Eine Horrorverletzung stoppte ihn nicht! Der Aufstieg des Riccardo Calafiori

Von Mark Doyle
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Knapp sechs Jahre nach einer Horror-Verletzung avancierte Calafiori zu einem der Shootingstars der EM 2024 - und wechselt nun wohl zu Arsenal.

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Riccardo Calafiori war 16 Jahre alt, hatte gerade erst seinen ersten Profivertrag bei der Roma unterschrieben - und plötzlich sagte man ihm, dass seine Karriere bereits vorbei sein könnte. Bei einem UEFA-Youth-League-Spiel gegen Viktoria Pilsen war sein rechtes Knie so stark angeschwollen, dass es dreimal so groß war wie das linke, nachdem Pilsens Vaclav Svoboda zu einem schockierenden Tackling gegen ihn angesetzt hatte.

Einige der Spezialisten, die die Verletzung begutachteten, konnten nicht glauben, was sie gesehen hatten: Alle Bänder waren gerissen, ebenso wie der Meniskus und die Gelenkkapsel. "So etwas passiert normalerweise nur beim Motocross, nicht beim Fußball", sagte ein Mediziner dem Corriere dello Sport. "Das ist eine Verletzung, die nur einmal alle zehn Jahre vorkommt."

Im Nachhinein sagte Calafiori, er habe wahrscheinlich Glück gehabt, dass es passiert ist, als er noch so jung war, weil er den Ernst der Lage damals noch nicht ganz begriffen hat. Aber das macht seine starke Reaktion auf einen so schweren Rückschlag nicht weniger bemerkenswert.

"Es ist an der Zeit, wirklich alles aus mir herauszuholen, was ich in mir habe", schrieb er auf Instagram nur einen Tag, nachdem seine ganze Welt auf den Kopf gestellt worden war. "Dieses Mal gibt es kein entscheidendes Match, kein Finale zu gewinnen ... Vor mir liegt die wichtigste Schlacht meines Lebens und ich kann auf keinen Fall klein beigeben. Es ist an der Zeit, den Jungen, den manchmal kleinen Jungen, der ich bis jetzt war, beiseite zu legen und ein MANN zu werden."

Calafiori weiter: "Eine schwere Knieverletzung wird mich für eine lange Zeit außer Gefecht setzen und mich vom Spielfeld fernhalten, aber der Wunsch, stärker als zuvor zurückzukommen, wird jeden Tag größer. Zum x-ten Mal stehe ich vor einer sehr schwierigen Herausforderung, aber wie immer werde ich gewinnen!!!"

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Riccardo Calafiori und sein langer Weg zurück

Calafiori war 347 Tage lang außer Gefecht gesetzt, bevor er zu Beginn der Saison 2019/20 sein Comeback in einem Spiel der Primavera der Roma gab. Es überraschte nicht, dass Zweifel aufkamen, ob er nach der "härtesten" Reise seines Lebens noch derselbe Spieler sein würde.

Immerhin genoss Calafiori vor seiner Verletzung bei der Roma ein hohes Ansehen. Selbst in der ersten Mannschaft wusste man um sein großes Talent. So lief Edin Dzeko nach seinem Treffer im Champions-League-Spiel der A-Mannschaft gegen Pilsen nur wenige Stunden, nachdem Calafiori ins Krankenhaus gebracht worden war, zur Bank und hielt ein Trikot mit dem Namen und der Rückennummer des Youngsters hoch.

Zweieinhalb Jahre später bereitete Calafiori dann als linker Außenverteidiger den entscheidenden Ausgleichstreffer des Bosniers im Viertelfinalrückspiel der Europa League gegen Ajax vor. Eine emotionale Geschichte zwischen Calafiori und Dzeko!

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Riccardo Calafiori: Von José Mourinho nicht gefördert

Damals waren die Roma-Fans optimistisch, dass der Klub einen weiteren "bandiera" (wörtlich: "Fahne" auf Italienisch, aber eher ein "Symbol" im sportlichen Sinne) wie Francesco Totti und Daniele De Rossi ausgegraben hatte - einen einheimischen Jungen, der dazu bestimmt war, eine Legende der Giallorossi zu werden.

Paulo Fonseca, der damalige Trainer der Roma, hütete sich vor solchen Übertreibungen und betonte, dass Calafiori "Zeit zum Wachsen" brauche, ohne dass übermäßiger Druck auf seinen jungen Schultern laste. "Ihn plötzlich so zu behandeln, als sei er der Beste der Welt, ist nicht hilfreich für den Spieler", warnte der Portugiese. "Aber wir vertrauen darauf, dass er eine große Zukunft haben wird." Nur leider nicht bei der Roma.

