Pressekonferenzen von Jose Mourinho können mitunter sehr pathetisch werden. Gerade dann, wenn sich der Portugiese mit seinen Teams unter Druck gesetzt fühlt. Gerne lässt der 52-Jährige auch Giftpfeile auf die Medien, Schiedsrichter und Konkurrenten fliegen.
"Im Mai 2004 nach meinem Champions-League-Sieg mit dem FC Porto sagte ich bereits, dass eines Tages in meiner Karriere die schlechten Ergebnisse kommen würden. Ich erwähnte aber auch, dass ich diese Ergebnisse mit derselben Ehrlichkeit und Hingabe wie im Moment des Erfolges angehen würde."
Was Jose Mario dos Santos Felix Mourinho im Rahmen des Champions-League-Spiels bei Dynamo Kiew von sich gab, war nicht nur richtig, sondern auch einer dieser berüchtigten Momente, in denen der Portugiese seinen eigenen Mythos zu erschaffen scheint.
Negativrekord und Schein-Ultimatum
Mourinho erklärte den Journalisten die Welt, wusste als allsehender Weiser bereits Jahre vorher vom heraufziehenden Unheil und vermittelte gleichzeitig die subtile Botschaft: Nur ich kann mit der aktuellen Krise beim FC Chelsea umgehen. Oder wie er selbst sagt: "Die Situation ist neu für mich, gerade deswegen bin ich ja ein guter Trainer. Wäre ich ein schlechter Coach, wären diese Probleme schon viel früher aufgetaucht."
Mit dem Titelverteidiger steht er nach zwölf Spieltagen auf dem 16. Platz in der Premier League, hat mit 26 Gegentreffern nur sechs Tore weniger kassiert als in der gesamten Vorsaison und liegt bereits 15 Punkte hinter dem Tabellenführer aus dem himmelblauen Teil Manchesters. Mou hat erstmals in seiner Karriere sieben Niederlagen während einer Saison hinnehmen müssen - nach nicht einmal einem Drittel der Saison wohlgemerkt.
Englische Medien sprachen nach dem Aus im Capital One Cup von einem Ultimatum. Die Spiele gegen Dynamo Kiew und Stoke City seien richtungweisend für die persönliche Zukunft des Portugiesen. Nach einem Sieg und einer Niederlage mehren sich die Stimmen, die Mourinhos Fluch der dritten Saison heraufbeschwören.
Three and out?
Fabio Capello ist der Meinung, dass Teams des Portugiesen nach drei Spielzeiten schlicht ausgebrannt seien. Ausgerechnet Lieblingsschüler Didier Drogba gab diesen Aussagen in seiner Biografie neue Nahrung: "Ich denke, die Dinge kommen oft in dreijährigen Zyklen. Zu Beginn von Joses vierter Saison hatten wir einen Punkt erreicht, an dem uns seine Message nicht mehr so gut erreichte. Wir wollten ihm zuhören, aber wir hatten etwas von dem verloren, was uns so besonders gemacht hatte."
Länger als vier Spielzeiten blieb Mourinho nie bei einem seiner Klubs. Porto und Inter verließ er im zweiten beziehungsweise dritten Jahr nach dem Gewinn der Königsklasse, seine erste Amtszeit bei den Blues endete im Herbst der vierten Spielzeit. Erschreckend ähnlich wirken aktuell jedoch die Parallelen zu seiner dritten Saison in Madrid.
Nachdem Mourinho als Heilsbringer von Inter in die spanische Hauptstadt geholt worden war, brachte er zunächst den Erfolg auf nationaler Ebene zurück, scheiterte jedoch letztlich an La Decima, dem übergeordneten Ziel seiner Amtszeit. Nach dem Meistertitel in seiner zweiten Saison wurden ihm im Jahr darauf der deutliche Rückstand auf Barcelona in der Liga und die Finalniederlage in der Copa del Rey gegen Atletico zum Verhängnis.
Verbrannte Erde in Madrid
Laut spanischer Gerüchteküche sollen einige Spieler sogar den Pokalsieg für die Entlassung des Trainers geopfert haben. Mourinhos Teams zeichnete immer aus, dass seine Spieler für ihn durchs Feuer gingen, weil ihr Trainer sich seinerseits für sie zur medialen Zielscheibe machte. In Madrid schienen sich beide Parteien am Ende eher zu bekämpfen.
