Jets am Wohnzimmerfenster

SID
Andreas Beck hat bei Besiktas eine tragende Rolle
© seskim

SPOX-Kolumnist Andreas Beck spielt in der Türkei für Besiktas. In nicht immer leichten Zeiten fühlt er sich noch immer wohl in Istanbul, vermisst aber Mario Gomez. Er berichtet über das Geschehen.

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Ein herzliches Merhaba aus dem heißen Istanbul,

auch in der Türkei ist die Sommerpause vorbei. Am Samstagabend starten wir mit einem Heimspiel gegen Aufsteiger Alanyaspor in die neue Saison, schon am letzten Wochenende hatten wir das Supercup-Spiel gegen Galatasaray - das wir leider im Elfmeterschießen verloren haben. Eine ärgerliche Niederlage, wir hätten unseren Fans zum Auftakt gerne gleich mal einen Titel geschenkt. Möglich wäre das gewesen, wir waren aus meiner Sicht nicht die schlechtere Mannschaft.

Aber das zeigt zumindest, dass wir für das erste Punktspiel bereit sind. Wir haben uns schließlich einiges vorgenommen. In erster Linie natürlich die Titelverteidigung in der Liga. Und dann wollen wir versuchen, in der Champions League für die eine oder andere positive Überraschung zu sorgen.

Wir wissen allerdings auch, dass die Meisterschaft kein Selbstläufer wird. Bei Fenerbahce und Galatasaray war man letzte Saison nicht so ganz begeistert davon, dass man hinter uns gelandet ist. Beide Klubs haben sich ordentlich verstärkt. Wir selbst befinden uns etwas im Umbruch. Uns haben einige Spieler verlassen, die sehr wichtig waren, vor allem im Offensivbereich. Mario Gomez hat in der Liga 26 Tore erzielt, Jose Sosa sieben - und er hat noch zwölf vorbereitet. Auch Gökhan Töre hat in engen Partien mit seiner individuellen Klasse den Unterschied ausmachen können. Das müssen wir erst einmal kompensieren. Ich bin überzeugt davon, dass uns das gelingen wird. Aber wahrscheinlich nicht von heute auf morgen, das braucht Zeit und Geduld.

Andreas Beck bei Facebook

Ich persönlich vermisse vor allem Mario. Nicht nur auf dem Platz. Wir haben uns auch abseits des Feldes sehr gut verstanden und viel miteinander unternommen. Nach seinem Abschied wurde ich ziemlich häufig gefragt, ob ich ihn denn verstehen würde. Er hatte ja die politische Situation als Grund für seinen Wechsel angegeben. Ganz ehrlich: Ich maße mir da kein Urteil an. Da ist eine individuelle Entscheidung, die jeder für sich selbst treffen muss. Und die ich folgerichtig auch respektiere.

Ich selbst fühle mich nach wie vor wohl hier. Istanbul ist eine fantastische Stadt, was aus meiner Sicht aber nicht nur mit den Sehenswürdigkeiten zusammenhängt. Es sind vor allem die Menschen, die den Charme einer Stadt prägen. Und die Menschen hier strahlen eine enorme Herzlichkeit und Lebensfreude aus. Ich wurde hier vor einem Jahr überall mit offenen Armen empfangen, das werde ich nicht vergessen.

Meine Familie und ich kapseln uns auch nicht ab, sondern versuchen, so gut wie möglich am Leben dieser Stadt teilzuhaben. Dazu gehört für mich auch, dass wir versuchen, uns in der Landessprache zu verständigen. Das ist für mich eine Frage des Respekts gegenüber den Menschen hier. Deshalb habe ich einen Teil der Sommerpause auch dazu genutzt, in Istanbul einen Intensiv-Sprachkurs zu belegen. Aktuell übe ich täglich mit einer App. Grammatikalisch ist das Ergebnis noch sehr überschaubar - aber zumindest das Vokabular ist so, dass ich mich verständigen kann.

Aber: Nur, weil mich in Istanbul wohl fühle, heißt das nicht, dass ich mit geschlossenen Augen durch die Welt gehe und in einer Fußballer-Blase durch Istanbul wabere. Während des Putschversuches flogen die Jets fast an meinem Wohnzimmerfenster vorbei, der Alltag kam für kurze Zeit zum Erliegen. Und ich habe auch die Bilder der Anschläge gesehen und mit den Angehörigen der Opfer gelitten. Das lässt einen nicht kalt. Aber die Istanbuler lassen sich von nichts unterkriegen, das finde ich beeindruckend.

Und vielleicht können wir als Fußballer ja einen kleinen Teil dazu beitragen, die Menschen glücklich zu machen. Ich bin mir sicher, dass auch am Samstag wieder 40.000 Menschen in unser neues Stadion kommen und uns nach Leibeskräften anfeuern werden. Das sorgt für eine Energie, wie ich sie so noch nie im Fußball erlebt habe. Das ist ein riesiger Ansporn. Und eine riesige Verpflichtung.

Herzliche Grüße,

Euer Andi

Andreas Beck, geboren am 13. März 1987 in Kemerowo (Russland), durchlief sämtliche Junioren-Nationalmannschaften des DFB und spielte ab 2009 neun Mal für die Nationalmannschaft. Beck spielte über 200 Mal in der Bundesliga und wurde 2007 mit dem VfB Stuttgart Deutscher Meister. Ein großer Erfolg war auch die Europameisterschaft 2009 mit der U21-Nationalmannschaft. Nach über zehn Jahren in der Bundesliga wechselte Beck zu Beginn der Saison zu Besiktas in die Türkei.

Andreas Beck im Steckbrief