Fonseca verließ den Verein im Sommer 2021 und wurde durch José Mourinho ersetzt. Einen Trainer, der der Förderung junger Talente bekanntermaßen nicht immer ausreichende Wichtigkeit einräumt. So war dieser Trainerwechsel dann auch für Calafioris Hoffnungen, sich bei der Roma durchzusetzen, ein herber Dämpfer.

Es kam wenig überraschend, dass Mourinho Calafiori - zusammen mit Bryan Reynolds und Marash Kumbulla - im Oktober 2021 vor die Tür setzte, um seinem neuen Arbeitgeber eine deutliche Botschaft zur angeblichen Schwäche des Roma-Kaders zu übermitteln.

Weniger als drei Monate später wurde Calafiori nach Genua ausgeliehen. Und am Ende der Saison 2021/2022 verkaufte die Roma ihr Talent aus dem eigenen Stall dann für nur 2,6 Millionen Euro Ablöse an den FC Basel.

Gewissensbisse bei der Roma

Der aktuelle Roma-Trainer De Rossi gab kürzlich zu, dass er den Abgang von Calafiori immer noch nur "schwer verdauen" kann.

Nachdem er im Januar 2024 als Nachfolger Mourinhos als Trainer zur Roma zurückgekehrt war, ist er nach wie vor empört darüber, dass ein so vielversprechender Spieler den Verein verlassen durfte - und das für eine so geringe Ablösesumme, ohne dass eine Rückkauf- oder Weiterverkaufsklausel vereinbart wurde. De Rossi räumt ein, dass Calafiori als Teenager noch nicht bereit war, wöchentlich auf höchstem Niveau zu spielen, aber sein Potenzial war offensichtlich.

Noch frustrierender für den ehemaligen italienischen Mittelfeldspieler ist, dass er die ganze Zeit schon ahnte, Calafiori hätte das Zeug zu einem guten Innenverteidiger - und genau das ist er geworden, nicht zuletzt dank eines ehemaligen Nationalmannschaftskollegen von De Rossi, dank Thiago Motta.

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Riccardo Calafiori: Über Basel nach Bologna

Calafiori wollte die Roma eigentlich gar nicht verlassen, hatte aber das Gefühl, dass er damals keine andere Wahl hatte. "Ich habe unter Mourinho bei der Roma ein bisschen gespielt, aber ich wollte mehr spielen, also bin ich nach Genua gegangen, aber es lief nicht gut", sagte er vor kurzem. "Dort gab es auch keinen Platz für mich, also ging ich nach Basel."

Von dem Schritt in die Schweiz war er anfangs nicht vollends überzeugt, wie er zugibt. "Aber ich habe meine Meinung sofort geändert. Dort gibt es alles, was ein junger Spieler braucht, um sich zu entwickeln. Ich habe zum ersten Mal 30 Spiele gemacht, was mir geholfen hat, zu wachsen."

Als Heiko Vogel im Februar 2023 Alexander Frei als Baseler Trainer ablöste, bekam Calafiori dann auch mehr und mehr Einsatzzeit als Innenverteidiger. Zuvor hatte er meist auf der linken Seite gespielt.

Bologna beobachtete ihn mit großem Interesse und kaufte ihn am Ende seiner einzigen Saison in der Schweiz für nur vier Millionen Euro. Bolognas damaliger Trainer Thiago Motta war überzeugt, dass Calafiori die Art von vielseitigem Spieler ist, der in seiner 4-3-3-Formation herausragen könnte, wenn er dauerhaft im Abwehrzentrum eingesetzt würde.

Basel machte jedoch nicht denselben Fehler wie die Roma. Eine Weiterverkaufsbeteiligung in Höhe von 40 Prozent wurde in den Vertrag aufgenommen, was bedeutet, dass die Schweizer einen ordentlichen Gewinn mit einem Spieler machen werden, der bereits die Aufmerksamkeit einiger der größten Klubs auf sich zog, bevor er sich einem breiteren Publikum mit herausragenden Leistungen für Italien bei der EM 2024 präsentierte.

