopf hatte. Man dachte, man wäre der Größte. Man konzentriert sich nicht mehr auf die Aufgaben, sondern denkt, dass alles ein Selbstläufer ist.
Mit dem Wissen von heute: Was hätten Sie damals anders gemacht?
Kolasinac: Damals bin ich jung und naiv durch die Welt gegangen und dachte, mir kann keiner was. Ich habe zu der Zeit auch nicht auf meinen Körper geachtet und alles gegessen, was auf den Tisch kam. Ähnlich verhält es sich mit der Pflege und Behandlung des Körpers. Das war mir früher egal, denn ich dachte, dass ich das nicht brauche. Heute weiß ich, dass man das alles beachten muss, um professionell und erfolgreich Fußball zu spielen. Das habe ich schnell gelernt.
Sie sagten einmal, dass sich mit dem Wechsel nach Schalke zu Norbert Elgert alles verändert hat. Warum?
Kolasinac: Ohne ihn würde ich jetzt nicht dieses Interview führen. Er hatte unglaublichen Einfluss und mich auf den richtigen Weg gebracht. Das hätte kein anderer geschafft.
Erinnern Sie sich an das erste Treffen mit Elgert?
Kolasinac: Es war vor seiner Trainerkabine. Er hat geredet und ich habe ihm in die Augen geschaut. 15 Minuten ging das und ich habe den Augenkontakt nicht verloren. Das hat ihn vielleicht auch ein wenig beeindruckt. Er gab mir eine Chance. Ich wollte ihn nicht enttäuschen, und ich wollte meine Familie nicht mehr enttäuschen, wie ich es zweimal zuvor getan habe. Deswegen habe ich auf Schalke so professionell gearbeitet und meinen inneren Schweinehund überwunden.
Warum hat Norbert Elgert das geschafft, was andere Trainer zuvor nicht geschafft haben?
Kolasinac: Einfach weil er Norbert Elgert ist. Wenn er vor Dir steht, mit seiner Aura. Wie er uns trainiert, wie er Fehler aufgezeigt hat. Aber auch, wie wir es besser machen können. Und das nicht nur auf sondern auch außerhalb des Platzes. Die Chemie stimmte einfach.
Welcher Ratschlag war der wichtigste für Sie?
Kolasinac: Das professionelle Leben nach dem Training und Spiel, mit der Regeneration und dem gesunden Essen. Und dass wir uns nicht nachts um 1 oder 2 Uhr irgendwo sehen lassen sollen. Denn dafür hätten wir nach unserem Karriereende noch genügend Zeit.
Sead Kolasinac über die Knappenschmiede und Norbert Elgert
War es schwierig, so zu leben?
Kolasinac: Nein. Zum einen habe ich es mir selbst verboten und zum anderen war der Respekt vor Norbert Elgert zu groß, als dass ich ihn nicht enttäuschen wollte. Und deshalb habe ich alles, was vorher war, beiseite geräumt.
Wie würden Sie die Zeit in der Knappenschmiede insgesamt bewerten?
Kolasinac: Die Knappenschmiede ist etwas ganz Besonderes. Vor allem wegen Norbert Elgert. Ich kann nur jedem empfehlen, die Chance wahrzunehmen, mit ihm zu arbeiten.
Wie hart war die erste Zeit in Gelsenkirchen ganz ohne Familie?
Kolasinac: Das war sehr hart. Ich kannte niemanden, kam in ein Internat und zu einer Gastfamilie. Ich hatte Glück, dass ich von den anderen Spielern sehr gut aufgenommen wurde. Die anderen drei Internat-Kinder waren zwar alle in der U17 und ich in der U19, aber wir haben uns dennoch sehr gut verstanden. So war es einfacher, mich einzuleben.
In der Jugend wurden Sie immer als Innenverteidiger oder im defensiven Mittelfeld eingesetzt. Und auf einmal bei den Profis als Linksverteidiger. Wie kam es unter Trainer Huub Stevens dazu?
Kolasinac: Das war im Trainingslager. Da kam er zu mir und sagte, dass wir fünf Innenverteidiger hätten und ich ohne Chance wäre. Aber er fragte mich auch, ob ich links spielen könnte, weil da nur zwei Spieler vor mir wären. Ich war mir nicht sicher, aber Huub Stevens war der Meinung, dass ich das könnte, und ich musste fortan auf der linken Seite trainieren. Das war eine Umstellung. Aber auch da war Norbert Elgert eine große Hilfe. Ich habe vor dem nächsten Training mit ihm zusammengesessen und er hat mir an der Taktiktafel gezeigt, wie ich zu stehen habe und wie ich einschieben muss.
Sead Kolasinac: "Gegen Robben kann man eigentlich nicht verlieren"
Nach ein paar Kurzeinsätzen in der Bundesliga kam Ihr Startelf-Debüt für Schalke. Und das in Montpellier in der Champions League. Was war das für ein Gefühl?
Kolasinac: Wir waren ja schon eine Runde weiter und der Trainer hatte Wechsel angekündigt. Ich hatte es geahnt und war sehr aufgeregt. Die älteren Spieler wie Christoph Metzelder, Benedikt Höwedes oder auch schon Julian Draxler haben mir die Angst genommen und mich motiviert. Im Spiel hat sich die Nervosität schnell gelegt.
Auch in der Bundesliga haben Sie dann von Anfang an gespielt. Und das gleich in München gegen Arjen Robben. Wie haben Sie die Nacht vor der Partie geschlafen?
Kolasinac: Gegen Arjen Robben kann man eigentlich nicht verlieren, sondern nur gewinnen. Jeder kennt seine Qualitäten. Seine schnelle Antrittsbewegung ist beeindruckend. Das Tempo war so unglaublich hoch und ich wusste, dass ich noch sehr hart an mir arbeiten muss. Wir lagen schon zur Halbzeit klar zurück und haben verloren (lacht).
Es ging weiter mit den Top-Stars als Gegner. Sie durften im Achtelfinale der Champions League bei Galatasaray gegen Didier Drogba ran.
Kolasinac: Da war ich wirklich sehr aufgeregt. Denn ich hatte nicht damit gerechnet, zu spielen. Und dann kommt man in das Stadion und hört den Nebenmann nicht, so laut war das. Aber wie schon gesagt, im Spiel fällt das schnell ab. Drogba war gefühlt vier Köpfe größer und doppelt so breit. Wir sind dann irgendwann Kopf an Kopf zusammengerasselt. Das tat richtig weh.
Mussten Sie sich zu der Zeit manchmal keifen, dass es so gut läuft?
Kolasinac: Das schon. Aber wir wurden von Nobert Elgert in der U19 genau auf solche Einsätze vorbereitet, um ohne Angst in diese Spiele zu gehen. Das Training bei ihm ist deshalb auch schon wie im Seniorenbereich.