Mourinho fehlte der Rückhalt im Team, weil er sich mit Sergio Ramos und Iker Casillas anlegte. Letzteren machte er sogar als Maulwurf in der Kabine aus und verbannte die Klublegende auf die Bank. Von einer schwarzen Liste war fortan die Rede, auf der Mou jeden Spieler setzte, auf den er sich seiner Meinung nach nicht verlassen konnte.
Mourinho begann völlig untypisch für seine Arbeitsweise die Spieler für Niederlagen verantwortlich zu machen. In Kombination mit dem Schüren von übermäßigem Hass gegenüber Erzrivale Barca und Aussetzer wie dem Finger in Tito Villanovas Auge verspielte er endgültig seinen Kredit bei Fans, Spielern und Verantwortlichen. Laut der spanischen Biografie "The Special One" sprachen sich auf einem Geheimtreffen letztlich 15 von 22 Spielern gegen den Trainer aus.
Mou gegen den Rest der Welt
Jose Mourinho anno 2004 wollte Krisen mit Hingabe und Aufrichtigkeit begegnen, der Trainer von 2015 eröffnet jedoch den Kleinkrieg mit dem Rest der Welt. Im Oktober entließ er die beliebte Teamärztin Eva Carneiro, weil diese aus Mourinhos Sicht zu früh zum angeschlagenen Eden Hazard auf das Spielfeld gelaufen war und somit eine kurzfristige Unterzahl wegen der Behandlungspause heraufbeschwor.
Seine Schiedsrichterschelten uferten im Auswärtsspiel gegen West Ham dermaßen aus, dass er den Unparteiischen in der Pause vor deren Kabine auflauerte und Erklärungen forderte. Im Spielbericht vermerkte Referee Jonathan Moss: "Zu diesem Zeitpunkt wurde Mourinho sehr aggressiv. Er hat geschrien: "Ihr scheiß Schiedsrichter seid schlecht. Wenger hat Recht. Ihr seid verdammt schlecht."
Noch beziehen sich Mourinhos Verschwörungstheorien nur auf Medien und Schiedsrichter, sein Team und die Offiziellen glaubt er noch hinter sich zu wissen. Gerüchten zufolge scheint dieser Rückhalt aber langsam zu bröckeln. Trotz aller Treubekenntnisse von John Terry und Cesc Fabregas bezog sich BBC Radio unlängst auf einen nicht näher genannten Spieler, der lieber verlieren würde, als für den Trainer zu siegen.
Mourinho-Sprechchöre an der Stamford Bridge
Auch Mourinho selbst soll im Hinblick auf potentielle Wintertransfers von "faulen Äpfeln" gesprochen haben, die er aussortieren müsse. Wenn die Spieler gegen ihn spielen würden, so sagte er unlängst auf einer Pressekonferenz, wäre das schließlich nicht sein Fehler.
Trotz der prekären Situation genießt Mourinho nach wie vor einen exzellenten Ruf bei den Blues. Als erfolgreichster Trainer der Vereinsgeschichte erfährt er nicht nur von altgedienten Spielern wie Terry größten Respekt, sondern darf sich der Zuneigung der Fans gewiss sein. Nach der Niederlage gegen Liverpool stimmten die Anhänger demonstrativ Jose-Mourinho-Sprechchöre an.
Nichtsdestotrotz beginnt das Gebilde langsam zu wackeln. Die Unterstützung in einem Team, in dem derzeit nur Willian Normalform erreicht, schwindet langsam. Die Nachfolgerdiskussion nimmt Fahrt auf. Größtes Faustpfand des Portugiesen dürfte dabei der derzeit recht überschaubare Trainermarkt sein. Carlo Ancelotti wird gehandelt, ist aber aufgrund einer Rücken-OP erst im Sommer verfügbar und hat wie Guus Hiddink eine unerfreuliche Vorgeschichte an der Stamford Bridge.
Schicksalsspiel gegen Norwich?
Attraktiver Fußball hat Mourinhos Teams selten ausgezeichnet, der spielerische Ansatz der Vorsaison ist in einer verunsicherten Mannschaft kaum zu erkennen. Einzig Ergebnisse, können The Special One in dieser Phase vor einem weiteren Three-and-Out retten. Ein Sieg am Samstag gegen Norwich scheint Pflicht.
"Natürlich stehe ich unter Druck, denn jeder Trainer in diesem Land bis auf eine Ausnahme braucht Ergebnisse", sagt Mourinho. Er würde es wohl nie zugeben, aber in diesen Tagen würde er wohl gerne mit eben jener Ausnahme tauschen: Arsene Wenger.