Riccardo Calafiori "passt perfekt zum Spielstil von Pep Guardiola"

Die Saison 2023/24 als Calafioris Durchbruch zu bezeichnen, wäre fast untertrieben. Er war absolut überragend, als Bologna den italienischen Fußball verblüffte und sich über einen fünften Platz in der Serie A für die Champions League qualifizierte. Dabei beeindruckte Calafiori ein Land, das für seine guten Verteidiger bekannt ist, mit seinem Spielverständnis und seiner enormen Ruhe am Ball.

Je länger die Saison dauerte, desto lauter wurde der Ruf nach einer Berufung Calafioris in den Kader Luciano Spallettis für die Europameisterschaft 2024. Es gab keine Garantien, dass er es ins EM-Aufgebot schaffen würde, da er vor der Bekanntgabe gerade einmal 95 Minuten für die Nationalmannschaft gespielt hatte. Aber die Verletzungen von Francesco Acerbi und Giorgio Scalvini sorgten dafür, dass an Calafiori gar kein Weg mehr vorbei führte.

Wahrscheinlich hätte Spalletti Calafiori aber ohnehin mitgenommen, denn er war von den Fähigkeiten des 22-Jährigen am Ball so beeindruckt, dass er ihn in einer Trainingseinheit sogar als Nummer 10 einsetzte. Jeder, der ihn in Aktion gesehen hat, wird verstehen, warum.

Er ist ein Verteidiger, der wunderbar in der Lage ist, die Linien zu überspielen und Raum und Zeit für seine Mitspieler zu schaffen. Er hat die Saison als Innenverteidiger mit fünf Assists abgeschlossen und eines der beiden Tore, die er letzten Monat gegen Juventus Turin erzielt hat, entstand aus einem herausragenden Finish. An Selbstvertrauen mangelt es Calafiori definitiv nicht.

Nach dem 3:3-Unentschieden gegen Juve verglich ihn sein Teamkollege Riccardo Orsolini übrigens mit Abwehrlegende Paolo Maldini, während der frühere italienische Nationalstürmer Fabrizio Ravanelli bereits im April meinte, dass Calafiori langfristig der ideale Ersatz für John Stones bei Manchester City wäre.

"Er passt perfekt zum Spielstil von Pep Guardiola, weil er verschiedene defensive Rollen spielen kann", so Ravanelli gegenüber Tuttosport. "Calafiori ist exzellent darin, Angriffe einzuleiten, zudem ist er stark im Zweikampf und im Passspiel. Außerdem scheint er eine starke Persönlichkeit zu haben. Kurzum, er wäre eine hervorragende Ergänzung."

Mikel Arteta
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Darf sich Arsenal auf Riccardo Calafiori freuen?

Calafiori wechselt jedoch nicht zu Manchester City, sondern steht offenbar kurz vor einem Wechsel für 50 Millionen Euro zum FC Arsenal. Ein Transfer, der für den Römer genauso gut funktionieren dürfte, da Arsenal-Trainer Mikel Arteta ein Schüler Guardiolas ist - und damit ein ebenso großer Liebhaber vielseitiger, spielstarker Verteidiger.

Daher sollte sich Calafiori im Emirates wirklich schnell heimisch fühlen. Er wirkt wie eine Reminiszenz an glorreiche Tage des italienischen Fußballs mit Maldini, Alessandro Nesta und Fabio Cannavaro - und er spielt mit der gleichen scheinbar mühelosen Klasse und Gelassenheit wie sie.

Auf das unglückliche Eigentor gegen Spanien in der Gruppenphase der Euro 2024 reagierte Calafiori mit der ihm eigenen Entschlossenheit und hielt sein Team im folgenden Spiel gegen Kroatien mit einer für ihn typischen Aktion im Turnier, die damit endete, dass er Matteo Zaccagni das Tor zum Ausgleich in der Nachspielzeit auflegte. So zogen die Italiener doch noch ins Achtelfinale ein, in dem sie dann an der Schweiz scheiterten.

"Ich versuche einfach, so zu spielen wie auf Vereinsebene und nicht an den Rest zu denken", sagte er während der Europameisterschaft gegenüber Sky Sport Italia. "Ich konzentriere mich nur auf die positiven Eindrücke, wie meine Familie auf der Tribüne oder meine Freunde, die das Spiel zu Hause im Fernsehen verfolgen. Und ich denke, das habe ich ziemlich gut gemacht."

Daran gibt es sicherlich keinen Zweifel. Der Junge, dem vor knapp sechs Jahren gesagt wurde, dass seine Karriere vorbei sein könnte, ist jetzt ein Mann, der bei Arsenal womöglich eine rosige Zukunft vor sich hat.

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